(pe) Irgendwie haben die Scorpions mittlerweile einen Status bzw. ein Image in Deutschland, bei dem man sich fast dafür entschuldigen muss, dass man sich ein Konzert von ihnen anschauen möchte – jeder fängt sofort augenverdrehend an, die Pfeifmelodie von „Wind of Change“ zu imitieren …
Somit möchte ich hier und heute gerne einmal feststellen: ab in die Ecke mit Euch Ignoranten, denn: die alten Herren haben es noch voll drauf!!!
Nach Überstehen der für mich recht enttäuschenden Vorband „Thundermother“ (für mich sehr überzogener 08/15 Poser-Rock mit aufdringlichem „Hey, jetzt klatschen“, „Hey, make some noise“, „Hey, are you ready for the mighty Scorpions“ bei leider zudem äußerst matschig abgemischtem Sound) mit nachfolgendem 35 Minuten Anblick … mit nachfolgendem 35 Minuten Anblick eines heruntergelassenen Umbaupausen-Vorhanges mit dem „Scorpions“-Schriftzug, betraten Klaus Meine (75 Jahre jung), Rudolf Schenker (74 Jahre), Matthias Jabs (67 Lenze), Mikkey Dee (59 Jahre) und der Jüngste im Bunde (56 Jahre) Paweł Mąciwoda die Bühne und rockten vor ausverkauftem Haus und einer gigantischen LED-Wand mit einem animierten Skorpion mit „Gas In The Tank“ vom 2022er Album „Rock Believer“ mal so richtig los, dass ich vor lauter Reizüberflutung optischer und akustischer Art zunächst vollkommen überfordert war.
Direkt nach der Eröffnung nahmen die Herren das elektrisierte Publikum mit „Make It Real“ und „The Zoo“ vom 80er Album „Animal Magnetism“ mit auf einen allerfeinsten Retro-Trip. Während Schenker und Jabs direkt von Beginn an den ins Publikum führenden Laufsteg ausgiebig nutzten, hielt sich Meine zunächst zurück, warf gefühlt 100 Schlagzeugstöcke ins Publikum (ich hatte wirklich Angst, das Mikkey Dee irgendwann ohne Holz in der Hand den Abend bestreiten müsste!) und beglückte die Fans erstmals bei „Coast To Coast“ von 1979 mit einem Gang zum Catwalk-Ende mitten in der Menge. Auf den Großbildleinwänden ließ sich ablesen, dass Klaus Meine doch ein wenig in die Jahre gekommen ist und zeitweise recht angestrengt wirkte – seine Stimme allerdings ist nach wie vor in allerbester Rasierklingenform, und mit geschlossenen Augen hätte ich keinen Unterschied zu alten Zeiten feststellen können.
Immer mal wieder neuere Songs einstreuend steuerten die Scorpions in bester Oldschool-Rock-Manier dem ersten großen und unvermeidlichen Höhepunkt des eingangs erwähnten „Wind of Change“ entgegen, das Meine standesgemäß großartig mit live gepfiffenem Intro auf den Weg brachte – und spätestens mit der Widmung des Songs für die Ukraine und dem riesigen auf der Leinwand erscheinenden gelb/blauen Peace-Zeichen dürfte auch den letzten „Belächlern“ klar geworden sein, wieviel Aktualität dieser Song leider gerade heute noch in sich birgt …
Von da an knallten uns die Scorpions dann einen Kracher nach dem anderen um die Ohren – „Tease Me Please Me“, mein abendlicher Favorit „Blackout“, „Big City Nights“. Schenker und Jabs im Marathon-Modus über Bühne und Steg sprintend, hier ein Schenker-Solo, da ein Jabs-Solo, natürlich qualmte klassisch Schenkers Gitarre (und Mąciwoda versuchte mehrfach lachend, den Dampf zu inhalieren) auspuffartig, und auch Pawel Mąciwoda bekam sein Bass-Solo in vorderster Front!
Der eigentliche Held des Abends, der zu Recht dafür ohrenbetäubend gefeiert wurde, war jedoch Mikkey Dee (seines Zeichens bis zum Ende 2015 an der Schießbude bei Motörhead), der mutterseelenallein auf der riesigen Bühne, dafür aber mit der Präsenz einer kompletten Band und den Armen eines Monster Octopus´ mit „New Vision“ ein achtminütiges Drumsolo hinlegte, das sich gewaschen hatte!
Als Zugabe gab es dann das wunderbare „Still Loving You“, das mich bei geschlossenen Augen zurückreisen ließ in die Klammerblues-Zeit der Mitt-Achtziger – eine Party ohne diesen Song wäre damals undenkbar gewesen, und … hach … was haben wir alle geklammert!
Aber die Scorpions konnten das durchweg frenetisch mitfeiernde Publikum natürlich nicht mit einer Ballade in die Nacht entlassen, also gab es zum Finale noch ein Vollgas-„Rock You Like A Hurricane“, nach dem sich die fünf Herren sichtlich gerührt minutenlang auf dem Steg in der Menge badend feiern ließen. Die Scorpions sind eine Rocklegende, und diesen Status haben sie in den etwas mehr als 90 Minuten waschechten „Cojones-Rock“ mehr als nur eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
So geht Rock ´n´ Roll!
Auch im Alter!!
Chapeau!!!
(peter)
Filed under: Konzertphotos, Live Reviews, Scorpions - Westfalenhalle Dortmund am 14. Mai 2023