(Text: Lucas Düver & Daniel Flöper, Fotos: Mike Vennen) Was macht der Securitymann vor der Nudelfabrik? . . .
. . . waren die ersten Worte, die während des Soundchecks der Cannabineros auf dem diesjährigen Ripplefest fielen (Auflösung folgt unten). Punkt 15 Uhr begann sich die heilige Halle des Club Volta zu füllen und als Max Rebel, die Vertretung von Ripple Music in Deutschland, den Abend um 16 Uhr einleitet, war die Gemeinde bereits vollständig versammelt und die kollektive Vorfreude auf sieben Stunden Ohrensausen spürbar.
Als perfekt gewählter Opener begannen die Cannabineros aus Berlin, Igor Suvorov an der Gitarre und am Bass und Sascha Höltge singend und entertainend an den Drums. Schon die ersten Töne des Soundtracks der Liebe, wie die Cannabineros ihre Musik nennen, drückte die Menge brachial an die Wand. Säsh und Igor lieferten eine fette Mischung aus Punk, Rock, Stoner und Psychedelic, welche das Publikum augenblicklich in Bewegung setzte. Selbst die Barhockerhocker in der letzten Reihe waren mindestens zum Mitnicken gezwungen. Das lag vor allem an Säsh´s unübersehbarer Spielfreude und seinem grandios kreativem Spielwitz an den Kesseln. Selbst eine vom Podest rutschende Hi-Hat und ein umfallendes Mikrofonstativ hielten Säsh nicht davon ab, während der Songs weiter in die Bassdrum zu metern und seine Becken zu malträtieren.

An der Gitarre lieferte Igor teils weiche, teils harte Riffs, melodiös-spacige Soli und einen Sound, der für drei reicht. Das lag daran, dass Igor ein Stereo-Set-Up, bestehend aus zwei Orange Tiny Terror, sowie einem Laney? Basskühlschrank bediente. Dies tat er mit ebensolcher Spielfreude wie Säsh, nur mit etwas weniger körperlichem Ausdruck, denn eine ganze Reihe Pedale wollten ebenso gekonnt zum Einsatz gebracht werden. Das symbiotische Zusammenspiel der beiden funktionierte ob der vertrackten, jamartigen Arrangements jederzeit auf den Punkt genau und war die reinste Ohrenweide für alle, die eine Stunde lang etwas auf die zwölf haben wollen.
Unser Fazit: Wofür andere Bands vier Leute brauchen, rocken die Cannabineros zu zweit für acht.
Crystal Spiders
Die Fuzz-Freaks aus Raleigh, North Carolina, gaben mit ihrem selbstbenannten doomy psych eine grandios düstere Show und das zum ersten Mal überhaupt on Europa! Das Trio besteht aus Brenna Leath (Bass, Vocals) Tradd Yancey (Drums) Mike Deloatch (Guitar). Seit 2018 aktiv folgte auf ihr 2019 selbstproduziertes Demo 2020 ihr erstes Album „Molt“ bei Ripple Music.
Den Auftritt über wechseln die Songs zwischen riffgetriebenem Oldschooldoom, Psychedelic Rock und Stoner Metal im Soundgewand der 70er. Brennas Stimmlage wirkte anfangs speziell, passte aber zur Musik wie die Faust aufs Auge und entwickelte sich während des Auftritts zu teilweise ozzyesken Gesangsorgien. Gleichzeitig haute sie dem Publikum einen nach vorn drängenden fuzzy Bass um die Ohren. Die Drums von Tradd zauberten einen grundsoliden Rhythmus gespickt mit verspielten Fills. Mike gab an der Gitarre alles an Technik zum Besten, was Rock, Stoner und Metal zu bieten haben. Düstere und kraftvolle Riffs wurden ebenso in die Saiten geschremmelt wie abwechslungsreiche von gefühlvoll-träumerisch über majestätisch hin zu schwerfällig-robust klingende Melodieläufe.

Location
Wer ihn nicht kennt sollte ihn kennenlernen. Der Club Volta auf dem Carlswerk-Gelände des ehemaligen Werksgelände des Kölner Kabelherstellers Felten & Guillaume in Köln Mülheim.
Wie immer waren Einlass, Garderobe und Theke perfekt organisiert. Da ist mindestens ein großes, herzliches Dankeschön an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Clubs angebracht. DANKESCHÖN!
Wartezeiten?, Fehlanzeige! Kleine Einschränkung mit Spoiler: Am Ende des Abends wollten sowohl die Besucher des Ripplefestes als auch die Besucher des Madsen-Konzerts, das nebenan im Carlswerk Victoria stattfand, ihre Jacken und Rucksäcke an derselben Garderobe abholen. Doch was sind schon zehn bis fünfzehn Minuten Wartezeit, wenn Gespräche über das soeben Erlebte Stunden dauern könnten.
Die Getränkeauswahl des Clubs bedient so ziemlich jeden Geschmack zu angemessenen Preisen. Der Außenbereich hat zahlreiche Sitzgelegenheiten sowie Stehtische und einen Imbiss, dessen Preise (5,50€ Euro für ne Pommes-Schranke!) verhältnismäßig teuer sind.
Ein weiterer Dank geht an die Ton- und Lichttechniker, die den Gästen zu jedem Zeitpunkt ein optimales Klangerlebnis mit passender visueller Umsetzung boten. DANKESCHÖN!
Appalooza
Die optischen Holzfäller aus Brest, Frankreich, hatten einen derartig drückenden Sound, dass es den FOH während des Konzertes gefühlt einen Meter nach hinten schob. Früher zu viert, heute als Trio unterwegs, bestehen Appalooza aus Tony Kerdoncuff (Bass) Vincent Kermagoret (Drums) Sylvain Morel (Guitar, Vocals). Auf dem ersten selbstveröffentlichtem Album „Appalooza“ aus dem Jahr 2018 ist Tony noch als Gitarrist zu hören. Die Einflüsse von Kyuss, Queens oft the Stone Age und Baroness waren in Appaloozas Heavy Rock hör- und spürbar. Sylvains Gretsch mit Tripple Humbucker dröhnte, dass es eine Freude war. Sein teils episch-melodiöser, an Chris Cornell erinnernder Gesang stand im Kontrast zu seinem rifflastigen Gitarrenspiel, beides zusammen ergab einen düster-mysteriösen Klang. Der tieft gedroppte Bass trieb jedes Stück unaufhaltsam voran wie eine Dampfwalze, dass die Saiten nur so dahinschlabberten, während Vincent ein wildes aber tightes Spiel am Schlagzeug ablieferte.

Kabbalah
„Marga” Margarita Asenjo Lozano (Bass, Vocals), Carmen Martínez Espejo (Drums, Vocals) und Alba Díez de Ure (Guitar, Vocals) haben als Kabbalah den Weg aus Pamplona angetreten um das Ripplefest zu rocken. Ihre erste selbstveröffentlichte 4-track-EP erschien bereits 2013, ihre beiden LPs „Spectral Ascent“ 2017 und „The Omen“ 2021.
Zwei Kerzenständer vor den Drums, die Outfits sowie der dreistimmige choralähnliche Gesang trugen zu einem okkulten, düsteren Messecharakter bei. Schwere, sehnsüchtig-klagende Sounds hypnotisierten und begeisterten das Publikum. Der Song „Night comes near“ kam mit melodiösem Bassspiel und erhabenen Gitarrenmelodien träumerisch daher, während bei „The Ritual???SETLIST“ in bester Heavy Manier schwerfällige Riffs und ein reduziert kraftvolles Schlagzeug mit pulsierendem Bass im Vordergrund standen. Insgesamt boten Kabbalah abwechslungsreiche Songs zwischen Stoner Rock und düsterem Doom Metal, jederzeit in einem sakralen Grundton. Wenn Nosferatu auf Tour gehen würde, wären Marga, Carmen und Alba die erste Wahl für seine Besetzung.

Fire Down Below
Fire Down Below aus Ghent, Belgien, holten die Fans mit ihrem Stoner von der ersten Minute an ab. Seit 2015 aktiv hat die Band bereits drei Alben bei Ripple Music veröffentlicht. Die Jungs überzeugten durch hervorragendes Timing, vielschichtige Songs mit abwechslungsreichen, dröhnenden Riffs und melodiösen Soli. Langweilig wurde es dabei nie. Sam Nuytens (Drums) knüppelte auf die Kessel wie eine gut geölte Maschine, darüber rollte der nach vorn treibende Bass von Bert Wynsberghe mit tiefem, breitem Fuzz. Auf dieser Grundlage bringen Kevin Gernaey (Lead Guitar) und Jeroen Van Troyen (Vocals, Guitar) die Menge in Bang-Ekstase, indem sie sich gegenseitig gekonnt die Bälle zuspielen. Die Autoren empfanden allein den Gesang des Frontmannes als etwas zu dünn für den übrigen Bandsound, aber über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten.

Daevar
Als vorletzte Band des Abends betrat die junge Formation Daevar aus Köln die Bühne und brachte das Publikum mit ihrem selbstbetitelten Doom Grunge zwei Oktaven weiter nach unten. Wer hier vertrackte Gitarrenriffs oder verspielte Soli suchte war enttäuscht, Freunde von Sleep und Co. hingegen kamen voll auf ihre Kosten. Pardis Latifi (Bass, Vocals) erzeugte mit amtlichem Fuzz einen dunklen, stampfenden Bassteppich ergänzt durch meditativen Gesang. Moritz Ermen Bausch (Drums) überzeugte durch ein reduziertes aber kraftvolles Spiel. Caspar Orfgen (Guitar) war die treibende Kraft von Daevar, die mit ihrem melancholischen Doom Grunge frischen Wind in die Szene tragen.

Mother’s Cake
Seit Jahrzehnten treibt die Wissenschaft die Vorstellung einer möglichst sauberen aber effektiven Energiegewinnungsmethode zum Bau der technisch anspruchsvollsten Apparate. Dabei läuft das Fusionskraftwerk Mother’s Cake aus Innsbruck bereits seit 2008 einwandfrei mit stetig steigender Leistung.
Im Ernst: Mother’s Cake rockten zwar nicht in Originalbesetzung, Frontmann Yves Krismer (Gitarre, Vocals) hatte ? als Ersatz mitgebracht. Die Jungs pushten eine seit über sechs Stunden feiernde Menge mit einer unglaublichen Energie und einer stilistischen Bandbreite aus Progressive, Psychedelic und Hard Rock, Funk und Stoner zum Hüpfen, Pogen, Ausrasten.
RHCP, RATM, Wolfmother, Jethro Tull oder Radio Moscow, um nur einige Bands zu nennen, die wir mit der Nummer „Crystals In The Sky“ assoziierten.
In der Ballade „Love Your Smell“ zog Yves alle gesanglichen Register, sodass man phasenweise glaubte, Bob Marley und Bob Dylan hätten gemeinsam auf der Bühne gestanden. Im Song „I’m your President“, einer Persiflage auf D. Trump, flogen die Finger auf einer funky Gitarre à la Frusciante, Bassläufe und Spieltechnik erinnerten an Les Claypool und das Schlagwerk an ja an wen eigentlich???

Mother’s Cake waren der gebührende Abschluss für ein erinnerungswürdiges Ripplefest, wie immer mit musikalisch hochkarätigem Line-up.
Wer die Mutter aller Fusion noch nicht kannte oder nochmal in Standardbesetzung sehen und hören will, dem legen wir die Aufzeichnung des Rockpalastes vom Crossroads Festival 2021 an Herz:
Mother’s Cake – Crossroads Festival 2021 – Mediathek – WDR
https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/rockpalast/video-mothers-cake—crossroads-festival–100.html
Schlusswort
Besonderer Dank gilt allen Menschen, die das wunderbare Ripplefest jedes Jahr aufs Neue mit großer Hingabe auf die Beine stellen und dem Publikum einen unvergesslichen Abend schenken.
…der passt da auf!
Text: Lucas Düver & Daniel Flöper
Fotos: Mike Vennen
Filed under: Konzertphotos, Live Reviews, Ripplefest Cologne 2023 im Club Volta am 02.12.2023





