(mich) Die Schweiz – Ausnahme in vielen Bereichen. So war der Ruf als „nüchtern, „schwer begeisterungsfähig“ oder „distanziert“ durchaus für das Konzertpublikum zutreffend. Aber auch in der Schweiz gab es Covid und Corona, und seitdem ist alles anders, überall. Wir sind im Jahre 2024 angekommen, da ist es egal ob man dreadlocks oder kurz geschorene Haare als Death Metaller trägt, und niemanden interessiert es, dass man in weißen Tennissocken mit Badelatschen abliefert. Und abgeliefert haben sie alle. Auf dem Plan stehen Intrepid, Hideous Divinity und Nile.
Vorgesehen waren noch Monastery, die aber ausgefallen sind.
Man fängt pünktlich an (zumindest das ist gleich geblieben).

Intrepid aus Estland sind für mich die Überraschung des Abends. Kaum gefüllt ist der mit Parkett ausgelegte Hauptraum im Kiff, aber gleich mit den ersten Tönen schreiten alle 2 Meter nach vorne. Erfrischend jung sind nicht nur die Herren auf der Bühne, sondern ist auch die Darbietung. Fein ausgetüftelter Death, absolut eingängig und mit einem gewissen Charme. Manchmal schleicht sich eine kleine Anlehnung an die frühen Sepultura ein, zwar weniger druckvoll, aber mindestens genauso überraschend. Intrepid erfinden das Rad nicht neu, aber sie schaffen mit der Bühnenpräsenz eine Atmosphäre, die es unmöglich macht wegzusehen und unbedingt dazu auffordert mitzumachen. Also wird getanzt oder zumindest bejahend gewippt, egal mit welchem Körperteil.
Die Italiener von Hideous Divinity haben etwas mehr Doom in den Klängen, der durchaus gefällt. Musikalisch an sich gibt es nichts auszusetzen, mir persönlich missfällt jedoch die stark affektierte und überheblich wirkende Gestikulierung des Frontmanns Enrico Di Lorenzo, die eine gewisse Distanz schafft und eventuell sogar gewollt ist. Der Gesang ist mitunter stark Blackmetal-lastig, was auch nicht zwingend zu meiner Begeisterung beiträgt.
Den Leuten gefällts, und so werden sie gefeiert.
Mittlerweile ist es voll geworden, was für einen Freitag Abend genau das richtige ist. Tobender Applaus begrüßt die Urgesteine von Nile, bei denen jeder weiß was man bekommt. Musikalische Überraschungen gibt es kaum, aber genau das macht diese Band aus, so finden sich in den Feinheiten und Details immer wieder neue grandiose Tricks. Sichtlich begeistert stehen Nile auf der Bühne und haben Freude an der Ausgelassenheit des Publikums, das nur darauf gewartet hat, die US Amerikaner begrüßen und gebührend feiern zu dürfen.
„There is no god“ singe ich lauthals mit, kann man sich der mitreißenden Euphorie doch einfach nicht entziehen. Alles ist familiärer bei den Bergfreunden als bei dem Rest der Welt, da wird dann der _some random guy_, der mitmachen will, nicht der Bühne verwiesen, sondern wohlwollend tatsächlich mit eingebunden. Karl dankt es mit einem herzlichen Lachen im Gesicht und ist sichtlich ausgelassen, wie auch der Rest der Band. Das ist, wenn man so viele Jahre auf der Bühne steht, durchaus erwähnenswert, wenn die Spielfreude der Mannen weiterhin fesselt, obwohl ein gewisses Alter nicht zu leugnen ist. Danke, Nile !
George Kollias an den Drums spielt fast ausschließlich mit geschlossenen Augen, sodass es zwischendurch den Anschein hat, er würde schlafen(!) Faszinierend und umso beeindruckender, dass er jeden Takt mit einer Präzision präsentiert, die seinesgleichen erst noch finden muss. Hinter mir wird jedes Wort mitgesungen, man kennt die Alben auswendig. Ausgelassen ist die Stimmung, und alle haben ein Lächeln im Gesicht. Gerade die sehr gescholtene Musikszene scheint immer noch jeden Moment bei einem Konzert genießen und auskosten zu wollen, und das ist auch gut so. Ich wünsche mir, dass Gleichgültigkeit und Beliebigkeit nicht mehr Einzug hält in dieser fantastischen, interagierenden Form der Kunst.
Dass dann noch der Pogo getanzt wird bei einem Death Metal Konzert ist mir auch neu, aber es passt irgendwie und macht den gesamten Abend nur noch sympathischer. Willkommen in der neuen Welt der Live Musik. In der Schweiz, so vermag ich vorsichtig ausblicken, ist jedes Konzert ein Garant für Außergewöhnliches.
Also: ein komplett überraschender, faszinierender Abend mit einer bunten Mischung an Death, Doom, und alles was man nicht erwartet hat.
Bitte mehr davon!…..(michaela)
Setlist Nile:
SEBEK
DEFILING
FANG
KAFIR
DESTRUCTION
VILE
STELAE
AMUN
LASHED
SARCOPHAGUS
LONG SHADOWS
CHAPTER
ANNIHILATION
BLACK SEEDS
Filed under: Konzertphotos, Live Reviews, Hideous Divinity, Intrepid, Nile, Nile - Kiff/Aargau am 27-09-2024




