(yv) Weihnachten steht quasi vor der Türe, also ist es Zeit für etwas gemütlichen, saisonal adäquaten Hörgenuss. Wie gut, dass da ein schickes neues Box-Set über InsideOutMusic/SonyMusic des Weges kommt, angefüllt mit frisch von Bruce Soord (The Pineapple Thief) aufpolierten Versionen des schon 2003 bei Roadrunner Records als CD erschienenen Studio-Albums. Darin findet man eine breit gefächerte Sammlung jahreszeitlich stimmiger Stücke, deren ursprüngliche Entstehungsdaten sich über fast die gesamte Bandgeschichte erstrecken sowie einige Traditionals und Klassiker wie die berühmte Bourée.
Obendrauf bekommt man in der neuen Sammler-Box einige Live-Schmankerl, die das Gesamtpaket zu einem abendfüllenden “extended Kaminfeuer rumgammling”-Soundtrack erheben:
CD1: Original Album Mixes
CD2: 2024 Remixes by Bruce Soord
CD3: Christmas Live At St. Bride’s 2008 (newly remixed by Bruce Soord)
CD4: The Ian Anderson Band Live At St. Bride’s 2006 (previously unreleased)
Blu-ray: Dolby Atmos, 5.1 Surround Sound & High Resolution Stereo Mixes of The Jethro Tull Christmas Album, as well as High Resolution Stereo Mixes of both live recordings
Für die Adepten analoger Audiophilie gibt es natürlich auch Doppel-180g-Vinyl-Versionen verschiedener Couleur der 2024er Remixes im Gatefold-Sleeve oder aber DeLuxe-Kombi-Bundles mit allem PiPaPo.
Freundlicherweise wurden uns die mp3-Versionen der 2024er Remixes als Hörprobe zur Verfügung gestellt, angesichts der Fülle werde ich einige im Schnelldurchlauf behandeln:
- Birthday Card at Christmas 3:40
- Holly Herald 4:17
- A Christmas Song 2:47
- Another Christmas Song 3:32
- God Rest Ye Merry Gentleman 4:34
- Jack Frost and the Hooded Crow 3:37
- Last Man at the Party 4:49
- Weathercock 4:17
- Pavane 4:19
- First Snow on Brooklyn 4:58
- Greensleeved 2:39
- Fire at Midnight 2:26
- We Five Kings 3:17
- Ring Out Solstice Bells 4:05
- Bourée 4:25
- A Winter Snowscape 4:56
Mit “Birthday Card At Christmas” beginnt das Ganze mit einem schönen, sehr JT-typischen Winter-Rocksong, viel Flöte, viel Mandolinengeschrammel, puckernder Bass in der wohlbekannten Manier, 4/4-Takt ein Fremdwort, der Fuß wippt fröhlich mit und ein Lächeln schleicht sich ein.
Der instrumentale “Holly Herald” schließt sich in gleicher wohlgelaunter Weise an, von Winterblues keine Spur. Sogar “the German instrument from hell” (=Akkordeon; Zitat Ian Anderson) findet Platz, Glühweinmucke vom Feinsten. Cheers!
A Christmas Song – einer der vielleicht zynischsten und zugleich schönsten Weihnachtssongs unserer Lebzeiten, Empfehlung – auch für Heiden wie mich: die Lyrics mal googeln. 😉 Einen Fehler hat der Song: er ist zu kurz.
“Another Christmas Song” ist die erwachsen bzw. älter gewordenen Fortsetzung des Gedankenstrangs, etwas melancholischer und nachdenklicher, dafür jedoch innerlich wärmer und versöhnlicher.
“God Rest Ye Merry Gentleman” (wundere mich gerade über den “Gentleman” statt “Gentlemen”, mag wohl künstlerische Freiheit sein), äh, ja, instrumentaler traditional Celtic-Folk-Jazz-Rock oder sowas im Gewand der frühen 2000er.
“Jack Frost And The Hooded Crow” schlägt textlich in die gleiche Kerbe wie die beiden Christmas Songs, Denkanstöße zugunsten derer, denen ein kaltes, hungriges, einsames Weihnachten bevorsteht. Trotz der Neuauflage des Songs hört man dennoch den Vibe seiner Entstehungszeit heraus, Synthesizer-verbrämter Dunkelfolkrock Anno 1982 von “Broadsword And The Beast”.
Der Last Man At The Party singt uns in heiter-beschwingter Weise von eben jener feucht-fröhlichen Festivität, ein buntes Durcheinander, gerade so wie die besungene, beschwingt-beschwipste Gesellschaft. Speis und Trank und viel Gesang.
Den Weathercock überspringe ich mal, das Original von “Heavy Horses” Anno 1978 liegt mir einfach zu sehr am Herzen.
Pavane – ein spätromantisches Instrumentalstück, einfach Augen schließen, zurücklehnen und eintauchen.
Mit First Snow On Brooklyn kehren wir zurück in die Gegenwart, die wohl neueste Komposition des Albums, etwas Herzschmerz, verflossene Liebe im kalten Winterwind.
Und wieder finden wir einen wohl beabsichtigten Typo: Greensleeved. Aus dem Volkslied “Greensleeves” des elisabethanischen Zeitalters wurde eine Neuversion à la Anderson gezimmert, mehr Drive, mehr Rhythmus, mehr Energie.
Bei “Fire At Midnight” wurden während der Neuaufnahme 2003 die wahrscheinlich schonendsten Variationen gegenüber dem Original (Songs From The Wood, 1977) durchgeführt, was ich persönlich sehr schön finde, der besondere Klang der End-Siebziger-Alben ist so warm, kraftvoll und eindringlich, den sollte man möglichst bewahren.
Wieder eine Anderson`sche Adaption – Königsvermehrung. Durch schrauben am Takt wird aus “We Three Kings” im 3/8-Takt eben “Five”, da über den Rhythmus-Kamm geschert und in 5/8 dargeboten. Leicht, heiter und der Schwere des Originals entwachsen hüpft die Melodie ins Ohr und in die Glieder.
Ring Out, Solstice Bells – erneutes Endsiebziger-Dilemma, wieder gut gelöst, nicht zuletzt durch die wunderbare Interpretation des Bass-Parts (ursprünglich von John Glascock, RIP) durch Jonathan Noyce. Feines Stück!
Bourée, die unsterbliche Bach-Genialität in E-Moll. Gefühlt Zwotausenddreihundertachtundsiebzig kursierende Versionen davon gibt es alleine von Jethro Tull. Am besten einfach selbst reinhören.
Zum Abschluss gibt es “A Winter Snowscape”, das letzte von Matin Barre in Tull komponierte Stück, daher vielleicht der leicht melancholische Unterton, dennoch verbreitet es eine wohlige Stimmung und macht einen schönen runden Bogen, ehe unser Kaminfeuer langsam verglimmt.
Alles in allem eine (für mich ollen Tullie) schöne Gesamtpackung, glasklarer Klang im neuen Mix, leider gab’s keine Snippets der Liveaufnahmen der Bonus-CDs, aber ich werde mal googeln, ob da nicht ein paar Stücke im Netz zu finden sein könnten.
Danke an Oktober Promotion für die Hörproben.
Das Material findet sich natürlich auf sämtlichen einschlägigen Streamingplattformen sowie unter https://jethrotull.com/store/
Yvonne
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