
(jul) Sand unter den Füßen, Fuzz im Ohr und das Herz randvoll: Mein Rückblick auf drei Tage Blue Moon Festival 2025. Mit Melvins, My Sleeping Karma, Daily Thompson, Sonne, Staub und Seele.
Aber es beginnt hier: Freitagmorgen. Ich bin müde. Mein Herz ist längst im Strombad, mein Körper dagegen hängt noch im Regionalexpress – Richtung Bielefeld. Von dort soll mich der Flixtrain nach Cottbus bringen. Soweit der Plan. Die Realität: Verspätung, keine Klimaanlage, kein WLAN, überfüllte Waggons, randvolle Klos, eine eingetretene Scheibe, die uns zu einem außerplanmäßigen Reparaturstopp in Wolfsburg zwingt. Festivalanreise 2025 in ihrer vollen Pracht. Letztes Jahr war das deutlich entspannter.
In Berlin hechte ich auf Gleis 12 in den RE2, lande um Punkt 16:02 Uhr in Cottbus. DAILY THOMPSON starten um 16:30. Tasche über die Schulter, Sprint zur Unterkunft, Zeug aufs Bett geschmissen, weiter – durch die Nachmittagshitze, Puls auf 180 – Richtung Strombad. Ich komme an, als der zweite Song durch die Baumkronen weht. Immerhin: Ich höre ihn schon beim Anstehen am Check-in. Festivalmodus aktiviert.
Gästeliste: easy (Danke, Matte!). Kurz danach das erste Bier in der Hand. Mephi grinst die Mainstage platt, Danny massiert die Gibson, und Babblz macht das, was Babblz eben macht. Heimatgefühl. Ich tauche ein, lasse die Zugodyssee los. Strombad-Wiese unter den Füßen, Bier im Anschlag, Fuzz im Ohr – alles, was zählt. Falkos Sound: großes Kino. Die Crowd groovt und dankt. Danach: schwitziges Lachen, klebrige Küsschen, Umarmungen satt. Dortmund zu Gast in Cottbus – wie ein Auswärtsspiel mit Herz.



Am Merch begrüße ich weitere vertraute Gesichter und sichere mir danach eine solide Portion Linsen-Bolo für 7 Euro. Die Käsespätzle (9 Euro, Riesenportion) hebe ich mir für morgen auf. Gut gestärkt und ein paar Dönekes später steht die ganze Daily-Thompson-Tourfamilie mit mir vis-a-vis der Bühne. Ellen gehört fest dazu – bitte adoptieren! Ich erstehe den Hut, der mir in Wiesbaden vor der Nase weggeschnappt wurde. Daily-Thompson-Kopfbedeckung endlich mein – Glück in Textilform.
Inzwischen füllt sich das Gelände spürbar, ich schätze rund 800 Besucher – Tendenz steigend. Zwischen Main- und Sidestage ziehe ich mit dem nächsten Bier los. Dort walzen sich BEEHOVER durch ihren basslastigen Stoner-Doom – nur Bass und Drums, aber mit maximaler Wirkung. Weniger spaced out als Alber Jupiter, reduzierter als Grin, aber mit hypnotischen Sludge-Mustern, die meiner Linsen-Bolo schön nachsacken helfen.



Zurück zur Mainstage: GNOME! Drei Antwerpener in Theatralik-Laune. Kostüme, Posen, schräges Timing – irgendwo zwischen Psych-Stoner-Riffing, Zirkus und durchgeknalltem Kindergeburtstag auf Pilzen. Over the top? Absolut. Und genau deshalb so unterhaltsam. Die Zipfelmützen fliegen tief, das Publikum liebt’s.
Sidestage again: NALAR aus Berlin. Melodic Death Metal mit Schmackes. Ich wage mich für ein paar Fotos vor, versenke aber vorsichtshalber die Ohrenstöpsel tiefer. Vor der Bühne hat sich eine Fünfer-Abwehrkette gebildet. Zwei dicht zusammen, drei als Puffer vor der Bühne. Ich verstehe nicht alles, was hier abgeht, aber dafür hab ich eh nie richtig Fußball geguckt. Der Pit feiert es, also: läuft!

An der Mainstage wird derweil nachjustiert – technisch, präzise – für THE ATOMIC BITCHWAX. Und dann legen sie los: Wie immer souverän, tight, ein bisschen unnahbar, aber exakt auf den Punkt. Diese Gitarren- und Bassläufe? Reichen für eine komplette Festivalnacht. Keine Show, kein Chichi – nur Können. Und das sitzt.


Ich bin besonders gespannt auf HARAKIRI FOR THE SKY. Die Sonne sinkt, der Himmel glüht, und die Bühne wird melancholisch. Breitwand-Emotion, fordernd und schön zugleich. Ich schließe die Augen und lasse mich mitreißen. Diese Band erzeugt ein Gefühl, das irgendwo zwischen Schmerz und Trost schwebt. Groß.


MANTAR beschließen den Abend im Outdoor Bereich. Und das tun sie, wie sie es immer tun: kompromisslos. Roh, düster, lärmend. Punk, Metal, Nihilismus. Die Bremer zerlegen die Nacht wie eine liebevolle Abrissbirne. Keine Lichtshow, keine Kompromisse – nur Power. Das ist genau die richtige Dosis Kontrast zu all dem Fuzz am Nachmittag. Ich bin fix und fertig, durchgeschwitzt, aber selig.

Für PRAISE THE PLAGUE und SONIC SISTERS SOCIETY im Chekov (Indoor) reicht die Energie nicht mehr. Ich trete den Heimweg an – zu Fuß, durch die laue Cottbuser Nacht.
Tag eins: abgehakt. Und wie.
Gut ausgeruht und frisch geduscht mache ich mich am Samstagmorgen auf den Weg zum Bioladen Schömmel – eine Empfehlung vom Festivalteam fürs späte Frühstück. Und die ist goldrichtig: Bio, lokal, liebevoll. Das Wetter bleibt sonnig und trocken, also hänge ich noch einen ausgedehnten Spaziergang durch die Altstadt und entlang der Spree dran. Die Stadt wirkt wie entschleunigt, als wolle sie sagen: Lass dir Zeit. Ich höre auf sie.


Am Strombad angekommen, streift mich gerade noch der letzte Ton von RIFFTREE. Die kleine Bucht glitzert in der Sonne, ein paar Festivalgäste planschen im Wasser, andere dösen im Schatten. Die Camping-Szene hat längst wieder Fahrt aufgenommen – hier ein Grill, da ein Joint, dort ein liebevoller Streit um die Sonnencreme. Die Badestelle ist und bleibt das Herzstück dieses wunderbaren Settings: familiär, friedlich, frei.
Ich bereite mich innerlich wie äußerlich auf EARTHBONG vor. Tief durchatmen. Verdauungsspaziergang abgehakt. Jetzt geht’s runter – ganz runter. Mersel, Claas und Tommy lassen nichts anbrennen: Wer baut, der haut. Während Earthbong für Mersel das Hauptprojekt ist, sieht und hört man Claas und Tommy mit Kombynat Robotron und Minerall das Jahr über hier und dort noch in anderen Kontexten. Im April waren die Kieler zusammen mit LucyFungus auf Australien Tour. Und gefühlt graben sie sich soundmäßig gerade von Cottbus aus straight nach Downunder durch, ohne am Erdkern Halt zu machen. Ich muss die Schuhe ausziehen und den Boden spüren, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Reife Leistung!


Erstes kühles Getränk des Tages in der Hand, kurzer Abstecher zu den CANNABINEROS – „woop woop!“
Kaum angekommen, fühlt es sich an, als hätte jemand die Fast-Forward-Taste gedrückt: Säsh peitscht die Drums nach vorn, dass einem schwindelig wird, und Igor hängt sich mit schiefem Grinsen an die Fersen, um mitzuhalten. Ein Garage-Duo im Kontrollverlustmodus. Vor der Sidestage tobt die lokale Crowd – textsicher, euphorisch, verschwitzt. Man kennt sie, man liebt sie. Zwei chaotische Herzbuben in der besten Tradition des schrammeligen Wahnsinns.


Wieder zurück an der Mainstage: DIRTY SOUND MAGNET. Die drei Schweizer – Marco, Maxime und der hypnotisierende Frontmann Stavros – feiern ihren ganz eigenen Weird Rock. Funk, Psychedelia, Art-Rock – alles ist drin, alles kann jederzeit kippen. Ihre aktuelle Single „Dead Inside“ fügen sie souverän ins Set ein, genauso wie ein nahtlos eingewobenes Paranoid-Tribute an Ozzy. Nichts wirkt aufgesetzt. Alles fließt, getragen von einem Groove, der sich wie ein halluzinogener Sog ausbreitet. Ich bin drin – voll und ganz – und merke fast zu spät, dass ich meine Kräfte einteilen muss. Da kommt noch was. Und zwar gewaltig: My Sleeping Karma und Melvins stehen noch auf dem Zettel.


Zeit für eine strategische Käsespätzle-Stärkung. Ich nutze die Umbaupause zur aktiven Regeneration – rein in die Chillout-Area, Schuhe aus, Füße hoch, Käse in die Blutbahn. Und ja: es wirkt.
Auch dieses Jahr zeigt sich das Rahmenprogramm von seiner charmantesten Seite. Das kleine Kurzfilmkino Funkelfix, eingebettet in ein Zelt wie aus einer Märchenwelt, verzaubert mit liebevoll kuratierten Filmen für Groß und Klein. Es riecht nach handgemachtem Popcorn, Kinderlachen mischt sich mit dem Wummern aus der Ferne. Dieses Festival hat Raum für alles – auch fürs Ankommen im eigenen Tempo.


Und dann: MY SLEEPING KARMA. Ich habe keine Worte, aber ich versuche es trotzdem. Wenn es Bands gibt, die nicht einfach Musik machen, sondern Seelenräume öffnen, dann sind es sie. Ich spüre, wie sich das Gelände verändert, als sie die Bühne betreten – es wird stiller, gespannter, irgendwie weicher. Keine Ansage. Kein Lichtgewitter. Kein Showgehabe. Nur das übliche Intro „The Four Horsemen“, die Umarmung. Einatmen. Und dann beginnt es. Ein Ton, ein Schwingen, ein Strömen. Die Musik fließt, nicht linear, sondern wie eine organische Bewegung – sie atmet, pulsiert, dehnt sich aus. Matte drückt jeden Ton aus dem Bass wie ein Gebet. Seppi malt mit der Gitarre Bilder, die flimmern wie Erinnerungen, die nie passiert sind. Und Norman hält alles zusammen mit einem unsichtbaren roten Faden, während André Bewusstseinszustände in Rhythmus übersetzt. Zum ersten Mal stehen wirklich alle Festivalbesucher vor der Bühne und ich wette es sind doch mehr 1.000, die sich wie ein einziger Organismus verwoben mit der Band zu „Ephedra“ und „Prithvi“ bewegen. Was MSK da tun, ist eine Form von Therapie. Klang gewordene Empathie. Keine Band hat je so konsequent auf Worte verzichtet und dabei so viel gesagt.


Ich brauche Minuten, um mich wieder zu sortieren. Und als dann Buzz und seine Melvins auf der Bühne stehen, ist es wie ein Erdbeben nach einer Meditation.
MELVINS. Ich wollte sie immer mal live sehen – aber auch immer ein bisschen Angst davor haben. Nicht, weil sie so laut sind. Sondern, weil sie sich einen Scheiß kümmern. Um Erwartungen. Um Wohlfühldynamiken. Um Publikum. Und genau das passiert auch in Cottbus.

Buzz Osborne betritt die Bühne wie ein zerzauster Alchemist, irgendwo zwischen Lovecraft und Zappa. Die Haare stehen wie eine Rebellion gegen jede Schwerkraft, der Blick ist stoisch, fast leer. Dafür Augen, überall diese Augen! Was folgt, ist kein Konzert. Es ist eine Konfrontation. Riffs wie Mühlsteine. Bassläufe wie Lava. Grooves, die sich weigern, eingängig zu sein. Kein Raum für Mitsingparts oder Publikumslieblinge – die Setlist ist eine Reihung aus Brachialgewalt, Noise, plötzlicher Struktur und ebenso plötzlichem Kontrollverlust. Es ist, als würde man mit offenem Mund im Windkanal stehen. Und trotzdem – es elektrisiert.


SPIRIT MOTHER hätten um 00:00 Uhr im Chekov ihren Slot gehabt– mit fast einer Stunde Verspätung ging es dann endlich los. Die Wartezeit hat die Stimmung in den Keller gezogen. Ich war ehrlich gesagt schon ziemlich durch, die Füße schwer, der Kopf voll. Nach dem zweiten Song bin ich Richtung Unterkunft verschwunden. Es war einfach Zeit. Aber das, was ich noch mitbekommen habe: dichte Atmosphäre, hypnotischer Sound, ein starker Abschluss für alle, die durchgehalten haben.

Mein Sonntag gehörte noch der Arbeit. Also dieser Art, die einem ein Hobby wie Festivalreisen und ehrenamtliches Bloggen finanziert. Mit Laptop, Kaffee, Gedanken und Eindrücken der ersten beiden Tage verbringe ich noch ein Weilchen im WLAN in meiner sehr schnuckligen Unterkunft. Und dann: raus. Rein ins Leben.

Bombenwetter. Blauer Himmel, ein sanftes Lüftchen, das Festivalgelände in goldenem Licht. Ich bin erstaunlich fit – seelisch jedenfalls. Der Körper knirscht ein bisschen, aber das gehört dazu. Ich lasse mir Zeit, schlendere barfuß übers Strombad, spüre den warmen Sand unter den Füßen und denke: Ich will noch gar nicht weg.
Die Stimmung ist gelöst, vertraut. Überall kleine Grüppchen, bekannte Gesichter, ein Lächeln, ein Nicken, ein kurzes Gespräch. Es ist Sonntag – aber ohne den Stich von Abschied. Eher ein feines Innehalten. Ein letztes Mal durchatmen. Ich trinke einen Espresso Tonic auf Eis mit „etwas“ Gin. Dem sehr freundlichen jungen Mann vom Green Temper Coffee scheint die Flasche ausgerutscht zu sein. Holla!
VALLEY OF THE SUN sind heute meine erste Band des Tages. Der Sound trifft direkt auf mein Gin-Gesöff: heftig, groovy, sonnendurchflutet. Als hätten Kyuss in Ohio ein Sommerhaus bezogen – mit mehr Rock’n’Roll, weniger Staub und einem ordentlichen Schuss Lebensfreude.

Die Jungs haben nicht nur Songs, sie haben Ausstrahlung. Die Abendsonne brennt, aber es ist nicht zu heiß. Alles fühlt sich rund an. In mir. Um mich herum. Festivalglück in Reinform.
Endlich ergibt sich die Gelegenheit, mit Anders Oddsberg, der extra aus Oslo angereist ist und mit My Sleeping Karma unterwegs war, ein Bier zu trinken. Der Mann war das ganze Wochenende im Dauereinsatz – Merch, Kamera, Überblick. Immer on fire. Jetzt stehen wir nebeneinander am Tresen, stoßen an und sagen wenig. Müssen wir auch nicht. Dieser Moment spricht für sich: zwei Festivalmenschen, ein kühles Bier, ein stilles Einvernehmen: SLOMOSA!



Die Norweger lassen nichts liegen. Gefühlt spielen sie jeden Song, den sie haben – und das Publikum kann nicht genug bekommen. Auf die Zugaberufe meint Sänger Ben trocken: „Wir haben nur zwei Alben – wenn ihr noch mehr wollt, müssen wir einfach von vorne anfangen.“ Die Stimmung ist fantastisch. Die Songs rollen, das Publikum feiert, und ich stoße währenddessen mit Anders auf einen gelungenen Festivalabschluss an.
Es ist der perfekte Abschluss. Große Musik. Liebe Menschen. Ein Ort, der mehr ist als nur eine Location. Ich will nicht gehen. Und genau das ist das beste Zeichen: Es war rund. Es war richtig. Es war schön.
Was bleibt?
Danke an Matte Vandeven, das gesamte Veranstaltungsteam und alle helfenden Hände – für ein rundes, liebevoll organisiertes Festival mit feinem Booking, entspannter Atmosphäre und einem Publikum, das einfach Spaß macht.
Drei Tage Musik, Gespräche, Sand unter den Füßen und Sonne im Gesicht.
Ich komm gern wieder.
Bis bald, Blue Moon.
Filed under: Festivals, Live Reviews, Blue Moon Festival 2025, Festivalbericht



