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Modder – Destroying Ourselves for a Place in the Sun

(jul) Es gibt Abende, die brennen sich ein. Anfang September habe ich Modder aus Gent zum ersten Mal erlebt – in einer Scheune im Nirgendwo, zwischen Moor und Feldern.

Keine Erwartungen, keine Vorkenntnisse und plötzlich dieser brachiale Sound: wuchtig, drückend, aber gleichzeitig von elektronischen Schichten durchzogen, die alles in ein anderes Licht tauchten. Ich stand einfach nur da, geflasht, und wusste: das ist eine Band, die mich ab jetzt begleitet.  Ich hab mich in ihr Schaffen mit Vergnügen tiefer reingehört…

Denn heute (03.10.2025) erscheint Destroying Ourselves for a Place in the Sun, ein vielschichtiges Album, das ich mir vorab zu Gemüte führen durfte.

Zwischen Schwere und Strahlung

Sludge ist ein Genre, das mit Gewicht arbeitet. Aber Gewicht allein ist noch keine Kunst. Viele Bands verlieren sich in endlosen Riffs, die mehr lähmen als bewegen. Modder wählen einen anderen Weg. Sie kombinieren die urgewaltige Wucht von Doom und Sludge mit einer zweiten Ebene: elektronischen, industriellen, psychedelischen Texturen, die wie Lichtstrahlen durch Betonplatten dringen. Zwischendrin gespickt mit ein wenig Grind und Djent.

Destroying Ourselves for a Place in the Sun ist ihr drittes Album – und es ist ein Statement. Sechs Tracks, die keinen Kompromiss kennen, aber auch keine Schablonen bedienen. Es geht nicht um „Sludge plus Deko“, sondern um ein organisches Geflecht, in dem Synths, Samples und Riffs eine gemeinsame Sprache sprechen.


Track für Track

1. Stone Eternal

Der Opener ist kein Warmwerden, sondern ein Türen-Eintreten. Gitarren wie Felsplatten, ein Schlagzeug, das im eigenen Tempo stampft, der Bass als tieffrequente Welle. Doch zwischen all dem Gewicht knistert es: elektronische Splitter, die wie Risse durch den Monolithen laufen. Ein perfekter Auftakt, der sofort klarstellt, dass hier mehr passiert als Genre-Standard.

2. Mather

Das Herzstück des Albums. Hier entfaltet Modder ihre volle Handschrift: Riffs, die dich erden, und Elektronik, die dich gleichzeitig aus dem Körper hebt. Ein Track wie ein Spannungsfeld zwischen Schwerelosigkeit und Gravitation. Glitch-artige Sounds flackern durch die Dunkelheit, während Gitarrenwände niedergehen. Das Resultat: Hypnose und Attacke zugleich.

3. Type 27

Ein Song, der zart beginnt und dir dann unerbittlich Bass und Drums ins Gesicht brettert, um sich dann in einen Rhythmus zu hüllen, der den Körper packt, ohne dabei die Schwere zu verlieren. Atmosphärisch erinnert er an verlassene Industriehallen, in denen Maschinen weiterarbeiten, obwohl der Mensch längst verschwunden ist.

4. Mutant Body Double

Hier zieht das Album die Schrauben an. Aggressiver, nervöser, unruhiger. Die Gitarren fräsen, die Elektronik wabert wie toxischer Rauch, der alles überzieht. Der Titel passt: ein Doppelgänger, ähnlich, aber verzerrt, mutiert, gefährlich. Ein Stück, das beunruhigt und gleichzeitig elektrisiert.

5. Chaoism

Das psychedelische Zentrum. Struktur zerfällt, Klang wird zur Landschaft. Stille und Eruption wechseln sich ab, Noise und Fläche greifen ineinander. Wer nur auf Riffs wartet, verpasst hier die eigentliche Magie: den Moment, in dem Zeit bedeutungslos wird. Chaoism ist kein Song, sondern ein Zustand.

6. In the Sun

Das Finale trägt Hoffnung im Titel, aber nicht im klassischen Sinn. Die Dunkelheit bleibt, doch sie verändert ihre Form: weniger drückend, mehr kontemplativ. Elektronische Wellen schieben sich nach vorn, fast wie ein Sonnenaufgang in Schwarzweiß. Quasi das vertonte Album Cover. Der Track endet nicht in Erlösung, sondern in Offenheit – als Einladung, selbst weiterzudenken.


Produktion & Klang

Aufgenommen zwischen Star Farm Studios und Place of Residence Studios, gemischt von Mathlovsky, gemastert von Brad Boatright – die Eckdaten sprechen für sich. Doch was wirklich zählt: die Balance.

Die Gitarren haben Druck, ohne den Raum zu erdrücken. Der Bass vibriert wie eine zweite Schicht unter den Songs. Das Schlagzeug klingt erdig, organisch, nie steril. Und die Elektronik? Sie steht nicht daneben, sondern wächst mitten aus den Riffs heraus.

Genau das macht das Album besonders: die nahtlose Verschmelzung. Viele Bands experimentieren mit Samples und Synths, doch oft wirkt es wie ein Fremdkörper. Bei Modder ist es DNA.


Das Artwork von Zevendriezeven, umgesetzt im Design von Simon Felix, ist echte Coverkunst und genau das, was der Albumtitel verspricht.

Destroying Ourselves for a Place in the Sun ist keine Metapher zum Wohlfühlen. Es geht um Selbstzerstörung als Prozess, um das Zersprengen alter Strukturen, um den Versuch, trotz aller Schwere einen Platz im Licht zu finden. Diese Spannung prägt nicht nur die Textebene, sondern jede Sekunde der Musik.


Warum Modder herausstechen

Line-up

Maurice van der Es – Bass

Gregory Simons – Drums

Mathlovsky – Guitars, Synthesizers

Simon Felix – Electronics

Jamal Talibi – Guitars

Sludge kann lähmen. Modder bewegen. Sie führen das Genre in einen Raum, in dem Brutalität und Transzendenz nebeneinanderstehen. Wo ein Riff den Kopf nach unten zwingt und ein Synth im gleichen Moment den Blick nach oben zieht.

Mit ihrem dritten Album haben Modder diesen Raum endgültig definiert. Es ist keine Kopie des Vorgängers, keine bloße Variation, sondern eine klare Weiterentwicklung. Wer sie bisher noch nicht kannte, wird hier verstehen, warum sie in kürzester Zeit zu einer Referenz im europäischen Doom/Sludge aufgestiegen sind.


Fazit

Destroying Ourselves for a Place in the Sun ist ein Monument. Keine Platte zum schnellen Konsum, sondern ein Werk, das fordert und belohnt. Wer sich darauf einlässt, findet eine Musik, die gleichzeitig in den Körper fährt und den Geist öffnet.

Für mich bleibt dieser erste Flash-Moment in der Scheune lebendig – Modder haben mich umgerissen. 
Danke, Jungs, für dieses Album, das Sludge neu denkt und dabei eine Intensität entfaltet, die man so schnell nicht vergisst.

Label: Consouling Sounds / Lay Bare Recordings

VÖ: 3. Oktober 2025


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Filed under: Album Reviews, Metal, Sludge, ,

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