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Bob Geldof & The Boomtown Rats in Mönchengladbach, 18.11.2025

(pe) Das Betreten des neuen NEW Box – Clubs in der Nähe der SparkassenPark-Arena Mönchengladbach ist zunächst etwas befremdlich: mit Jeans und Bandshirt bekleidet stelle ich eher die große Ausnahme dar zwischen all den in feinen Zwirn gewandeten Herren und in schicker Abendgarderobe gekleideten Damen und frage mich in meinem Underdressing, was denn eigentlich hier los ist, standen die Boomtown Rats doch einst für Punk, New Wave oder zumindest Rock´n´Roll und nicht für Wiener-Opernball-Vibes! Aber der Schein trügt halt wie so oft im Leben, wie sich im Laufe des Abends herausstellen sollte, und die ungewöhnliche Garderobe war vermutlich dem Organisator dieses Ausnahme-Abends (einziges Konzert der Jubiläumstour außerhalb Großbritanniens, und dazu noch kombiniert mit einem Interview-Vortrag von Sir Bob höchstpersönlich) in Mönchengladbach geschuldet:

zunächst beglückte uns das Programm des vom Initiativkreis Mönchengladbach auf die Beine gestellten Abends (dieser Initiativkreis holte unter anderem schon den Dalai Lama, Kofi Annan und Jane Goodall nach Mönchengladbach) mit einer kompletten Stunde Interview, in dem Bob Geldof über seine Jugend, die Entstehungsgeschichte der Boomtown Rats, die Hintergründe zum Song „I don’t like Mondays“, wie es dazu kam, dass er den „Pink“ in Pink Floyds Spielfilm „The Wall“ spielte, und natürlich ausführlich über die Entstehung von Live Aid in 1985 referierte und dabei unzählige und unglaubliche Anekdoten zu seinen Begegnungen mit den Größen der Musikgeschichte zum Besten gab – ruhig, ultrasympathisch und tiefenentspannt erzählte er kaugummikauend (das Kaugummi wurde auch beim anschließenden Gig nicht aus dem Mund gelegt) mit einem Dauergrinsen im Gesicht – und zwei der schönsten Anekdoten möchte ich dem geneigten Leser nicht vorenthalten:

  1. Der Niedergang der Boomtown Rats in den USA bevor der Aufstieg überhaupt angefangen hatte:
    das Label der Boomtown Rats wollte die Band nach ihrem Erfolg in Europa auch in den Staaten etablieren und schickte sie auf Tournee in die USA. Auf die Frage hin, wie der Bekanntheitsgrad der Rats dort gesteigert werden könnte hatte ein findiger Radio-DJ aus Chicago die perfekte Antwort: „Wir schicken Eure Platte einfach an DJs sämtlicher bekannter Radiostationen, und wenn Ihr gespielt werdet, läuft das wie von selbst. Und damit die Jungs auf die Platte aufmerksam werden, habe ich eine brillante Marketing-Idee!“
    Diese „Idee“ beinhaltete den Kauf von 300 toten Ratten bei einem Tierversuchslabor, die der Mann aus Chicago jeweils in einen formaldehydgefüllten Beutel luftdicht verpackte und dann einen gewissen Jungen (!) damit beauftragte, die Beutel an die Platten zu tackern, einzutüten und an die entsprechenden Adressen zu senden – mit dem Ergebnis, dass die Radiostationen beim Anblick der Ratten-Leichen sofort die Beutel samt Platte in die Abfalltonne schmissen – „and that was the end of our career in the USA before it even started!“ lacht Bob Geldof ins Mikro, hat aber noch den eigentlichen Knaller zu dieser Story in der Hinterhand: denn es stellte sich heraus, dass der heutige Papst Leo XIV. (bürgerlicher Name: Robert Francis Prevost, geboren am 14. September 1955 in Chicago, Illinois) eben der Junge war, der die Rattenbeutel an die Platten tackern musste!!!!!
  2. Roger Waters wird zum Verstummen gebracht:
    Bob Geldof, der sich so gar nicht als Schauspieler wähnte, wurde quasi dazu gedrängt, die Hauptrolle des Pink in Pink Floyd´s „The Wall“-Spielfilm zu übernehmen. Eigentlich wollte Superego Roger Waters die Rolle selbst spielen, aber seine Bandkollegen untersagten dies mit einem einstimmigen und deutlichen „Nein!“.
    So also traf Geldof mit Waters zusammen, und letzterer wollte aus Geldof herausbekommen, warum genau er denn unbedingt diese Rolle übernehmen wolle und erwartete eine künstlerische, philosophische, irgendwie für ihn tief überzeugende Antwort, während Geldof, der für die Musik von Pink Floyd gar nicht so viel übrig hatte, lapidar antwortete: „Hey, I´m just in it for the money!“ und damit Herrn Waters abrupt stummschaltete.

Ich hätte Bob Geldof noch stundenlang weiter zuhören können, aber die Zeit lief davon, und immerhin stand noch ein Gig bevor. Für den Umbau flimmerte dann ein zwanzigminütiger Film über die Boomtown Rats über die Leinwand, zu dessen Ende dann schließlich die Band ihre Bühne betrat.

Und hier lässt sich feststellen: betritt Bob Geldof die Bühne als Sänger, so erlebt man ihn wie verwandelt. In dem knapp 1,5 Stunden langen Gig mit seinen Rats ist sie plötzlich wieder da: die unbändige Punk-Wut auf’s Establishment und die Ungerechtigkeiten in dieser Welt und natürlich auch die politische Situation weltweit hat sich urplötzlich wieder ihren Weg in den Sänger gebahnt, und wie ein zorniger Tiger bewegt er sich über die Bühne und schreit mit unverstellter Attitüde all seine Wut heraus mit einer Bühnenpräsenz, die ihresgleichen sucht. Er wirft sich auf die Knie, die Hände gen Himmel gereckt, er stolpert fast manisch in seine Mundharmoniker blasend über die Bühne, er animiert das Publikum, mit ihm zusammen ein anarchistisches „Me and you against the whole fucking world!“ anzustimmen – aber auch in den andächtigen Momenten wie dem alles überragenden „I don´t like Mondays“ (ein Song, der heute noch fälschlicherweise als Hymne auf die Frustration im Arbeitsalltag interpretiert und gesungen wird, der aber eigentlich von einem Schul-Amoklauf in den USA handelt, in dem ein 16jähriges Mädchen zwei Menschen mit einer Waffe tötete und zahlreiche Kinder verletzte und auf die Frage nach dem „Warum?“ voll überzeugtem Nihilismus antwortete „I don´t like Mondays“) weiß er mit seiner Präsenz das Publikum derart zu fesseln, dass man die berühmte Stecknadel locker würde fallen hören können.

Dabei unterstützen ihn zwei seiner Rat-Mitglieder aus der Originalbesetzung, die ihn seit nunmehr 50 Jahren begleiten: Simon Crowe am Schlagzeug und Pete Briquette am Bass plus zwei Gitarristen, ein Keyboarder und ein Percussionist. Und die siebenköpfige Kapelle macht bei herausragendem Sound derart mächtig Dampf, dass es die eingangs als etwas schickimicki bezeichnete Gesellschaft direkt bei den ersten Tönen vom Klassiker „Rat Trap“ aus ihren Stühlen reißt und die Menge an den vordersten Bühnenrand drängt, um die Boomtown Rats gebührend abzufeiern. Geldof goutiert dies mit äußerst viel Kommunikation zum Publikum, zeigt sich total nahbar, verliert dabei jedoch nie aus den Augen, seine Message zu transportieren: „Wir sind Viele! Wenn wir etwas an den Missständen in dieser heutigen Welt verändern wollen, dann können wir das schaffen: Zusammen!“ Er, ein armer und einst unbedeutender „Lad“ aus Dublin hat es geschafft – und zwar gleich mehrfach: 1984 mit der Band Aid-Aufnahme der Benefizsingle „Do They Know It’s Christmas“ und natürlich (zusammen mit Midge Ure) 1985 mit dem monumentalen Live Aid Konzert auf zwei Kontinenten, zudem (gemeinsam organisiert mit Bono von U2) mit Live8-Konzerten im Juli 2005, die gleichzeitig an 10 verschiedenen Orten in der EU und Südafrika realisiert wurden.

Am Ende wird der Abend abermals etwas irritierend, denn die Band spielt als letzten Titel des Sets „The Boomtown Rats“ – allerdings als synthielastige Dance-Version, während Geldof das Publikum mehrfach zum Mittanzen animiert … verwirrend insofern, als Geldof im Interview noch mehrfach zum Besten gab, wie sehr er doch Disco-Musik verabscheue…

Nun ja, nach drei Stunden voller Abwechslung, mehrfachen nostalgischen Eintauchens in musikalische Weltgeschichte, einem komplett mitreißenden Konzert und satten 50 Jahren Boomtown Rats mit einem 74jährigen Bob Geldof, der vor Energie nur so vibrierte, verzeiht man locker auch diese etwas groteske Tanzeinlage, und als die sieben Mannen sich zur Verabschiedung am Bühnenrand aufbauen, erhalten sie ihren absolut verdienten frenetischen Beifall.

Was für eine Ehre, die Band (mit drei Mitgliedern der Originalformation!) und Bob Geldof, diesen Mann, der so viel in der Welt bewegt hat, einmal hautnah erleben zu dürfen!
Danke, Ihr Boomtown Rats – und danke, Bob!  (peter)

 

Setlist:

Rat Trap

(I Never Loved) Eva Braun

Like Clockwork

(She’s Gonna) Do You In

Monster Monkeys

Someone’s Looking at You

I Don’t Like Mondays

Against the World

She’s So Modern

Diamond Smiles

The Boomtown Rats

Filed under: 70s, Konzertphotos, Live Reviews, Punk, Rock, , , , ,

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