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Freak Valley Festival 2023 Freitag

Rockblog Bluesspot Group Photo ©Robert Lesic

Orsak:Oslo (NOR/SWE)

(ju) Nach dem eher rifflastigen, brüllenden Opener gestern Nachmittag fällt der Weckruf am heutigen, zweiten Festivaltag um 13:30 Uhr vergleichsweise sanft und katerfreundlich aus. Orsak:Oslo aus Norwegen und Schweden entführt die treue Festivalgemeinde, auf die selbst nach einer kurzen Nacht bei 28 Grad im Schatten noch Verlass ist, mit höchst atmosphärischem, leicht melancholisch angehauchten Space- und Post-Rock in eine herrlich verträumte Instrumentallandschaft, sodass manch einer bald zu zweifeln beginnt, ob er tatsächlich wach ist. Hier und da tauchen Erinnerungen auf an die frühpsychedelische Pink-Floyd-Ära, und der heimliche Wunsch kommt auf, dass dies wirklich nur ein Traum ist, aus dem wir bitte, bitte noch nicht erwachen möchten. Gut, dass das nordische Quartett nach zehn EPs aus den letzten neun Jahren heute ihren ersten, frischen Longplayer „In Irons“ mit zum Siegerländer Merchandise-Stand gebracht hat (sowie live unter anderem das daraus stammende, vergleichsweise fröhlich-flotte „079 Dutchman‘s Wake, Pt. I“): So können wir uns auch zukünftig Immer mal wieder zurück in diese herrliche Traumlandschaft katapultieren.

Earth Ship (Berlin)

(ju) Im Anschluss legt Earth Ship mit seiner knarzigen Düsterdoom-Sludge-Symbiose zugleich eine fuzzige Lässigkeit an den Tag, dass sie schnell die Herzen der Festivalbesucherinnen und -besucher gewinnen. Die eingefleischten Fans wissen bereits, was auf sie zukommt, werden an diesem brütend heißen Nachmittag jedoch wieder einmal aufs Neue vom Sog dieses Berliner Trios überrumpelt. Wer bei dem massiven Groove von „Resonant Sun“ nicht mindestens mit Kopf und Fuß herzhaft wippt, am besten aber seiner Begeisterung mit dem gesamten Körper Ausdruck verleiht, sei hiermit offiziell als Kulturbanause und Spaßbremse gebrandmarkt. Wie kann eine einzige, durchgängige Hookline mit vergleichsweise wenigen Tönen eine derartige Wirkung aufs lymbische System erzeugen? Neben einem Händchen für ein durchdachtes Songwriting liegt dies nicht zuletzt an André Kleins beherzt-treibendem Schlagzeugspiel. Jan Oberg überzeugt mit heiserer Stimmkraft, während seine Gattin Sabine in ihrem leicht transparenten Kleid wie ein entrücktes Zauberwesen den Bass in unsere Glieder fahren lässt. Earth Ship – selbst unter gleißender Sonne eine gnadenlose Liveband! 

Kamchatka (S)

(yv) Alles andere als das, was der Name vielleicht vermuten ließe, nix da mit kaltem pazifischem Wind oder gar Frost, nein – warmer, staubiger, voluminöser, grooviger Heavy Blues weht uns um die Zotteln.
Thomas Juneor Andersson, hauptamtlicher Masseur der Señoras Ibanez und Leadgesang, Per Wiberg, der vielseitige Tausendsassa am Bass und weiteren Vocals sowie der Hüne Tobias Strandvik an der Batterie beehren das Tal und verbreiten mit ihrer sommerlichen Gute-Laune-Mucke prima Tanzstimmung unter strahleblauem Himmel und dursterweckender nachmittäglicher Freitagssonne.
„Let It Roll“, einer der dargebotenen Titel vom letzten Album, scheint sowas wie das geheime Motto der Show zu sein, es knarzt und singt die Gitarre, die Drums lassen sozusagen die Zügel locker und der Bass galoppiert fröhlich und mit einem gewissen Augenzwinkern durch die Walachei, Yee-Haww.
Ehrliche geradeaus-Mucke für Freaks aller Altersklassen ohne übertriebene Schnörkel oder unnötigen Firlefanz; da spielt eine Band, die immer wieder Mords Spaß macht, selbst der Weg zum Bierstand und zurück erfolgt unter Wippeinsatz in den Kniegelenken und im Nackenbereich. Da capo!

Steak (GB)

(KiS) Ich für meinen Teil esse Fleisch. Sternzeichen Löwe. Und ebenfalls, da ja wirklich genügend musikalischer Input vom WDR angeboten wird, kümmere ich mich mehr um Anekdoten aus dem Background. Verbringen schon den ganzen Tag Backstage und schlagen Zeit tot. Sie werden nachher also gut abgehangen auf der Bühne stehen. Die Briten trinken um 13 Uhr schon Bier wenn ich mich nicht irre. Mit der Hitze kommen die schwarz gekleideten Herren außerdem gut zurecht. Angepasst an Mittags Temperatur betritt Reece die Bühne direkt ohne Shirt. Es wird losgelegt und im Stakkato wird eine mitreißende Performance abgeliefert. Die Freaks auf der Wiese kommen so richtig ins schwitzen. Nach den doomigen Earth Ship die mächtigste Soundwolke die da von den Brettern wogt.

Die Jungs haben einen Haufen guter Bekannter im Laufe des Tages begrüßt. Es wird gut gegessen und damit haben die Englander eine super Trinkgrundlage, sie wollen ja auch noch am späten Abend, 23:35, den Headliner (the) Melvins zusammen aus der Menge heraus sehen. Für mich die Nr. 2 unter den Time-of -my -life Backstage Bands, nur der Hüftschwung und die Polonaise durch die Bierbänke des Zeltes fehlte dann doch.

Pontiak (KiS) 3 Brüder, und zwar nicht nur im Geiste. Van Carney (vocals, guitar), Lain Carney ( drums – Um sich optisch zu differenzieren, hat sich Jennings ( Bass) den  Bart abrasiert. Auch einige andere haben Haare gelassen, seit ich die Band das letzte mal beim Roadburn ansichtig war. So ein Markenzeichen der Band eigentlich. Eine Wette? Ein Streben nach Individualität? Es schadet auf jeden Fall der Harmonie on stage in keiner Weise. Die 3 tun erst ganz harmlos und dreschen hüpfen und wirbeln den frühen Nachmittag dann so dermaßen durcheinander, dass man aus dem Schweiss der Menge schon ein ordentliches Bier brauen könnte. Das machen die drei, als eine Art Hinterwäldler bekannten Burschen, nämlich noch so nebenbei. Tomorrow is forgettin? – Nein niemals, und falls doch, einfach nochmal beim WDR reinkucken.

(vo) Zwischendurch 20 Minuten The Mad Hatter: die drei gestandenen Herren aus dem Siegerland, Heiko-Schlagzeug, Olaf-Harmonika und Tommy aus unserer Bühnencrew an der Cigarbox und der „normalen“ E-Gitarre und Gesang, spielten in Höhe unserer Cocktailbar, die aus Holz besteht, genau wie die Band-Tourkiste und die Cigarbox. Sie rabaukten, röhrten, slideten, harpten und groovten aber keinesfalls einen gefällig passenden Cocktailbar Blues, sondern den dreckigst möglichen rauen Stoff im Sinne von Straßenstaub Blues, der an der Crossroad irgendwo in Mississippi mit dem Teufel in den 1930er Jahren durch Robert Johnson einen Bund einging! Und hier bei uns eben in der Nähe der leicht versetzten Crossroad/Kreuzung Weiherdamm – Kölner Strasse und Auf Den Weiden. Die Außentemperatur passte in Mississippi und hier auch zusammen, Luftfeuchtigkeit nicht ganz. Das Trio holzte neben dem Straßenstaub Blues auch bestmöglichen Juke Joint Blues in die vor der Bühne versammelten Freaks, Holldrio, war das ein Fest für die Seele. Ganz eigene Cover-Interpretationen von z.B. Otis Taylor, R.L.Burnside, Townes van Zandt, 16 Horsepower. GROSSARTIG! Und auch am Samstag gab es zwischen durch nochmal Kostproben ihres Könnens, wieder begeistert gefeiert.

Seedy Jeezus (AUS)

(yv) Der wahrscheinlich emotionalste Auftritt 2023. Und für viele meiner Bekannten und Freunde vor Ort einer der musikalisch besten ohnehin.

Lex (guit), Paul aka Barry (bass) und Mark (drums) waren Anno 2015 schon nach der wahrscheinlich weitesten Anreise aus Melbourne auf unser aller Lieblingsfestival zugegen, haben damals grandios abgeliefert (entsprechende Live-LP liegt bei Rock Freaks Records zum Beweis vor) und abgefeiert, sich jede Menge Freunde und Fans gemacht und haben seitdem darauf gewartet, endlich wieder Siegerländer Luft zum Schwingen zu bringen.

Bluesiger Hardrock, Frickel-Stoner, Classic Schuppenschüttelmucke, Professur in Riffologie, einfach krass genial, whatever. Stromgitarrenmeisterschaft, Dreier-Bandchemie vom Feinsten, mal haudrauf was geht, mal richtig sachte und gefühlvoll. Da wird auf Effektgeräten rumgekniedelt und selbigen schräges Pfeifen und Gluckern entlockt, dann bollert der Bass und die Lehrstunde „was man alles mit einer Gitarre anstellen kann, wenn man mit ihr verwächst“ könnte von mir aus endlos weitergehen.

Und niemandem, wirklich niemandem außer Seedy Jeezus hätte ich ein dermaßen wahnsinniges, mitreißendes und „druckreifes“ Cover von Voodoo Chile zugetraut. Boah, das war eine Hommage – wie es sich gebührt, sehr oft versucht, seltenst in dieser herausragenden Qualität und Virtuosität erreicht.

Überschwängliche Freude, Dankbarkeit und Rührung, die Herren lieben was sie tun und werden dafür von der Menge zurückgeliebt.

Bei diesem Auftritt schwebt man als Teil der Massen schon mal musik-, atmosphären- und bierbeseelt drei Millionen Lichtjahre mit Gänsehaut geistig von dannen, hüpft und schüttelt, vom astreinen Sound gefesselt, schwingt, pfeift und plärrt seine Begeisterung aus vollem Halse gen Bühne und bleibt danach bis unters Dach vollgestopft mit Endorphinen schier schon debil grinsend zurück, driftet zum (schon schwer geplünderten) SJ-Merch-Stand und wartet brav auf seine Gelegenheit, mannigfaltigen Lobeshymnen und Bewunderung Ausdruck zu verleihen.

Hoffen wir mal, dass es nicht nochmal so lange dauert, ehe wir eine neue Runde Lex, Mark & Paul auf die Ohren bekommen.

King Buffalo (USA)

(ju) Sänger Sean McVay wirkt nach einigen technischen Problemen auf der Bühne zunächst etwas unentspannt – recht konträr zu seiner ansonsten gewohnt entspannten, herrlich warmen Stimmfarbe. Man mag es ihm nachsehen, immerhin kam er mit verletztem Fuß und Krücke auf dem Festival an, wovon er sich auf der Bühne jedoch nichts anmerken lässt, wenn er sich zwischen Gitarre und Synthesizer ohne Gehhilfe hin- und herbewegt. Bassist Dan Reynolds scheint wie immer die Sonne aus dem Allerwertesten, er hat sichtlich Spaß und lacht viel, und Scott Donaldson geht hinter dem Drumkit auf wie die Sonne über dem epischen, neunminütigen „Firmament“. Das Trio aus Rochester in New York startet mit ihrem Ohrwurm-Hit „Silverfish“ und hat die Menge damit sofort im Griff. Wäre ich in Hape Kerkelings Satire „Kein Pardon“ und würfe eine Münze in den Glücksmelodie-Automaten, würde der rote, sprechende Kasten exakt diese ersten Gitarrentöne als meine persönliche Glücksmelodie ausspucken! (Wer wissen möchte, was ich hier fasele, googele „Kein Pardon Glückmelodie“ in der Video-Suche.) King Buffalo spielt heute Abend ausschließlich Titel aus ihrer sogenannten Lockdown-Trilogie „Acheron“, „The Burden of Restlessness“ (beide 2021) und „Regenerator“ (2022). Eine abwechslungsreiche Auswahl von Up-Tempo-Hopsnummern („Hours“) und verträumten, hypnotisierenden Entschleunigern („Loam“, „Shadows“), über sich aufbauende, psychedelische Soundwälle („Mammoth“, „The Knocks“) bis hin zum sphärischen, progressiven Zehn-Minüter „Cerberus“ als Abschluss an diesem sich endlich abkühlenden Abend. Seelenschmeichelei, die verdammt gut tut.

Earthless (USA) (jm) Sie sind wieder da! Nachdem ihr Besuch 2015 mit „Live at Freak Valley“ bereits eindrucksvoll auf Vinyl verewigt wurde, geben sich die Herren Isaiah Mitchell, Mike Eginton und Mario Rubalcaba erneut die Ehre. Zugegeben – leicht verdaulich ist das nicht und es kann schon mal passieren, dass ein Konzert der Kalifornier gefühlt aus nur einem endlosen Song besteht. Aber wenn man sich auf den Flow einlässt, den die drei Herren entwickeln, dann gibt es kein Entkommen. Was der ehemalige Profi-Skateboarder Mario Rubacalba am Schlagzeug als Rhythmusgerüst vom Stapel lässt, grenzt ohnehin an Leistungssport, Mike spielt dazu den Bass mit stoischer Präzision und Isaiah scheint ohnehin die ganze Zeit zu wissen was er tut und was als nächstes kommt. Der Flow. Earthless, abgehoben, davonschweben garantiert. Danach müsste eigentlich gar nichts mehr kommen und man würde sich nach der Landung nochmal ein neues Bier holen. Doch da kommt gleich noch was hinterher – Die Melvins! Ein neues Bier holen wir uns aber jetzt trotzdem. Nur vorsichtshalber…

Melvins (USA) (jm) Das mit dem Bier macht auch bei den Melvins total Sinn, denn die schon 1983 von Buzz Osborne (Gitarre & Gesang) an der High School von Montesano/ Washington gegründete Band passt in keine Schublade. Oft wurde versucht, sie mit Grunge, Doom, Metal oder Stoner Rock in Verbindung zu bringen, aber das trifft nur teilweise zu. Ein oft sehr langsames Tempo ihrer Songs ist durchaus ein Markenzeichen, auch die groteske Experimentierfreude, die schon dazu führte, fast ganze Alben mit Loops und Feedbacks zu füllen. Es sind einfach die Melvins in ihrer eigenen Nische der Rockmusik. Heute Abend zelebrieren Master und Gründer Buzz Osborne, Dale Crover am Schlagzeug und Steven McDonald am Bass den typischen Melvins-Sound. Und die nunmehr vierzigjährige Legende lässt sich nicht lumpen und liefert ein musikalisches Potpourri durch die lange Bandgeschichte. Und das fällt gar nicht mal sooooo langsam, aber dafür mit jeder Menge Power aus. Osborne schüttelt sein inzwischen ergrautes Haupt, Steven McDonald malträtiert in komplett rotem Outfit den Bass und an der Melvins-Schießbude drischt Crover auf die Felle ein, dass es eine wahre Freude ist – ganz abgesehen vom aggressiven Gesang. Da hat offensichtlich niemand was verlernt und gegen 0:45 Uhr wird das von Sonne und Musik aufgeheizte Publikum in die Nacht entlassen. Ein essenzielles Album der Melvins stammt aus dem Jahre 1993 und heißt „Houdini“. Ähnlich verzaubert sinken die Fans wohl wenig später auf ihr Nachtlager, wo auch immer das ist…..(judith, kirsten, yvonne,jensmueller,volker)

 

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Gavial - Broken von ihrem neuen Album "Thanks, I Hate It", das am 23.01.26 erscheint

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