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Trippin Sonic Explorers – Deep State

(pe) „Keine Macht den Drogen!“
Dieser Slogan ist nun nicht wirklich ein tragfähiger Leitspruch für das diesem Album zugrundeliegende Selbstexperiment – ganz au contraire:
das Bielefeld/Kiel-Projekt mit den drei Protagonisten Uwe Erdnuss (Gitarre, Synth, Drums, Bass), Ernesto (Drums, Gitarre, Synth, Bass) und Der Seebär (Bass, Drums) setzte sich im Dezember 2023 zusammen und jammte insgesamt 5 Stunden musikalisches Material unter dem Einfluss diverser psychedelischer Substanzen zusammen.

Aus dem Füllhorn an Material destillierte die Band schließlich eine Stunde an Material, das nun auf (schon ausverkaufter) CD in Vinyloptik sowie als digitaler Download über ihren Bandcamp-Account erhältlich ist.

Wie es sich für ein Experiment gehört, sind die resultierenden acht Tracks in chronologischer Reihenfolge der Aufnahme auf das Album gebracht, was dem Hörer die Möglichkeit eröffnet, mit zunehmender Spielzeit die ebenso zunehmende Wirkung oben erwähnter Substanzen akustisch zu verfolgen und dabei zu beobachten, wie sich die Jams hinten heraus ausschweifend trippiger und über die Zeit schließlich auch zerstörerischer entwickeln.

Herausgekommen ist dabei auf jeden Fall ein buntes Universum instrumental-psychedelischer Vielfalt, das sich wunderbar hören (unter bestimmten Umständen vielleicht sogar sehen) lässt…

Im ersten der acht mit kryptischen Zeitangaben als Namen versehenen Songs beobachtet man entgegen der Erwartung absolut kein wildes Durcheinander, sondern äußerst regelmäßige Oszillationen zwischen aktiven und ruhigeren Passagen mit immer im Vordergrund schwebenden Gitarren, deren Flow perfekt durch stimmungsvolle Out-of-Space-Effekte der Synthies ergänzt wird.

Nach knapp sieben Minuten ist der Tisch für den Start in universelle Sphären bestens vorbereitet und der Hörer wird die nächste Viertelstunde lang, beginnend mit einem ruhigen Intro, das ihn aus der Erdatmosphäre emporhebt in die Kälte und Dunkelheit des Alls, staunender Insasse und Zeuge eines intergalaktischen Roadtrips.
Härtere, tiefverzerrte Gitarren nehmen nach dem Intro Fahrt auf und entfachen einen Schub, der die Lichtpunkte der Sterne in vorbeiziehende Streifen verwandelt. Füße und Kopf des Hörers wippen dabei unkontrollierbar mit zu einem elektrisierenden „Sound of Speed“.
In der Mitte des Jams halten wir dann leicht erschöpft an der ersten galaktischen Tankstelle und können zu leichten Gitarrenklängen kurz durchschnaufen, bevor uns der frisch eingetankte Superfuel wieder beschleunigt bis zu einem fetten Wah-Wah-Crescendo am Ende der ersten durchstreiften Galaxie.

Nach fast identischem Muster, allerdings kondensiert in ein Drittel der Laufzeit des ersten Songs, operiert auch „23:08“ – nur um mit dem folgenden zweiten epischen Jam mit seiner fantastischen Vielfalt an Rhythmus- und Stimmungswechseln, von brachial zu harmonisch und wieder zurück, gleich einer unendlichen galaktischen Schiffschaukel hin- und hergeschwungen zu werden. Und als die Schaukel nach 11 Minuten fast zum Stillstand kommt, reißt uns der erste wirklich zerstörerische musikalische Ausbruch aus unseren Träumen, wir springen zurück in unseren Raumkreuzer und die drei Piloten treten gegen Ende bleifußartig auf´s Gaspedal, um uns mit peitschenden Drums und Gitarren zum nächsten Halt unserer Reise zu bringen…

„0:49“ ist mit über 15 Minuten der direkt folgende nächste epische Track und markiert einen Wendepunkt in der Dramaturgie des Albums: Erdnuss, Ernesto und Seebär dekonstruieren die bisherige musikalische Stringenz des Albums (bewusst oder unbewusst – man weiß es nicht): elegische, reduzierte Klänge zu Beginn werden abgelöst durch Wah-Wah-Einlagen und gar einer kurzen Rock´n´Roll-Sequenz, wiederum direkt gefolgt von einem synthieeffektgeladenen Tempo-Einbruch, um am Ende wieder kurz die Schubdüsen zu zünden und dem saugenden schwarzen Loch der Verwirrung zu entrinnen.

„3:35“ ist eine Noise-Collage, die auditiv irgendwo zwischen Orientierungslosigkeit und Angstzuständen flotiert.

„4:10“ wiederum findet (nach einem überraschenden Vocal-Part mit knackiger Kurzkritik an Fake-News und Zionismus-Hetze – gegen den Hetzer gerichteter O-Ton: „Ach halt doch einfach Deine dumme Fresse!!!“) zurück in ruhigere Gefilde und bereitet damit das Finale vor.

Im finalen Track findet schließlich die eingangs erwähnte musikalische Zerstörung statt: hier entfachen die eingenommenen Substanzen hörbar eine destruktive Dekonstruktion des zuvor eher melodiösen und rhythmengetriebenen Klangspektrums, was bleibt ist eine multiinstrumentelle Distortion-Klanglandschaft, ein „Downer“ am Ende eines zuvor größtenteils farbenfrohen Roadmovies.

Als konsequente Fortsetzung des auf der dunkeln Yin-Seite musikalisch durchaus gelungenen Experiments wünscht sich der Autor dieser Rezension in der Folge nun den Yang-Counterpart in Form einer allerhöchstens durch Koffein beeinflussten Jam-Session!

Es wäre höchst interessant zu hören, wie die beiden Werke sich unterscheiden oder vielleicht sogar kongenial ergänzen würden … (peter)

Weblinks

https://trippinsonicexplorers.bandcamp.com/album/deep-state

Tracklisting

1. 21:33
2. 22:38
3. 23:08
4. 23:42
5. 0:49
6. 3:35
7. 4:10
8. 5:16

Filed under: Album Reviews, Psychedelic, ,

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Gavial - Broken von ihrem neuen Album "Thanks, I Hate It", das am 23.01.26 erscheint

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