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KAISER CHIEFS – Kaiser Chief’s Easy Eighth Album

(ju) In meinem früheren Wochenend-Zuhause, dem Meyer in Siegen, wartete ich samstags immer die Mitternachtsstunde ab, bis die Musik endlich härter wurde und in Riffs von Machine Head, Nine Inch Nails und Tool überging, wo es für mich dann kein Halten mehr auf der Tanzfläche gab. Bis dahin gab es nur wenige Songs und Bands, die mich vor zwölf zu übermäßiger Bewegung animierten. Die KAISER CHIEFS stellten mit ihren damaligen Hits „Oh My God“ und „I Predict a Riot“ von ihrem Erstlingswerk „Employment“ aus 2005 eine solche Ausnahme dar, hier zappelte ich auch mal fröhlich zu Indie-Rock ab. 

Daher stellt es für mich heute eine interessante Angelegenheit dar, mir über zwanzig Jahre später das neueste, nunmehr achte Album des 2000 formierten Quartetts aus Leeds anzuhören. (Zugegeben, mein erster Gedanke war: „Die gibt‘s noch?“) Schnell wird klar: Zwanzig Jahre ist eine lange Zeit. In zwanzig Jahren kann viel passieren, kann sich viel verändern. Sound zum Beispiel. Wenn dem Indie Rock sowohl das Indie als auch der Rock abhanden gekommen ist und mit ihm ein Großteil des Schlagzeugs und die gewisse Portion Rotz. 

„Kaiser Chiefs‘ Easy Eighth Albumbeinhaltet funkige Rhythmen, catchige Melodien und weitestgehend simple Texte, die zum Mitsingen einladen – bei jeder Menge teils kitschig anmutendem (Retro) Dance Pop. Wüsste ich nicht, dass dies die KAISER CHIEFS sind, würde ich niemals auf die Idee kommen, dass dies die KAISER CHIEFS sind.

Tracks wie „How To Dance“ und „Feeling Alright“ sind so weit vom Rock’n’Roll-Garagen-Charme der ursprünglichen Band entfernt wie unsere derzeitige Bundesregierung von ihrem Volk. Vielleicht liegt es daran, dass der US-amerikanische Musiker und Produzent Nile Rodgers bei der Single „Feeling Alright“ seine Finger im Spiel hatte. Der „Hitmaker“ zeigt sich u.a. für die Produktion von Klassikern wie David Bowies „Let‘s Dance“ und „China Girl“ verantwortlich sowie für Madonnas „Material Girl“ und „Like Virgin“. Er war es auch, der mit Amir Amor (Sam Smith, Ed Sheeran) einen weiteren Mega-Pop-Produzenten mit an Bord holte, der daraufhin am gesamten Album mitwirkte.  

Der kreativste und ausgelassenste Titel ist vermutlich „The Job Centre Shuffle“ mit interessanten Grooves und vielfältigem Gesang, der einen gewissen Drive mitbringt und die Mundwinkel nach oben zieht. Unweigerlich geht mir durch den Sinn, dass dieser Song in die Hände der (alten!) Gorillaz sein ganzes Potential entfaltet hätte.

Die Lieder, die noch am ehesten an die Wurzeln der Band erinnern, sind zum einen das von Simon Rix’ Bass getriebene „Reasons To Stay Alive“, das vage an die Personal-Jesus-Ära von Depeche Mode erinnert, sowie „Noel Groove“, ein musikalischer Kopfnicker Richtung Noel Gallagher, einem der frühesten Einflüsse der Kaiser Chiefs (neben Duran Duran und The Strokes), mit Gastgesang von The Cribs. Auch der abschließende Track „The Lads“ über die lebenslange Freundschaft der Band lässt vage den alten Spirit erahnen. 

Was allen zehn Songs (mit je knapp nur drei Minuten Länge) fehlt, ist die alte Direktheit, die alte Rohheit, ein bisschen vom früheren Druck des Schlagzeugs und der Gitarren. Alles wirkt seifenblasen-seicht, vernebelt bzw. verglitzert vom Electronic Funky Dancefloor Pop-Pompom, bei dem vor meinem geistigen Auge unweigerlich rosafarbene My-Little-Pony-Tierchen auf Wattewolken tanzen, während ihnen Regenbögen aus den Allerwertesten scheinen. 

Andererseits – und das muss man einer der prägenden Bands ihrer Generation lassen – gibt es die KAISER CHIEFS noch, und bisher hat es jedes ihrer sieben vorherigen Alben in die Top Ten der britischen Albumcharts geschafft. Frontmann und Sänger Ricky Wilson findet passende Worte für den Zusammenhalt einer Band, die durch viele Höhen und Tiefen gegangen ist: „The most rock ’n’ roll thing we’ve ever done is to stay together.” Mehr Rock‘n‘Roll wollen sie vielleicht auch gar nicht mehr? Wilson weiter: “Ich war schon immer fasziniert von Bands, die es bis zu ihrem achten Album geschafft haben und dann richtig durchstarten konnten, wie Pink Floyd oder R.E.M. Wir beschlossen, das einfachste Album zu produzieren, das wir je gemacht haben.“ Dies ist ihnen mit „Kaiser Chiefs‘ Easy Eighth Albumgelungen. 

Wer auf elektronischen Dance Pop steht, wird in hippen Diskotheken vermutlich genauso ausgelassen das Tanzbein schwingen wie ich damals nach Mitternacht im Meyer. (Judith)

Label: V2 Records / Bertus

VÖ: 01.03.2024

Titel:

1. Feeling Alright

2. Beautiful Girl

3. How To Dance 

4. The Job Centre Shuffle

5. Burning In Flames

6. Reasons To Stay Alive

7. Sentimental Love Songs

8. Jealousy

9. Noel Groove

10. The Lads

https://kaiserchiefs.com

https://nfan.link/kaiser-chiefs

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Gavial - Broken von ihrem neuen Album "Thanks, I Hate It", das am 23.01.26 erscheint

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