(pe) Greenleaf sind wieder da !!!
Drei Jahre Zeit haben sich die Schweden Arvid Hällagård (Vocals), Tommi Holappa (Gitarre), Hans Fröhlich (Bass) und Sebastian Olsson (Drums) nach dem etwas sperrigen Pandemie-Album „Echoes from a Mass“ gelassen – und es wirkt, als hätten sie diese drei Jahre genutzt, um an ein Bungee-Seil gebunden kilometerweit Anlauf zu nehmen, um nun endlich loszulassen und dem Hörer mit Überschallgeschwindigkeit ihr neues Album „The Head & The Habit“ mitten in den primären auditorischen Cortex zu zimmern.
Denn „The Head & The Habit“ ist ein Album, das vor Kraft und Wucht nur so strotzt und mit „Hear The Rivers“ und „Rise Above The Meadows“ für mich eine Trilogie der Perfektion bildet und mit einer Dynamik zu Werke geht, die einem den Atem verschlägt:
Nach meditativer Übung klingt der erste Songtitel und gleichzeitig die erste Single-Auskopplung „Breathe, Breathe Out“, und der Titel mag so gar nicht zu der komplett atemberaubenden Geschwindigkeit des Songs passen, sondern klingt eher wie eine Erinnerung daran, ob des permanenten Staunens das Ein- und Ausatmen nicht gänzlich zu vergessen!
Vermutlich ist es aber genau dieses Spannungsfeld zwischen meditativ orientierten Lyrics und Aggressivität der Musik, das Greenleaf erzeugen wollen, denn laut Informationen von Sänger Arvid Hällagård übermittelt der Song eine Botschaft über die Notwendigkeit der Selbstreflexion und der Notwendigkeit zum Aufbau einer Resilienz, um in der Schnelllebigkeit unserer heutigen Gesellschaft überlebensfähig und gesund bleiben zu können: „Die Wiederholung des Refrains unterstreicht, wie wichtig es ist, sich einen Moment Zeit zu nehmen, um sich zu entspannen und negative Emotionen loszulassen. Das Gesamtthema ermutigt dazu, den aktuellen Zustand anzunehmen, das zu schätzen, was man hat, und mit einem Gefühl der Kontrolle und Akzeptanz durch das Leben zu navigieren. Diese Dinge musste ich mir in den letzten Jahren selbst beibringen. Das ist auch das Gesamtthema des Albums, der Kopf und seine Gewohnheiten (the head and its habits)…“
Der zweite Track (und die zweite Single-Auskopplung) „Avalanche“ beschreibt textlich eine Lebenserfahrung, die wohl jeder von uns in irgendeiner Form schon kennenlernen musste: „Und gerade wenn du denkst, es könnte nicht mehr schlimmer werden, kommt eine Lawine und überrollt Dich vollends“. Auch hier geht es darum, den Erdrutschen, die das zeitweilig harte und herausfordernde Leben für uns bereithält, mit Akzeptanz und ohne kraftraubenden, unsinnigen Widerstand entgegenzutreten und die Negativerfahrungen als uns formende Ereignisse in unser Leben zu integrieren statt sie zu verdrängen und ihnen permanent ausweichen zu wollen. Musikalisch stellen Greenleaf dies in „Avalanche“ mit einer Zäsur nach etwa der Hälfte des Songs dar: zunächst verwandelt sich der Track zu einem schweren Nackenbrecher, wird dann leicht bluesig und mit Gitarrensolo fortgeführt und kommt schließlich fast komplett zum Stillstand – bis am Ende eine Sound-Lawine mit Gitarrentürmen und Schlagzeugkaskaden aus der Stille herausbricht und erbarmungslos alles niederwalzt, was sich ihr in den Weg stellt.
„Different Horses“ ist der dritte Track des Albums und wiederum gleichzeitig die dritte und letzte Single-Auskopplung vor Release des Albums. „Mit ‚Different Horses‘ versuche ich, ein metaphorisches Bild drohender Probleme zu zeichnen, die im Text durch ‚Höllenpferde‘ dargestellt werden“, so Arvid Hällagård. „Das Analysieren und das Gefühl, eine schwere Prüfung im Leben bestehen zu müssen führt nur zu Verwirrung und Lähmung und unterstreicht die Herausforderung, innere Veränderungen und Zweifel zu verstehen. Sie als eine Krankheit zu verstehen, die im Körper wächst, als Art und Weise, wie unser Geist damit umgeht…“
Harter Tobak also auch textlich auch hier – und musikalisch ebenfalls wiederum perfekt unterstrichen durch einen Tempowechsel mitten im Song: die Geschwindigkeit wird abrupt auf Null gesetzt, um von da an unterstützt durch repetitive Vocals „Hear them running all over again – over and over again!“ von Schrittgeschwindigkeit über Trab bis zum finalen Galopp einer ganzen Stampede die Pferdeschar anzutreiben und akustisch die Gefahr des Überrolltwerdens durch unbewältigte Probleme bedrohlich real werden zu lassen.
„A Wolf In My Mind“ als vierter Track kommt äußerst düster daher und gibt tiefen Einblick in den inneren seelischen Struggle, den der Mensch in seinem eigenen Kopf mit seinen ureigenen dunklen Gedanken ausfechten muss („There´s a wolf in my mind – and I don´t want to have it!“) und der ihn an die Klippe zum Wahnsinn treiben kann. Melodiezerfetzende Gitarren und arhythmisches Schlagzeugfeuerwerk lassen die innere Auseinandersetzung dabei brutal hörbar werden.
Mit „That Obsidian Grin“ folgt für mich das Highlight dieses Albums: komplett reduziert auf Arvids unfassbare Blues-Stimme, lediglich leicht untermalt von Gitarre und minimalistischem Schlagzeug, brechen Greenleaf komplett heraus aus der Gewalt der ersten vier Songs und versetzen uns im Geiste in einen hitzeglühenden Blues-Schuppen irgendwo in New Orleans, in dem ein verzweifelter Mensch seinem Blues freien Lauf lässt und aus tiefster Seele von seinen Verletzungen erzählt. Näher kann man an eine Band und insbesondere an einen Sänger nicht herankommen – hier offenbart Arvid uns seine Seele und geht damit dermaßen unter die Haut, dass es noch lange nachhallt…
„The Sirens Sound“ nimmt das Tempo schließlich wieder auf und rockt durch die Thematik einer bleischweren Last, sich permanent verstellen und vorgeben zu müssen, dass alles in Ordnung ist, während niemand weiß, wie es wirklich im Inneren aussieht, und mit „Oh Dandelion“ schlagen Greenleaf erneut einen Bogen zum Blues, starten den Song mit einem großartigen Bluesriff, das im Laufe des Songs waschechtem heavy Hardrock weicht und besingen die Orientierungslosigkeit („Where did this come from and where am I?“) und Verzweiflung des Menschen in der Auseinandersetzung mit sich selbst.
Mein zweites herausstechendes Highlight (in einem Album voller Highlights!) ist „The Tricking Tree“ als vorletzter und längster Track des Albums. Drums, Bass und Tommis Gitarre verschmelzen hier perfekt zu einem einzigen groovenden Rhythmus, aber allem voran macht „The Tricking Tree“ Arvids herausragendes Songwriting überdeutlich:
„Down by the oak tree he sits on down to his knees
there´s a trick to be taught, a trick that might help him to see
And although so many have sat here and already lost
feels the tricking tree understands and might well help in his cause…“
Der verzweifelte letzte Versuch des Menschen, sich in seiner Verzweiflung Hilfe bei einer Transzendenz, einem Guru, einem Wunderheiler oder sonstigen Instanz zu suchen, wohl wissend und trotzdem ignorierend, dass vor ihm alle damit gescheitert sind und auf ihre zentrale Frage „Why???“ keine ausreichende Antwort finden konnten.
Die zweite Hälfte des Songs bestreitet Tommi mit einem herausragenden, unter die Haut gehenden Gitarren-Blues-Solo, bis der Song zunächst völlig zum Erliegen kommt und in der letzten Minute herausbricht wie der jahrelang aufgestaute Eiter eines im Körper schwelenden Geschwürs, das nun endlich aufgebrochen und für immer losgelassen werden kann.
Der finale Track „An Alabastaine Smile“ ist wiederum auf Arvids wunderbare Stimme mit minimaler musikalischer Begleitung reduziert und er skandiert
„In the scream I cried how I long for you, your alabastaine smile – oh what can I do“:
Es scheint eine Liebe oder zumindest Zwischenmenschliches zu sein, das ihn persönlich in die Thematik gestürzt hat, eine Sehnsucht nach etwas Vergangenem, das unerreichbar geworden ist und dessen Verlust es letztendlich zu akzeptieren, zu verarbeiten und schmerzlich zu überwinden gilt. Für den Hörer spielt die Ursache letztendlich eine untergeordnete Rolle, denn Greenleaf fordern mit ihrem Album dazu auf, die eigenen Dämonen zu erkennen, sich ihnen zu stellen, sie als Teil der menschlichen Lebenserfahrung zu akzeptieren und letztendlich daran zu wachsen…
Mich hat die Thematik des Albums und der Texte extrem abgeholt, wie man sicherlich aus der Rezension herauslesen kann – für diejenigen, die damit weniger anfangen können oder wollen sei gesagt: das ist auch nicht notwendig! Denn „The Head & The Habit“ lässt sich durchaus auch auf rein musikalischer Ebene als komplett wegfegendes, kraftstrotzendes geniales Heavy-Stoner-Rock-Album mit tiefen Blueswurzeln genießen. Greanleaf zeigen sich in allen Phasen und Facetten der Platte voller Selbstbewusstsein, verweben die genannten Genres meisterlich ineinander, entfesseln mit ihrer fantastischen Rhythmusgruppe um Hans und Sebastian herum, insbesondere aber von Tommis Gitarre und Arvids Gesang getrieben Klanglandschaften, die das Stoner-Genre wirklich über seine Grenzen hinaus insbesondere in bluesige Gefilde erweitern.
Und die Tatsache, dass sich hinter all den donnernden Riffs und soundgewitterartig entfaltenden Songs eine derart sensible und wirklich jeden Menschen irgendwann einmal betreffende Thematik verbirgt, macht dieses Album umso meisterlicher und zu einem der funkelndsten Sterne am aktuellen Wüsten-Himmel… (peter)
Tracklisting:
- Breathe, Breathe Out
- Avalanche
- Different Horses
- A Wolf In My Mind
- That Obsidian Grin
- The Sirens Sound
- Oh Dandelion
- The Tricking Tree
- An Alabastaine Smile
Links:
https://greenleaf-sweden.bandcamp.com/album/the-head-the-habit
Greenleaf live 2024:
Filed under: Album Reviews, Bluesrock, Hardrock, Heavy Rock, Stoner, Greenleaf, The Head & The Habit






