(pe) Nachdem ich ganz unbedarft und ohne je von der Band gehört zu haben den Rockpalast-Livestream des Auftritts von Seedy Jeezus beim Freak Valley Festival 2023 gesehen hatte, war mir direkt nach dem ersten Song bewusst: diese Band ist etwas ganz Besonderes! Fantastischste Gitarren-Virtuosität, eine phänomenale Rhythmus-Gruppe, und insbesondere der emotionale Moment des Sängers mit einem Tränchen im Auge ob der überwältigenden Publikums-Kulisse beim FVF – all das ließ den Gedanken bei mir reifen, diese Band unbedingt ganz schnell auch noch live erleben zu müssen (zumal die Jungs einer kurzen Recherche nach aus Australien stammen, und somit sicherlich nicht allzu oft in Europäischen Gefilden anzutreffen sind).
Und da die örtlich nächste Möglichkeit im Rare Guitar in Münster mir leider wegen eines Urlaubes nicht gegönnt war, wich ich auf die einzig mögliche Ort-/Zeit-Kombination aus, die überhaupt in Frage kam: Asten, Cafe ´t Spektakel in den Niederlanden – nie gehört, aber egal: erreichbar inkl. möglicher spätabendlicher Rückfahrt ins Ruhrgebiet, also hin da! Und was war das für eine glückliche Entscheidung …
An einem herrlichen lauen Sonntagabend komme ich nach zweistündiger Fahrt an der Location an – und die entspannte Stimmung schlägt mir schon vor der Eingangstür entgegen: in der warmen Abendsonne sitzen die komplette Band, einige Einheimische sowie ein paar FVF-Armbändchen-Träger (die nach dem FVF-Wochenende scheinbar noch genügend Energie hatten, sich Seedy Jeezus nochmal „solo“ anzusehen) gemütlich mit einem Jupiler in der Hand in der Sonne und quatschen über Gott und die Welt. Es werden Platten signiert, das FVF-Festival revuepassieren gelassen: „Ja, es war ein echtes Tränchen, das mir da über´s Gesicht gekullert ist“, erzählt Sänger und Gitarrist Lex Waterreus. Er habe versucht, dies zu kaschieren á la „Huch, da sind mir meine langen Haare ins Auge geschlagen“ – aber dies sei ihm nicht wirklich gut gelungen, und überhaupt fände er ja Emotionalität in und auch neben der Musik sehr gut. Sehr erleichtert seien sie, erzählen alle drei Herren unisono, heute vor kleinem Publikum zu spielen – jederzeit, auch in hohem Alter mit Rollator oder Rollstuhl auf die Bühne geschoben würden sie beim FVF wieder auftreten („It´s a veeeery special festival with very special people. There´s nothing comparable in Australia!“), aber die Aufregung sei doch immer äußerst groß, und vor Abenden wie heute mit ca. 40 Menschen komme man doch etwas leichter und ruhiger in den Schlaf, erzählt uns schließlich Drummer Mark Sibson …
Bassist Paul Crick erzählt voller Stolz, sein siebenjähriger Sohn habe das Cover eines Tour-Vinyls (aufgenommen vor einigen wenigen Fans und Familienmitgliedern während der Pandemie), das bis auf 40 Platten wegen Qualitätsmängeln an das Presswerk zurückgegeben werden musste, für eben diese 40 raren Scheiben selbst kreiert und die Collage dann eigenhändig auf die Papp-Cover aufgeklebt (solch eine Rarität konnte ich natürlich nicht am Merch liegen lassen!), und sein Sohn sei eine sehr kreative Seele und würde hoffentlich später alle Artworks für Seedy Jeezus übernehmen.
„Mann, sind die alle nett!!!“, rauscht es mir mehrfach durch den Kopf – und irgendwie möchte man einfach hier sitzenbleiben, zuhören, lachen, fachsimpeln und Bier trinken, und denkt gar nicht mehr daran, dass man ja eigentlich wegen eines musikalischen Erlebnisses hier hergekommen war …
Und so ertönt dann doch irgendwann von Innen der Aufruf, dass es nun losgehen könne.
„Live-Musik 5€ Eintritt“ hängt dort geschrieben auf einem Schild an der Eingangstür des Cafe ´t Spektakel – in Holland ist die Welt wirklich noch in Ordnung…
Im Inneren erinnert die Musik-Kneipe stark an das „Pitcher“ in Düsseldorf: ein schmaler Raum mit langer Theke und kleiner Bühne vor Kopf. Und auf ebendieser Bühne legen sie dann los, die drei Herren: locker & flockig spielen sie sich ganz gemächlich hinein in einen wunderbaren Instrumental-Jam („Echoes in the Sky“) und floaten einfach so dahin – die draußen spürbare Entspanntheit scheint sich durchaus auch auf den Auftritt zu übertragen … bis – und da bewahrheitet sich ab Song #2 plötzlich das Orakel des Merch-Kollegen, die Band würde heute abend einiges anders angehen als beim FVF-Gig) – fünf der ersten sieben Songs komplett vom 2014er Debut-Album stammend allen Anwesenden mal gehörig brachial die Ohren in der Amp-Druckwelle flattern lassen („Shakin´ the Fuse“, „Chasing the Dragon´s Tail“, „Universal Overdrive“, „Sun in my Car“ und „How Ya Doin?“). Insbesondere beim fast episch ausschweifenden „How Ya Doin?“ mit einem unglaublichen Jam-Part, bei dem sich Lex mal eben den Tremolo-Hebel irreparabel abreißt, wird deutlich, was für ein überragender Gitarrist hier am Werk ist. Ein flirrendes Solo jagt das andere und zeitweise ist man versucht, nachzuzählen, ob hier tatsächlich nur 5 Finger an jeder Hand gewachsen sind. Mit diesem Song ist dann nach der überraschend garage-noisigen Anfangsphase der eher psychdelische Teil des Gigs eingeläutet. Wunderbarster Part: Paul werkelt auf den Knien mit einem grünen Mini-Laserschwert auf einer elektronischen Apparatur herum (siehe Foto) und entlockt dem Elektro-Kleinod Töne von der anderen Seite unseres Universums – so sieht also Space-Rock aus, der live hart erarbeitet wird … (falls ein Leser dieses Artikels irgendeine Ahnung hat, was genau Paul da zusammengefrickelt hat, würde ich mich über eine Aufklärung sehr freuen – und das Ding gerne nachbauen für mein eigenes Home-Space-Sound-Lab…).
Es folgt mit einer Adaption von Jimi Hendrix´ „Voodoo Chile“ eine wiederum schier unglaublich virtuose Coverversion, die eigentlich gar kein Cover ist, da der 90% des gesamten Songs ausmachende Jam-Part wiederum ein komplett eigenständiges Dokument der meisterhaften Improvisationsfähigkeit dieser Band darstellt. Die Jungs kommunizieren scheinbar auf komplett intuitiver Ebene, und geführt von Paul´s und Mark´s schlagwerkartiger Rhythmusgruppe findet Lex immer und immer wieder den wirklich perfektesten aller Momente für das Einstreuen eines weiteren (bis zum Ende des Gigs tremelo-losen) virtuosen Gitarrensolos. Das muss man sich innerhalb des Rahmens eines schweren Erbes vom Kaliber „Voodoo Chile“ erstmal trauen!!!
Und es sind sicherlich insbesondere die Jams mit Lex´ unglaublichem Gitarrenspiel, das wie ein unsinkbares Schiff auf den unbändigen Wogen der darunterliegenden Soundlandschaften balanciert, die Seedy Jeezus wirklich zu einem einzigartigen Erlebnis machen und sie aus der Masse der Stoner-Rock-Bands herausstechen lassen.
Es bleibt psychedelisch-rockig mit einem herrlichen „3 Million Light Years“ und endet den Kreis schließend wieder rockig und mit durch´s Blech durchgetretenem Vollgaspedal mit „Wormhole“ vom Debut-Album.
Aber dieser ohnehin schon denkwürdige Gig wäre nicht komplett, hätten Seedy Jeezus nicht noch ein ganz besonderes Schmankerl für den Schlussakkord parat: eigentlich ist die Band fertig mit dem kompletten Set und zudem fertig mit der physischen Leistungsfähigkeit – doch lässt das Publikum die drei Herren mit andauerndem Applaus einfach nicht von der Bühne – Lex wringt tatsächlich sein T-Shirt aus mit den Worten „Look at this! This is not the good kind of sweat – no, this is bad sweat! That kind of stinky sweat after hard work!“ und es ergießt sich tatsächlich locker ein halber Liter Flüssigkeit aus seinem Shirt auf die Bühne. Die Band ist durch, aber das Publikum fordert mehr. Also diskutieren die drei Herren ca. 5 Minuten on stage, was sie denn nun bloß tun können – und schütteln tatsächlich eine sichtlich ungeplante und ungeprobte Zugabe von „The Golden Miles“ vom Pandemie-Doppel-Live-Album „The Hollow Earth“ aus den Ärmeln – allerdings unter der Prämisse, dass keiner der Anwesenden sein Handy zücken dürfe, damit diese Performance auf keinen Fall den Weg in die ewigen Jagdgründe des World Wide Web finden kann – das Publikum hält sich an die Abmachung und darf 5 weiter Minuten der eher brachialen Seite der Band genießen.
Was für ein Abend! Jeder einzelne – ob Publikum, Bandmitglied, Merch-Mann, Bedienung oder Barkeeper, wird an diesem Abend mit dem Grinsen der Glückseligkeit auf sein Kissen gesunken sein.
Danke Seedy Jeezus – mehr geht nicht!
Seedy Jeezus Live beim FVF 2023
https://www1.wdr.de/mediathek/video/sendungen/rockpalast/rockpalast-freak-valley-festival-2023-clip-live-preview-seedy-jeezus–freak-valley-festival-2023-100.html
Bandcamp:
https://seedyjeezus.bandcamp.com/
Ältere Rockblog-Artikel:
https://rockblogbluesspot.com/2016/10/27/seedy-jeezus-live-at-netphen-freak-valley-2015/
Setlist Seedy Jeezus 11. Juni 2023, Asten/Niederlande – Cafe ´t Spektakel:
1. Echoes In The Sky (Jam)
2. Shakin‘ the Fuse
3. The Hollow Earth
4. Chasing the Dragons Tail
5. Universal Overdrive
6. Sun in My Car
7. Is There All That Is
8. How Ya Doin?
9. Voodoo Chile (Slight Return)
10. 3 Million Light Years
11. Wormhole
Encore:
12. The Golden Miles
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