„You are a great audience – you are the best audience the group has ever played to!“
„…ein von Authentizität strotzendes Musikstück…“
(pe) Nichts kann den realen Besuch eines Rock-Konzertes ersetzen – dichtes Gedränge, Transpirationsgerüche, wehende Haare und bangende Köpfe, trommelfellzerfetzend laute Musik, interessante Menschen um einen herum, und natürlich dieses einzigartige Gefühl, mit der Band in einem Raum, im Jetzt, im Flow zu sein …
Na ja – zumindest FAST nichts kann diese Erfahrung ersetzen: denn es gibt ja glücklicherweise Live-Alben. Leider haben Live-Platten in den letzten Jahren an Stellenwert verloren. Die 70er waren ein goldenes Jahrzehnt für Live-Alben: „If You Want Blood …“ von AC/DC (1978), Deep Purples „Made in Japan“ (1972/1973), „Kiss – Alive!“ (1975), „Neil Young & Crazy Horse – Live Rust“ (1979), The Allman Brothers Band – At Fillmore East“ (1971). Und auch die 80er brachten einige Live-Scheiben mit heutigem Legenden-Status hervor: Bruce Springsteens „Live 1975–85“ (1986), U2s „Live at Red Rocks – Under a Blood Red Sky“ (1983), Barclay James Harvests „Berlin – A Concert for the People“ vor dem Reichstagsgebäude (1982) oder Depeche Modes „101“ (1989) …
Feierte man Live-Alben in den 70ern oder 80ern noch wie die Veröffentlichung eines neuen, lang und sehnlichst erwarteten Studioalbums, so haben Live-Alben in den letzten Jahren eher den bitteren Beigeschmacks einer „Vertröster-Veröffentlichung“ bekommen, die schlichtweg die Zeit bis zum nächsten Album überbrücken soll (sämtliche Live-Alben der Freak Valley Festival -Auftritte sind hier natürlich ausdrücklich ausgenommen!), ohne dass die Band bis dahin in Vergessenheit versinkt.
Mit „Slaughter On First Avenue“, ihrem ersten Live-Album, das am 28. Juli 2023 auf Rise Above Records das Licht der Welt erblicken wird, gelingt es Uncle Acid & The Deadbeats vorzüglich, ein Live-Dokument „alter Güte“ vorzulegen: aufgenommen während zwei Gigs von 2019 und 2022 im jeweils ausverkauften First Avenue Club in Minneapolis, erlebt der Hörer hier nicht ein mit Overdubs glattgebügeltes Hochglanz-Audio-Produkt, sondern das Album kling roh, eben genau so, wie es an den beiden Abenden stattgefunden hat, und laut Band-Mastermind Kevin Starrs „… with all the mistakes kept in“.
Seit 2009 haben sich Uncle Acid & The Deadbeats aus Cambridge in England mit fünf Alben und ausgedehntem Touren durch die ganze Welt mittlerweile zu eine Kultband entwickelt, bei der die Einordnung in eine musikalische Schublade äußerst schwer fällt: aus Psychedelic Rock, Hard-Rock, Blues, Metal, Doom und durchaus auch einer Prise Pop-Rock hat die Band um Kevin Starrs es geschafft, aus sämtlichen Versatzstücken ein eigenes, neuartiges Genre zu kreieren, mit der einzigen Konstante, alles auf gewaltigen Riffs zu fundieren.
Mit einem Streifzug durch das gesamte Schaffenswerk sämtlicher fünf Alben von 2010 bis 2018 gelingt es „Slaughter On First Avenue“ tatsächlich perfekt, ebendiese Versatilität der Band auf Vinyl zu bannen – beginnend mit „I See You“ vom 2018er Album „Wasteland“ und in direkter Nachfolge „Waiting For Blood“ (The Night Creeper von 2015) gibt die Band eine Vollgas-Gangart par excellence vor, die sich bis auf wenige Ausnahmen durch das gesamte Album zieht: die fetten Riffs jeweils nur noch getoppt von Starrs unglaublichen Gitarrensoli, die mich bei jedem Durchlauf wirklich auf´s Neue tief beeindrucken.
Zum ersten mal leicht gedrosselt wird das Tempo dann mit „Death´s Door“ (Blood Lust von 2011) und Uncle Acid & Co lassen einen schweren, schleppenden Blues durch die verzerrten Gitarrensaiten sickern, nur um mit „Shockwave City“ (wiederum von Wasteland) genau dort wieder anzusetzen, wo sie vor der Blueseinlage aufgehört hatten.
Einem majestätisches „Thirteen Candles“ schließt sich mit dem ersten Song „Dead Eyes Of London“ vom 2010er Debut „Vol 1“ ein waschechter Rocker an bevor die Band mit „Pusher Man“ wieder in eher bluesige Gefilde driftet. „Ritual Knife“ glänzt in den letzten Minuten mit einem weiteren Gitarrensolo von einem andern Stern, bevor es am Ende in die totale Distortion gleitet.
„Slow Death“ vom 2015er „The Night Creeper“-Album gibt dem Hörer (und sicherlich damals auch dem Live-Publikum vor Ort) nach knappen 50 Minuten die allererste Gelegenheit, einmal durchzuatmen: balladesque ruhig, mit Wehmut in der Stimme vorgetragen, steigert sich der Song über 12 Minuten aus der Ruhe hinauf in zunächst sphärisch-psychedelische und schließlich brachial ausufernde Gitarrenklänge und ragt mit seinem perfekten Spannungsaufbau wie ein alles tragender jahrhunderte alter und weiser Monolith aus dem gesamten Set hervor. „Crystal Spiders (2010), „Blood Runner“ (2018) und „I´ll Cut You Down“ zementieren wiederum mal rockig, mal psychedelisch und „Desert Ceremony“ (2013) durchaus auch doomig das raue Rückgrat des Albums, bevor uns „No Return“ vom 2018er „Wasteland“ zunächst zwei Minuten ruhig vorbereitet auf das anschließend folgende Finale in Form eines weiteren phänomenalen Gitarrensolos als dreiminütiges orgiastisches Crescendo.
Uncle Acid & The Deadbeats liefern ein von Authentizität strotzendes Musikstück in fast originaler Konzertlänge ab, das genau das tut, was man von einem Live-Album erwarten sollte: es fängt die Realität der Band ein und bildet diese akustisch perfekt ab – keine Verfremdung der Wirklichkeit, sondern eine originalgetreue intensive Live-Erfahrung. Genau so muss es sein! Und wir als Hörer dürfen uns auf der anderen Seite der Lautsprechermembran über das Gehörte freuen, die Ironie der Band aus der Tonbandansage zu Beginn des Gigs freudig brechen und genau das Publikum abgeben, das die Band schon vor dem ersten gespielten Ton begrüßt mit:
You are a great audience – you are the best audience the group has ever played to! (peter)
“Slaughter On First Avenue” track listing:
01 – “I See Through You” (Wasteland) 2018
02 – “Waiting for Blood” (The Night Creeper) 2015
03 – “Death’s Door” (Blood Lust) 2011
04 – “Shockwave City” (Wasteland) 2018
05 – “Thirteen Candles” (Blood Lust) 2011
06 – “Dead Eyes Of London” (Vol 1) 2010
07 – “Pusher Man” (The Night Creeper) 2015
08 – “Ritual Knife” (Blood Lust) 2011
09 – “Slow Death” (The Night Creeper) 2015
10 – “Crystal Spiders” (Vol 1) 2010
11 – “Blood Runner” (Wasteland) 2018
12 – “Desert Ceremony” (Mind Control) 2013
13 – “I’ll Cut You Down” (Blood Lust) 2011
14 – “No Return” (Wasteland) 2018
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