(pe) „Das perfekte Album für die dunkle Jahreszeit“ möchte man laut ausrufen nach knapp 44 Minuten „Dust Rider“ auf den Ohren, dem Zweitlings-Werk von Desert Tree House. Denn für alle, die mit der momentanen Kälte und dem fehlenden Licht der kurzen Wintertage hadern, strahlt das neue Album mal so richtig Wüstenhitze und das Gefühl gleißender, sengender Sonne vom ersten bis zum letzten Ton mit voller Wucht in die Ohrmuscheln, und man möchte sich direkt die Klamotten vom Leib reißen und Sunblocker mit Schutzfaktor 50 auf die Haut auftragen.
Desert Tree House, das sind kurioserweise und zu keinem musikalischen Zeitpunkt des Albums merkbar lediglich zwei Protagonisten: Alpha an der Gitarre und Pedro hinter den Drums – im Gegensatz zum Erstling „Cactus Eater“ erweitern die beiden Freiburger ihr instrumentales Stoner-Universum jedoch auf „Dust Rider“ um Synths und Orgelklänge und wirken damit vielschichtiger und komplexer als auf dem Vorgänger. Die Limitierung durch die Grenzen des Genres heben sie mit diesem Schritt auf, vergessen gleichzeitig jedoch schönerweise nicht, weiterhin durch feinst-fuzzige Riffs, sphärische Leads und druckvolles Drumming das musikalische Herz des Stoner Rocks gewaltig und gesund am Schlagen zu halten.
Nach nur zwei Drumtakten generiert „Sonic Wasteland“ als Opener direkt das wohlige Gefühl der Wüstenwärme mit den aus Desert Sessions bekannten tiefverzerrten und knochentrockenen Gitarrensounds. Ab und an nimmt Alpha die Verzerrung heraus und lässt sein Riffing glasklar wie die heiße Wüstensonne von einem wolkenlosen Himmel brennen, nur um kurze Zeit später wieder tiefverzerrt vom glühend heißen Wüstensand verschlungen zu werden.
Die Mid-Tempo-Nummer geht dann über in einen immer schneller werdenden stampfenden Beat, schwelende Keyboard-Sounds symbolisieren den Versuch einer Flucht vor der brennenden Hitze, bis schließlich das Tempo wieder zurückgenommen wird und der Song in reinen peitschenden Drum-Sounds kulminiert – schöner kann ein Opener kaum klingen.
Bass und Schlagzeug eröffnen den zweiten Song des Albums „Evaporating Ocean“ – schwer und schleppend setzt tiefverzerrt die Gitarre ein und das äußerst feine Overlay einer zweiten Lead-Gitarre erhöht die Dynamik des Songs auf sehr interessante Weise. Nur will sich partout in meinem Kopf kein Bild eines Ozeans einstellen – auch hier sehe ich vor dem geistigen Auge eher endlose Wüstenlandschaften in einer unwirtlichen Umgebung, die in einem immer wiederkehrenden Riff, zeitweise flankiert von melodischen Vorstößen der Gitarre eingefasst werden.
Bleischwer schleppt sich der Song dahin und treibt hitzebedingt Schweißperlen auf die Stirn, die jeden Gedanken an die reale Kälte außerhalb meines Kopfhörer-Wohnzimmers kategorisch unzugänglich machen.
Nach den ersten beiden schleppenden Songs fegt der „Sand Jet Pilot“ mit deutlich mehr Geschwindigkeit durch die hitzeflirrenden Weiten und hebt uns wellenartig auf und ab durch die Abwechslung von uns emporhebenden hochgetunten Gitarrenausflügen und des uns wieder in die Tiefe reißenden tiefgestimmten Main-Riffs.
Im letzten Drittel wird der Song dann endgültig zum Banger und man kann sich eines schweißtreibend getakteten Kopfnickens einfach nicht mehr erwehren.
Auch wenn ich beim Hören des Albums eher Sandkörner in allen möglichen Hautfalten assoziiere, scheint die Band durchaus spacige Gedanken bei der Komposition des vierten Songs „Betelgeuse Goes Supernova“ gehabt zu haben: Betelgeuze ist ein Roter Überriese im Sternbild des Orion, der bei Himmelsbeobachtern durch seine Helligkeitsänderungen in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt hat. Der Song nimmt uns nun mit wohlklingend unverzerrten Gitarren zu tribalartigen Drumrhythmen mit auf die Reise des Sterns zur heiß herbeigesehnten Supernova – und in der Tat schafft es der Song, mich aus der Wüste emporzuheben und zu den wunderbaren sphärischen Klängen der Leadgitarre, die gegen Ende zunächst komplett zurückgenommen durch unendliche Weiten mäandert, in einer finalen Explosion staunend zu beobachten, wie alle Materie zu gleißendem Licht und sengender Hitze transformiert.
„Dust Rider“ beschließt das Album mit seinen 14 Minuten Spielzeit episch, und der Name ist Programm: wenn nach gemächlichem Beginn das Tempo plötzlich anzieht, kann man nicht umhin, zu einigem Name-Dropping verleitenden Assoziationen zu entwickeln: Der Song spielt virtuos mit Tempo- und Dynamikwechseln, kombiniert sabbath´sche Heaviness mit den Wüstenszenarien der Kyuss- oder Truckfighters-Universen, und besticht insbesondere durch seinen Abwechslungsreichtum und seine Unberechenbarkeit.
Und mit allergrößter Freude stellt man sich als Hörer mitten ins Zentrum des Wüstensturms, den dieser Song entfacht und lässt sich freudestrahlend feinste Sandkörner durch den eigenen Kopf-Kosmos von Groß- bis Kleinhirn mit Zwischenstopps in Thalamus und Hypothalamus blasen.
Psychedelische Key-Einlagen, kaskadenartige Stakkato-Drum-Schüsse, melodische Gitarrenpassagen, purer Desert-Sound, kosmische Soundeffekte, und noch so viel mehr, was sich in diesen 14 Minuten entdecken lässt, den Hörer gefangen nimmt und selbst nach mehreren Hördurchgängen einfach nicht in seiner Ganzheit begreifbar ist.
Am Ende des Laufzeit möchte man und kann eigentlich auch gar nicht anders, als sich direkt wieder zum Anfang einer Reise zu begeben, die sich trotz der eigentlich unveränderbar in die Vinyl-Rillen gepressten Töne niemals gleich anfühlt, sondern bei jedem Hördurchgang neue Erfahrungen und Entdeckungen bereithält.
Und als wäre das nicht schon genug, so überzeugt auch die Präsentation des Albums in Gänze: Clostridium Records veröffentlicht es auf wunderschönem schwarz-roten coronagemustertem 180g -Vinyl in einer handnummerierten 300er Auflage inklusive eines A3 Posters, Downloadcode und einer von Alpha und Pedro signierten Fotokarte.
Besser geht´s nicht –
und das in musikalischem wie optisch-/haptischem Sinne …
(peter)
Weblinks:
https://deserttreehouse.bandcamp.com/
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