(pe) Wie heißt es so oft in den Annalen der Rockmusik: „Das zweite Album ist das Schwerste!“ Fast exakt vier Jahre haben Slomosa sich Zeit gelassen, den Nachfolger ihres grandiosen selbstbetitelten Debuts zu entwickeln – und die Frage, die sich alle Fans stellen, ob das neue Album dem Debut das Wasser reichen kann, wird nun endlich beantwortet: Ja, es kann!!!
Denn Slomosa haben sich und uns den Gefallen getan, sich nicht auf Teufel komm‘ raus neu zu erfinden, sondern nahtlos da anzuknüpfen, wo sie uns vor vier Jahren abgeholt haben: „Tundra Rock“ bietet fetten, druckvollen Stoner-Rock mit wuchtigen Riffs und catchy Melodien, die einmal ins Ohr gegangen nicht mehr so schnell wieder herausfinden… Und sind die Arrangements des im Polyfon Studio in ihrer Heimat Bergen/Norwegen aufgenommenen Albums auch durchaus ein klein wenig komplexer geworden – eines dabei bleibt entgegen aller durch ihren Bandnamen ausgelösten Assoziation unverändert: in „Slo-Mo“ bewegen sich Slomosa definitiv nun mal so überhaupt gar nicht, und das ist gut so!
Vier lange Jahre lang haben sich Slomosa europaweit den Allerwertesten live abgespielt wie kaum eine andere Band (im Herbst diesen Jahres gehen sie sogar in den USA auf Tour), waren dabei meist als Support unterwegs, auf größeren Festivals wie z.B. dem diesjährigen Freak Valley Festival aber durchaus auch mal als Headliner. Und wer die „Fantastischen Vier“ aus Norwegen einmal live erlebt hat, der weiß, was für eine unfassbare Dynamik sie auf die Bühne und von dort virusartig ins Publikum verbreiten – Slomosa live hat nicht wenige Bekannte buchstäblich infiziert und ich kenne Wiederholungstäter, die für ihre Gigs nicht nur deutschlandweit unterwegs sind, sondern durchaus auch mal eben nach Norwegen jetten…
Und diese Liveerfahrung, die die selbsternannten „Tundra-Rocker“ Benjamin Berdous (Vocals, Gitarre), Marie Moe (Bass, Vocals), Tor Erik Bye (Gitarre) und Jard Hole (Drums) zu Hauf gesammelt haben, lassen sie deutlich auf ihrem neuen Longplayer einfließen, denn sie wissen durch die Publikumsreaktionen auf ihre Live-Darbietungen ganz genau, welche Knöpfe sie drücken bzw. welche Frequenzen sie dem Hörer durch die Synapsen jagen müssen, um diesen willenlos mitzucken, mitsingen und mitbangen zu lassen!
„Afghansk Rev“ als erster Track bildet den perfekten Album-Opener und ist zu Beginn nichts anderes als der Ausläufer eines Tornados, eine leichte Brise, die uns eine Minute lang genüsslich mit seichter Gitarre akustisch vertont um die Nase weht, nur um dann urplötzlich mit einem Riff der härtesten Sorte einen Strudel zu entfachen, der uns tiefer und tiefer in die Musik zieht und uns für den Rest des Albums nicht mehr loslassen soll …
Drei Single-Auskopplungen gab es im Laufe der letzten Monate vorab, die ebenfalls schon mehrfach Bestandteil ihrer Live-Sets waren:
Die zweite Vorab-Auskoppelung „Rice“ ist ein Paradebeispiel dafür, dass Slomosa durchaus auch gewillt sind, etwas Neues zu wagen, denn diesen Song nahmen sie mit einer auf dem Debut nicht existenten Herangehensweise an Bens Vocals auf und beweisen den (für mich unverständlichen) kritischen Stimmen, die Bens Stimme zu wenig Variabilität attestieren, eindrucksvoll das Gegenteil indem er hier mit warmen, weichen Vocals den Song eröffnet, bevor es schließlich in gewohnter Voll-Karacho-Manier in grungegeladene Tundra-Areale geht.
„Cabin Fever“ als erste und schon in 2023 ausgekoppelte Single ist schon lange Bestandteil von Slomosas Live-Sets, bekommt aber in der Studioversion eine äußerst erfrischende Neulackierung: nach kurzem ruhigen Intro und einem schönen und gleichzeitig bedrohlichen gitarrenreduzierten Riff-Aufbau sind die ersten Worte, die die neue Platte uns entgegenschleudert „Wake Up!“ – und sofort sind wir hellwach und werden in der Folge mit einer Art „Kyuss meets QOTSA meets Melvins“-Sound auf angenehmste Art vermöbelt (unbedingt empfehlenswert: das geniale zugehörige Video mit Puppen-Animationen auf Youtube: https://www.youtube.com/watch?v=Yn7y0vZhX-s).
„Red Thundra“ ist ein weiterer Beleg für neue Wege, denn hier bekommt Marie Moe zu Beginn die Chance, ihre sonst eher im Background angesiedelten Vocals mit engelsgleicher Stimme in den Vordergrund zu stellen bevor Heavy-Riffing und Bens Vocals wieder den Lead übernehmen – und das tut dem Song und der Platte sehr gut, da es eine schillernde neue Facette in Slomosas krachende Soundscapes bringt, die derart auf dem Debut nicht existent war und uns nur live kurz während „In my Mind‘s Desert“ kredenzt wurde.
Mit „Good Mourning“, einem kleinen Piano-Interlude spendieren uns Slomosa eine dringend benötigte Verschnaufpause nach all der bis dahin aufgebauten Euphorie – und liefern direkt im Anschluss mit „Battling Guns“, der dritten Vorab-Auskopplung, das Album-Highlight: ein sich durch den kompletten Song durchziehendes, melodisches Gitarrenriff, und insbesondere Bens wunderbare Vocals im hochlagigen Bereich, ein kurzer Deep-Cut nach etwa der Hälfte des Songs und dann die Fortführung des treibenden Riffings. Mit diesem Song äußern sich Slomosa zudem politisch und setzen sich mit dem Nahost-Konflikt zwischen Israel und Palästina auseinander – die symbolisch für die Palästina-Flagge stehende Wassermelone am Ende des Videos zu Battling Guns (https://www.youtube.com/watch?v=bXcUtP_O0J4) ermahnt zu einer differenzierteren Sicht auf den Konflikt in der oftmals zu einseitigen Betrachtung in West-Europa, indem die Band gegen Ende des Songs fragt: „What would you do?“ und zur persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema motiviert.
Rein musikalisch möchte man spätestens hier am liebsten die Nadel immer wieder aus der Rille heben und den Song direkt wieder von vorne beginnen!!!
Mit „Monomann“ folgt ein knackiger, kompromissloser Vollgas-Nackenbrecher, bei dem ich vor meinem geistigen Auge die weltweite Physiotherapeuten-Schar freudig ausrasten sehe, weil hier viel Arbeit Richtung Lösung vom Mitbangen knallhart verspannter Nackenmuskulaturen auf sie zukommt.
„MJ“ ist der Queens of the Stone Age – Song, den Josh Homme gerne geschrieben hätte aber nun nicht mehr schreiben wird, und mit „Dune“ als letztem Track beschreiten Slomosa abermals Neuland und setzen ihrem dem Kamel-Logo vom Debutalbum ein musikalisches Denkmal mit orientalischen Einflüssen zu Beginn des Songs, bevor wir gemeinsam mit der Band auf bekannten Riffgefilden schaukelnd auf dem doppelhöckrigen Rücken des animalischen Wüstenschiffs gen Sonnenuntergang driften.
„Das zweite Album ist immer das Schwerste!“ – wir wissen nicht, wie Slomosa diese oft zitierte Last empfunden haben, aber mit dem Vorliegen des Zweitlingswerkes auf den Plattentellern der Stoner-Welt lässt sich resümieren, dass die Band diese Hürde gefühlt mit Leichtigkeit gemeistert hat und uns ein Folgealbum präsentiert, dass die Faszination für diese Band weiter zementieren wird: sie machen nicht den Fehler vieler anderen Bands und versuchen, das Rad neu zu erfinden, wagen aber dennoch einige wohltuend erfrischende Experimente mit neuen Elementen, ohne ihre musikalischen Wurzeln in Form harter, grooviger Riffs mit ohrwurmartigen Melodien zu vernachlässigen.
Endlose Tundra-Wüste ist dabei ganz im Sinne des Albumtitels die Bühne für ihren ureigensten Desert-Sound: die glühende Sonne in karger nördlicher Kältezone und natürlich Jards Schlagzeug- und Maries Bass-Spiel geben den Takt vor, und Tors peitschende Gitarrensounds in Symbiose mit Bens die (Gänse-)Haut frösteln lassenden eindringlichen Vocals perfektionieren das Kältesteppen-Setting.
Slomosa vermögen es perfekt, sturmartig durch die Szenerie zu fegen, dabei den Stonerrock erneut auf eine neue Ebene zu hieven und zu beweisen, dass der Desert-Sound selbst in den kältesten und unwirtlichsten Gegenden der Erde die allerschönsten Blüten hervorbringen kann!
Dazu passend ist auch das abermals sehr reduzierte, in schwarz/weiß gehaltene Albumcover, das in seinen Grundzügen an das ikonische Cover von Joy Divisions „Unknown Pleasures“ erinnert: die Wellenberge des Pulsar-Signals werden bei Slomosa durchbrochen von einem Gletscherfluss, der sich aus dem hohen Norden gen Süden ergießt wie Slomosas Musik, die sich mit dem Album ihren Weg unaufhaltbar in die Welt südlich von Norwegen bahnt.
Stickman Records haben mit Slomosa ein echtes Juwel unter ihre erfahrene Haube genommen und es wird äußerst spannend sein, die weitere Entwicklung der Band zu verfolgen, die mit „Tundra Rock“ unzweifelhaft belegen, dass sie kein „One-Hit-Wonder“ sind, sondern im Gegenteil alle Voraussetzungen mitbringen, sich zu einem Flaggschiff der Stoner-Szene entwickeln zu können und zukünftig als Headliner in einem Atemzug mit den altbekannten Szene-Größen genannt zu werden.
Und war die Palm Desert Szene einst die Wiege und der Wegbereiter für den Stoner Rock, wird es womöglich für den Tundra Rock zukünftig durch Slomosa einen weiteren wegweisenden Eintrag in den Musikgeschichtsbüchern geben, der da lauten könnte:
„The North is the Source“!
(peter)
Tundra Rock erscheint am 13. September 2024 auf Stickman Records
Tracklisting „Tundra Rock“:
- Afghansk Rev – 3:11
- Rice – 5:25
- Cabin Fever – 5:17
- Red Thundra – 5:23
- Good Mourning – 0:41
- Battling Guns – 4:55
- Monomann – 3:49
- MJ – 4:06
- Dune – 5:27
Related Weblinks:
https://www.stickman-records.com/shop/slomosa-tundra-rock/
https://rockblogbluesspot.com/2024/06/10/freak-valley-festival-2024-teil-1-donnerstag-30-mai/
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