(ju) „Apraxia“ ist eines dieser Alben, die ich beim ersten Mal Hören „ganz nett“ finde. Im zweiten Durchgang suche ich nach dem gewissen Wiedererkennungswert, doch kein Song ist richtig hängengeblieben, keiner ist herausgestochen, keiner hat mich wirklich gepackt. Zugleich ist da jedoch dieser unerfindliche Drang, erneut reinzuhören, wieder und wieder und wieder. Und bevor ich mich versehe, hat mich das Album fest in seinen Klauen. Lässt nicht mehr locker. Ich will mehr. Und mehr. Und mehr.
„Apraxia“ ist eines dieser Alben, das seine wahre Magie erst nach mehrfachem Hören entfaltet, dessen Songs nach anfänglicher Vortäuschung von Harmlosigkeit unbemerkt ein Eigenleben entfalten und mich in die Abhängigkeitsspirale ziehen. Replay! Replay! Replay! Wie konnte ich es nur „ganz nett“ finden?
„Apraxia“ ist eines dieser Alben, die mit jedem Durchlauf besser werden und einen durch ihre subtile Tiefgründigkeit weitaus länger in den Bann ziehen als manch eine Release, die sofort reinknallt, deren Wirkung aber ebenso schnell wieder verpufft.
Bei jedem Hördurchgang entdecke ich neue Elemente, freue mich über diese herrlich verträumten Gitarren in „Avarice“ und „Roots Between Rails“, lasse mich zunehmend mitreißen und davontragen vom vorpreschenden Opener „Imperious Hand“, grinse beseelt beim Titeltrack „Apraxia“, der in fluffiger Grunge-Manier den Eindruck erweckt, jeden Moment würde Eddie Vedder mit brüchig-zarter Stimme einsteigen.
ZOAHR ist eine dieser Bands, von denen ich nicht glauben mag, dass deren Mitglieder nur drei Autostunden von mir entfernt wohnen, im rheinland-pfälzischen Pirmasens. Verdammt, sie klingen nach Wüstenstaub, flimmerndem Firmament und schroffem Highway-Asphalt!
Philipp (Schlagzeug), Thorsten (Bass) und Jessie (Gitarre und Gesang) fanden 2017 im Pfälzerwald als Band zusammen, um ihre Leidenschaft für den (Psychedelic) Rock der Siebzigerjahre auszuleben. Nach „Off Axis“ (2019) veröffentlichten sie im Dezember 2022 mit „Apraxia“ ihr zweites Album – in Eigenproduktion und live eingespielt. Muss man den Jungs erst mal nachmachen, in dieser Qualität. Ihre Musik ist eine gesunde Mischung aus Heavy Blues und Desert-Stoner-Rock mit Grunge-Anleihen und zeichnet sich aus durch Thorstens melodisch treibende Bassläufe, Philipps verspielt-beseeltes Schlagzeugspiel sowie Jessies ausladende Blues-Rock-Röhre und sein höchst kreatives Gitarrenspiel, das in meinen Augen die Seele von „Apraxia“ ausmacht.
„Cocoon“ bietet leidenschaftlichen, triolischen Blues-Rock, während „Portal“ den instrumentalen Kopfnicker darstellt. „Avers and Reverse“ steigt mit fröhlich-verspielter Gitarre ein, nimmt dann jedoch mächtig Fahrt auf und stellt mit seiner Länge von knapp drei Minuten den D-Zug unter den Liedern dar. Mein Favorit ist „Dreamscape“ mit seinem grandiosen Einstieg: Treibend, energetisch, ein wenig aggressiv, gefolgt von einer ruhigeren Strophe zum Durchatmen, bevor ein packendes Gitarrensolo Bass und Drums zur erneuten Uptempo-Attacke anstiftet. Die fast 50-minütige Sogwirkung von „Apraxis“ endet schließlich mit „Threatmill“, dem mit knapp neun Minuten längsten Track auf dem Album. Nach einem voranstampfenden Gustav und vergleichsweise kurzen Gesangspart schöpfen die drei Südwestpfälzer hier ihr instrumentales Potential noch einmal voll und ganz aus.
ZOAHR ist eine dieser Bands, die nicht nur den Mut hat, ausgetretene Songstruktur-Pfade zu verlassen und sich bei der Live-Aufnahme von Jam-Intuitionen leiten zu lassen, sondern auch noch sichtlich Freude dabei verspürt – und versprüht. Wenn es einen auch nicht sofort packen mag, dann aber später umso heftiger…..(judith)
Label: Eigenproduktion
VÖ: 10.12.2022
Dauer: 49:38
Trackliste:
- Imperious Hand (03:48)
- Cocoon (05:36)
- Avarice (04:22)
- Dreamscape (05:34)
- Apraxia (05:23)
- Avers and Reverse (03:03)
- Portal (06:47)
- Roots Between Rails (06:07)
- Threatmill (08:58)
https://zoahr.bandcamp.com/album/apraxia
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