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The Perfect Tool am 25.02.2023 im Vortex, Siegen

(Text: Judith, Fotos: Mike Vennen, Judith) “TOOL kann man covern?!?“ Das war das erste, was mir mit einem dezenten Anflug von Entsetzen durch den Kopf schoss, als ich im Dezember von der Konzertankündigung der US-Tribute-Band „The Perfect Tool“ im Vortex las. Laut Recherche gibt es sogar weltweit über 70 offizielle TOOL-Tribute-Bands! Ich komme nicht wirklich darüber hinweg, dass sich überhaupt jemand an solch ein Unterfangen wagen sollte. Die Skepsis war vermutlich nicht nur bei mir groß, doch ein Video auf YouTube, das die Band bei einer Live-Performance meines TOOL-Lieblings „Forty-Six & 2“ zeigt, fegte die Zweifel schnell beiseite.

Nach dem Einlass um 19 Uhr füllt sich das Vortex nur langsam, überall wird getuschelt und gemunkelt. Wie viele Leute wohl kommen mögen? Ob die Band dem Original gerecht werden wird? Eine emotionale Mischung aus Vorfreude und Skepsis erfüllt den Raum. Während sich dieser langsam füllt, macht sich nach Acht eine zunehmende, unterschwellige Anspannung unter den Wartenden breit. Als die Band gegen 20:45 Uhr die kleine Bühne betritt, ist der Konzertraum voll, das Gedränge dicht. Der glatzköpfige Sänger zieht sich entspannt bis auf die Unterwäsche aus, die aus schwarzer Boxershorts und schwarzem BH besteht. Letzterer ist immerhin etwas dezenter als die Modelle, die Maynard James Keenan auf der Bühne gerne zu tragen pflegte. Eher B als Doppel-D. Das Gesicht des Sängers ist ebenfalls nur dezent geschminkt. Es wird bestimmt heiß auf der Bühne, da würde eine weiße Maske schnell verlaufen und den schwarzen BH in ein Kuhflecken-Muster verwandeln. 

Der Bassist ist entweder ein heimlicher Zwillingsbruder von Justin Chancellor oder dessen Klon. Selbst die silberne Nieten-Applikation auf seinem Bassgurt ist identisch mit der von Chancellor. Sehr detailverliebt, das gefällt mir! Auch der Mann hinterm Schlagzeug erinnert mit seiner Mähne an Danny Carey. Nur der Gitarrist weist wenig Ähnlichkeit mit Herrn Adam Jones auf. Aber man kann ja nicht alles haben. Außerdem kommt es auf die Musik an.

Und die knallt rein. Aber sowas von sofort und volle Lotte! The Perfect Tool haben ihr Publikum bereits bei ihrem Opener „The Grudge“ fest im Griff und lassen es während der folgenden zwei Stunden nicht mehr los. Die TOOL-berüchtigte komplizierte Polyrhythmik, die das Mitwippen und Tanzen teilweise als ein recht schwieriges Unterfangen darstellt, hält die Menge nicht davon ab, sich der Musik hinzugeben, mitzusingen, im Stakkato rumzuzappeln, ein wenig zu eskalieren und fortwährend glückselig zu grinsen. Klar, es sind nicht die echten TOOL, doch der Sound kommt unheimlich nah ran an das legendäre Original. Außerdem ist das Erlebnis hier im Vortex viel unmittelbarer im Vergleich mit einer, sagen wir, Lanxess-Arena. Und man kann beim Siegener Ticketpreis getrost eine Null hinten wegstreichen –  ein nicht unbedeutender Aspekt in Zeiten von Wirtschafts- und Energiekrise. Doch zurück zur Bühne.

The Perfect Tool versetzt die Menge mit ihrer detailgetreuen Performance in höchst hypnotische Extase. Selbst zuvor noch skeptische Besucher/innen zappeln nun wie folgsame Marionetten, getrieben von dem anspruchsvollen, polyrhythmischen TOOL-Beat, den die vier Jungs mit scheinbarer Leichtigkeit professionell meistern. Die seitlich gebeugte Haltung und zuckenden Bewegungen des schlanken, durchtrainierten Sängers lassen erahnen, wieviele Stunden er mit dem Studieren der Bühnenbewegungen seines Vorbildes verbracht haben muss. Während sich Maynard James Keenan jedoch bei Konzerten gerne hinter Masken und Vorhängen versteckt und  oft noch hinter der Schlagzeug-Linie steht, baut seine Kopie auf der Bühne eine Verbindung zum Publikum auf, macht Witze und kommuniziert an diesem Abend in zwei Stunden mehr mit dem Publikum als Keenan in seiner gesamten Karriere. Dies tut der Glaubwürdigkeit der Band aber keinen Abbruch, sondern sorgt schlicht und ergreifend für Sympathiepunkte und einige herzliche Lacher. Als ich in der Zugabe „Sober“ verstehe: „I will find a Schnitzel in you. / I will chew it up and leave.“, schaue ich mich lachend, aber irritiert um. Hab ich mich verhört? Doch mein Handy-Video lieferte mir am nächsten Morgen den Beweis, dass ich mich nicht verhört habe! Genialer Wortstreich, das muss man dem halbnackten Kerlchen lassen. Bestimmt macht er regelmäßig Yoga. Jedenfalls beherrscht er die Vorbeuge und den Herabschauenden Hund im wippenden Maynard-Move perfekt. Doch wie zum Henker schafft er es bloß, dass der BH bei all den Verrenkungen niemals verrutscht? Am Ende verlässt er die Bühne (der Sänger, nicht der BH) und mischt sich singend unters Publikum. 

Diese Show war eine gelungene Ehrerbietung an eine der einflussreichsten Progressive Rock- und Metalbands aller Zeiten. Später erfahre ich bei Recherchen, dass selbst Maynard James Keenan und Adam Jones bestätigen, The Perfect Tool sei die beste TOOL-Tribute-Band weltweit. Auch die Atmosphäre im Vortex stimmte. Eine passende Lichtshow mit hilfsbedürftiger, aber stimmungsvoller Leinwandprojektion. Gitarrist Krisp äußert sich nach dem Konzert im Thekenraum begeistert von den Konzerten in kleineren Locations (nur das Düsseldorfer „Pitcher“, wo das Quartett zehn Abende zuvor gastierte, ist noch kleiner als das Vortex), da hier stets eine besondere Nähe zum Publikum entstehe. Von der Atmosphäre im Vortex schwärmt er im Besonderen, was auch seine Instagram-Stories in der Nacht beweisen. Krisp lebte übrigens zwei Jahre in Essen und kann ein wenig Deutsch, doch es ist zu laut und wir bleiben lieber beim Englischen. Als die verbliebene Menge im Anschluss an das Konzert beim Freaker‘s Ball zu Danzig und Rage Against the Machine besinnungslos abgeht, tanzt die Band beim Bühnenabbau fröhlich mit.

Fazit: The pieces fit, von vorne bis hinten, von Anfang bis Ende.

P. S. Stay tuned: Auf Rockblog Bluesspot wird es die Tage noch ein Interview mit The Perfect Tool geben!  

(judith) 

Wir bedanken uns bei Mike Vennen für die Fotos. Das Video und das Foto vom Herabschauenden Maynard ist von Judith.

Setlist:  

Grudge

Ænema

Vicarious

Reflection

Undertow

Swamp Song

Bottom

Intolerance

Stinkfist

Forty-Six & 2

Fear Inoculum

The Pot

Pushit 

Lateralus

Sober

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