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Freak Valley Festival 2023 Samstag

Reverend Beat Man (CH)

(kis) Der letzte Festivaltag startet sakral. Mensch, Beatman, der Arbeitstag startet früher als gedacht, schon 12:30 ist der Reverend nach ausgiebigem Soundcheck unterwegs auf dem Gelände um seine Schäfchen ins Trockene zu holen. Zum Merchstand, wo man einfach was in seine Plattenkiste werfen kann, der Ein-Mann Prediger aus der schönen, aber langweiligen Schweiz erfreut mit Minihandtaschen-Verstärker die Frühaufsteher unter den Freaks.. Dann über die Wiese auf die Bühne, gewartet bis die Messe zu Ende ist. Dann losgelegt mit Schlagzeug und Gitarre. Gleichzeitig natürlich. Neben Gospel Blues Trash bietet der Reverend zur Unterhaltung noch beaste Sprüche und Anekdoten (Corona, beste Zeit, nix arbeiten nur Freundin vögeln) herrrrlisch politisch unkorrekt. Nach dem Gig fährt der Herr sich selbst zum Nächsten. Hupe und Adieu, beim Auftritt in deiner Nähe, sei dabei!

Ritual King (GB) – Fotostrecke – wer sich für Heavy Psych aus UK, Manchester interessiert schaut mal hier vorbei.

Gaupa (SWE) (ju) Nach Besvärjelsen am Donnerstag betritt zwei Tage später mit Gaupa ein weiteres schwedisches Quintett mit Frontfrau am Mikro die Bühne. Nicht nur das – beide Bands kommen sogar aus demselben Städtchen: Falun, knapp 200 Kilometer nordwestlich von Stockholm. Und so richte ich Gaupa-Sängerin Emma Näslund kurz nach ihrer Ankunft erstmal herzliche Grüße von Lea aus. Emma freut sich, gesteht dann aber sichtlich enttäuscht, dass die beiden sich viel zu selten sähen, abgesehen von gemeinsamen Gigs. Einmal hätten sie sich immerhin in einem Café in Falun verabredet. Emma macht eine Pause, schaut an die Decke des Backstage-Zeltes, runzelt die Stirn und kaut nachdenklich auf ihrer Unterlippe. Dann strahlt sie mich an und reißt ihre Augen auf: „Aber der Kaffee war lecker!“ Das ist Emma. Begeisterungsfähig, herzlich und fast immer barfußtänzelnd unterwegs, sodass der Eindruck entsteht, sie schwebe durch ihr Leben. Diese sympathische Energie bekommt auch das Publikum vor der Bühne zu spüren, wenn die blonde Elfe zu fetten Stoner-Riffs die Haarpracht synchron mit ihren Bandkollegen fliegen lässt, um anschließend auf psychedelischen Soundwölkchen Ballerina-gleich zu tänzeln und frickelige Grooves mit exzessivem Ausdruckstanz zu verkörpern. Was sie alles an Stimmfarben, Höhen und Björkischem aus sich herausholt, ist kaum zu beschreiben und sowieso fern aller Logik. Jimmy Hurtig liefert an den Drums zusammen mit Bassist Erik Sävström verspielt-vertrackte Rhythmen, während David Rosberg und Hermann Danielsson an den Gitarren mit höchster Präzision ihr Talent unter Beweis stellen. Beide sind übrigens Musiklehrer an einem Gymnasium, und David hat sogar sämtliche Songs vom aktuellen Album „Myriad“ in einem hochwertigen Notenbuch festgehalten, das es am Merchandise-Stand zu kaufen gibt. Im letzten Stück „Febersvan“ wird das ganze Spektrum des Gaupaschen Klanguniversums auf die taumelnde Menge losgelassen, sodass diese nach dem Gig völlig verdattert und trunken vor Soundschmaus zurückbleibt. 

Tabernacle (USA) Eine Band aus San Francisco. Und man kann es fast ahnen, von der Bühne wehen förmlich die Blumen. – Fotostrecke – ab 16 Uhr ist ja immer das Rockpalast Team am Start, also kann man diesen wunderbaren Auftritt mit 60er Folk wieder und wieder genießen, mit lauter attraktiven MusikerInnnen auf der Bühne. Allerdings spalten sich hier kräftig die Meinungen – was ich persönlich wunderbar finde, denn Kritik und Lob sind beides gute Presse. Cindy und Bert und der Hund von Baskerville. Me like.

Hypnos69 (B)

(kis) Die Bandgeschichte reicht weit zurück (1994) ins belgische Hinterland nach Diest. Vor gut Zehn Jahren trennte sich die Band nach Höhenflug und Platten, die Kultstatus in der Szene haben. (Legacy zum Beispiel mit einem meiner Lieblingssongs) 2012, als ich ein paar belgische Freunde kennenlernte und danach Hypnos69 auf youtube für mich entdeckte, musste ich mit Entsetzen feststellen: aufgelöst. Getrennt. Ende.

Wiedervereinigung. 2022. Ich war hingerissen und wollte die uuuuunbedingt sehen. Und dann dass Sie spielen auf dem wunderbaren Freak Valley ! 2014 bekam ich zumindest ein T-Shirt aus dem Dunstkreis der Belgischen Festival Freunde Gang. Jetzt 2023 erstmal ein neues Shirt gekauft. Unfassbar, wie ihr auf WDR ( ausgerechnet) bis zum 31.7.23 nochmal sehen könnt, verzaubern die Herren mit leichtem schwebenden Melodiejam bis hin zu irredemwahnsinnnahen-Gitarrenfetz von Steve am Leadgesang.

Wir vom Blog Sponsoren die Belgier dieses Jahr. Wirklich ein bisschen stolz, wie das komische Schicksal das hingebogen hat. Nur die Versch… 15 Minuten im Fotograben killen mich. Sitze da und lausche während eine kühle Brise durchs Haar kämmt und mir etwas salzige Flüssigkeit von Stirn und Auge tropft.

An dieser Stelle sei noch einmal kurz vermerkt, für alle, die es bisher wirklich noch nicht mitbekommen haben: Wir hätten 2023 Stoned Jesus gesponsert, die Jungs durften aus Gründen nicht ausreisen ( ja Krieg…IMMER noch ! ) und haben daher keine Möglichkeit, Geld durch Merch/Plattenverkäufe zu generieren. Spenden immer noch gerne an: kirsten@rockblogbluesspot.de via paypal !!! Jede müde Mark hilft. Und, nein – es ist mir nicht peinlich hier nochmal darum zu bitten !

The Obsessed (USA)

(kis) Ganz ungeduldig steht die Band schon 20 Minuten vor Auftritt Backstage rum. Sind doch wohl nicht aufgeregt?! OBSESSED haben es nach Europa geschafft und passen auf die FVF Bühne wie Deckel auf Topf! Der Altersdurchschnitt spiegelt sich in grauhaarigem Haareschwenken auf und vor der Bühne wieder. Ach ja, Haare, ich liiiiebe Haare die fliegen und fröhlich geheadbangt werden. Aber auch die Jungen können noch was lernen von der souveränen Darbietung! Es werden ein Haufen Hits gespielt, von Brother Blue Steel über Sacred bis It’s not ok. Aber, es ist mehr als ok,  Scott ist und bleibt Kult. Ein schillernder Cowboystiefelträger mit grummeligem Grinsen. Unermüdlich.— „Wino“ trägt noch persönlich den Merch zum Van bei Abreise. Null Star-Allüren, wie schon beim Desertfest gern ein Bad in der Menge mit Freundin. Enjoy life ! Bemerkenswert freundliche Herren.

The Great Machine (ISR)

(ju) 19:30 Uhr. Die Bühnencrew ist nervös. The Great Machine betritt soeben die Bühne. Noch steht sie. Die Band hat vorab versprochen, sich diesmal zu benehmen – im Gegensatz zu 2017, wo alles ein wenig…, naja…, euphemistisch ausgedrückt: aus dem Ruder lief. Außerdem versprach sie, heute das beste Konzert ihrer Karriere zu liefern. Wir sind gespannt, die Crew eher angespannt. Was folgt, ist eine leidenschaftliche Symbiose aus Liebe und Anarchie. Während Jordan Cook von Reignwolf letztes Jahr noch wie ein außer Rand und Band geratener Maniac mit Gitarre singend auf dem Drumset herumturnte, packen die Burschen aus Tel Aviv in der Kategorie „Akrobatische Übungen am und mit dem Schlagzeug“ heute noch einen drauf. Aber dazu später mehr. Das Brüderpaar Aviran (Bass) und Omer Haviv (Gitarre) sowie ihr Freund und Schlagzeuger Michael Izaky – singen tun sie alle drei – sind ein wildes, unberechenbares Trio aus einem Land, das seit Jahrzehnten unter dem schwelenden Nahostkonflikt leidet. Daher ist ihre Botschaft umso dringlicher und lauter: Liebe, Liebe, Liebe! Somit ist „love“ vermutlich das am häufigsten gesagte, gerufene, geschriene und gesungene Wort an diesem Tag, vielleicht sogar am ganzen Wochenende, zärtlich eingebettet in eine abgefahrene Mischung aus Heavy Psychedelic Stoner Punk. Leidenschaftlich-hysterischer Gesang, getragen von schweren Gitarren, eindringlichen Drums und einem Bass, der die Eingeweide durchwabert. Dazwischen beinahe schon schüchtern wirkende Ankündigungen wie „The next song is a good song.“ – neben Volkers „Liebe Freunde!“ wohl die süßeste Ansage des gesamten Festivals. Dann steht wie aus dem Nichts mit einem Mal Freund und Musikerkollege Dan Ezra als Gastsänger auf der Bühne und huscht heißer singend wie ein Rumpelstilzchen zwischen den drei Maschinisten umher. Und – zack! – ist er wieder weg. Einige Zuschauende reiben sich die Augen. Doch bevor sie über diese Erscheinung weiter nachdenken können, sind sie bereits wieder gefangengenommen vom ekstatischen Zauber der Israelis da vorne – die mit einem Mal vorne und hinten, oben und unten auflösen, indem sie die Bühne kurzerhand in die Mitte der Menschenmenge verlegen. Man weiß gar nicht, wo man hingucken soll, überall Bewegung, überall Aufruhr, es knistert vor Spannung. Was machen die da? Handys werden in die Höhe gerissen, Fotografen stürmen zurück in den Fotograben, von hinten kommen immer mehr Leute, um zu sehen, was los ist. Das Drumset wird in seinen Einzelteilen über den Wellenbrecher gehoben und im Publikum wieder aufgebaut, Aviran Haviv wickelt sich das Mikrokabel um Brustkorb und Hals und nimmt die Abkürzung über die ihn tragenden Fanhände, sein Bruder Omer geht los, wird aber bald auch in die adrenalingeschwängerte Luft gehoben. Als er seine Flying V triumphierend in die Abenddämmerung hält, macht die Gitarre ihrem Namen alle Ehren. Gänsehautmoment! Und immerzu dröhnt es aus den Boxen: „Love, love, love!“ Dies war mit Abstand der denkwürdigste Auftritt des diesjährigen Festivals, an den man sich noch lange erinnern wird. Die Stagecrew seufzt erleichtert, die Bühne steht noch. Die Jungs haben beide Versprechen gehalten. 

Fotostrecke The Great Machine

Hällas (SWE) hier wieder eine Band, die polarisiert. Auch aus Schweden, ja, aber irgendwie anders. Eine wie keine. Was meinem Vergleich-Gehirn hier in den Sinn kommt sind Salems Pot. So rein gefühlsmäßig. Aber ich werde die Herren nochmal genauer in Augenschein nehmen, nämlich im August, beim Hoflärm. Diesmal konnte ich nicht beiwohnen, ich musste ein Fläschchen Champagner schlürfen nach dem Auftritt von The Great Machine. Aber passt irgendwie auch zu Hällas. So rein gefühlsmäßig eben.( kirsten)

Orange Goblin (GB)

(ju) Kurz nach zehn. Orange Goblin reißen sämtliche Köpfe, die noch glücklich verträumt in den Hällaswolken stecken, gnadenlos zurück in die Realität vor die Bühne. Der Himmel hat das Licht bereits gedämmt, die Luft fährt ihre Temperatur ebenfalls runter. Doch die alteingesessenen Fans von Orange Goblin sind längst gespannt wie ein Flitzebogen, haben sie doch immerhin heute schon Weihnachten: Die vier Briten präsentieren nämlich ausschließlich fürs Freak-Volk zum 25-jährigen Jubiläum ihres Albums „Time Travelling Blues“ alle neun Titel dieses grandiosen Stampf-Rockers, plus „Scorpionica“ und „Quincy The Pigboy“ vom 2000er „The Big Black“ sowie „Red Tide Rising“ von „A Eulogy For the Damned“ (2012). Der soundtechnisch astreine Wumms des Londoner Quartetts lässt fliegende Haare und Endorphine wild durcheinander wirbeln, dicke Riffs im Seventies-Style tragen Ben Wards röhrende Stimme weit hinaus über die bewaldeten Hügel und das Publikum ist auch nach drei langen Festival-Tagen einfach nicht müde zu kriegen. Ben Ward, Joe Hoare (Gitarre), Harry Armstrong (Bass) und Chris Turner (Schlagzeug) genießen diesen auch für sie besonderen Auftritt sichtlich (nach 2013 und 2016 übrigens ihr dritter auf dem Freak Valley!); einige wenige Songs haben sie in ihrer langjährigen Bandgeschichte höchstens ein- oder zweimal live gespielt. Ihre nostalgische Spielfreude überträgt sich auf alte wie neue Fans und nimmt sie mit auf einen fröhlich-wilden Ritt über staubige Highways. Nach Luft japsend kann manch einer nach Ende des Gigs noch nicht so recht fassen, dass das Festival bald schon vorbei sein soll. Erstmal Verweigerungstaktik einlegen und ein Bier holen.

 

Slift (F) (jm) Und dann kommen Slift. Die letzte Band des Festivals – eine französisches Rocktrio aus Toulouse. Besteht aus den Brüdern Jean und Rémi Fossat und ihrem Schulfreund Canek Flores. Seit Gründung im Jahr 2016 hat die Band zwei LPs, eine EP und mehrere Live-Sessions veröffentlicht, für mich bisher ein unbeschriebenes Blatt und im Nachhinein frage ich mich, wie man Slift bisher überhaupt überhören konnte? Der Sound der ab 23:45 Uhr über uns hereinbricht, ist ein ohrenbetäubendes Klangmagma, bei der eine monumental wabernde und oft sehr brachiale Fuzz-Gitarre über die furchterregende Rhythmus-Maschine aus Bass und Schlagzeug fliegt. Die wahnwitzige Energie ist durchaus Garage zuzuordnen, aber die Musik der 70er Jahre mit Psychedelic, Kraut- und Space-Rock an der Spitze ist nie weit entfernt. Während man sich plötzlich in einer harmonisch anmutenden Passage in Sicherheit wiegt, bricht wenig später erneut eine brachiale Wand aus Lärm über uns herein und die abgefahrenen, hektisch geschnittenen Visuals tun ein Übriges, um uns klarzumachen: Noch ist keine Zeit zum Zähne putzen! Also durchhalten und genießen – wie wär’s zur Abwechslung denn mal mit einem Gin-Tonic zur Begleitung? „The Real Unseen“ heißt ein Titel ihrer aktuellen Single „Unseen“ und das passt ganz gut als Metapher, denn: So was hat man wirklich selten gesehen und erlebt. Französische Vollbedienung um Mitternacht, jenseits von Croissant und Camembert, denn weich war hier so gar nichts. In diesem Sinne… eine gute Nacht!

(ju) Doch noch vor der guten Nacht kommt’s: Die Wehmut überrollt einen heftig und gnadenlos. Das Festival ist vorbei. Wieder ein ganzes Jahr warten. Wie soll das gehen? Freudig ob der letzten drei Tage und traurig ob der nächsten circa 360 Tage löst sich die Menge nur zögerlich auf. Zurück bleibt noch ganz viel Arbeit für die Crew, die in den letzten Tagen, Wochen und Monaten Großartiges geleistet hat – wofür wir vom RockBlogBluesSpot im Namen aller Besucherinnen und Besucher ein bombastisches Dankeschön aussprechen möchten, allen voran an die Rock Freaks und Jens Heide, ohne deren Leidenschaft und Herzblut es dieses einzigartige Festival gar nicht geben würde.

Außerdem gibt es da noch die Bühnen-Crew, der Volker schon seit Beginn angehört und die in den letzten Jahren bis auf winzige Personalergänzungen und -änderungen immer konstant blieb. Dieses Team ist einfach wunderbar, unersättlich gut in seinem Können, seiner Begeisterung, der wirklich authentischen Höflichkeit, es fällt kein böses Wort, wir verstehen uns prächtig und nur bei der dargebotenen Musik liegen wir ein ums andere Mal um Längen und Breiten im Geschmack auseinander und daneben. Aber vor allem haben wir sehr viel SPASS!

(kis) Zu guter Letzt von unseren langjährigen Begleitern HMHTV, unermüdlich im Fotograben unterwegs, der absolut stimmungsgerechte Aftermovie – macht sofort wieder Lust aufs nächste Jahr! Und wer noch immer nicht genug hat: Noch mehr Fotos findet ihr hier: kirstenrockt

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Gavial - Broken von ihrem neuen Album "Thanks, I Hate It", das am 23.01.26 erscheint

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