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Weite – Oase

(jul) Der Titel des neuen Albums „Oase“ von Weite klingt verlockend, wie eine Zuflucht in der endlosen Wüste, ein Ort der Stille und des Nachdenkens. Doch was das Berliner Kollektiv hier geschaffen hat, ist mehr als nur ein Zufluchtsort – es ist ein Abenteuer, das den Hörer in eine Welt aus Klanglandschaften, verschlungenen Melodien und atmosphärischen Spannungen entführt. Weite lässt hier die Grenzen zwischen Raum und Zeit verschwimmen und erinnert uns daran, dass Musik mehr ist als die Summe ihrer Takte und Noten.

Weite, das sind alte Hasen in einer noch jungen Berliner Formation, deren Ursprung auf eine spontane Idee des Delving Bassisten Ingwer Boysen im Winter 2022 zurückgeht. Boysen wollte zunächst ein einmaliges Projekt aus Multiinstrumentalisten ins Leben rufen, doch die Chemie zwischen ihm und den anderen Musikern, Nick DiSalvo (auch Elder, Delving), Michael Risberg und Ben Lubin,  erwies sich als so intensiv, dass aus dem Experiment schnell eine feste Band wurde. Mit Fabien de Menou als Keyboarder, der erst in 2024 dazustieß, komplettierte sich das Line-up, und die Gruppe fand ihren unverkennbaren Sound, der zwischen Progressive, Post-Rock, Psychedelic und Kraut angesiedelt ist.

Nach dem Debütalbum „Assemblage“ (2023) markiert „Oase“ das zweite Werk von Weite, das nun in ganz unerforschte musikalische Bereiche vorstößt. Da hört man Einflüsse der experimentellen Klangwelten des Canterbury Scene Prog um Phil Miller und Richard Sinclair  – an einigen Stellen jazzt es ganz schön. Serviert wird aber auch eine ordentliche Portion Kraut, garniert mit frühen Electronica und einer Reduktion von Stoner und Doom. Diese Mischung klingt fast wie ein nostalgischer Trip in die 70er, ist jedoch angereichert mit einer avantgardistischen Klangfarbe und klaren melodischen Linien, die selbst die heftigsten Gitarrenriffs zugänglich machen.

Der Einstiegstrack „Versteinert“ setzt den Ton für das Album. Was mich direkt beeindruckt, ist die Art und Weise, wie die Instrumente wie lose Elemente eines Puzzles aufeinandertreffen, nur um dann wieder eine Einheit zu formen. Hier ist kein Platz für Eile: Die Soundschichten entwickeln sich langsam und schaffen eine atmosphärische Dichte, die man fast greifen kann. Mit bedächtiger Präzision weben dich Weite in ihren Soundteppich ein – jeder Ton scheint genau platziert, jeder Effekt auf den Punkt. Grandioser solo Part!

„Time Will Paint Another Picture“ verleiht dem Album eine besonders hypnotische Note. Bass und Schlagzeug rollen wie eine Dampflok durch die Landschaft. De Menous Synthesizer baut sanfte Flächen auf, die eine wohlige Wärme aber auch eine gewisse Melancholie vermitteln. Der Song hat eine sanfte, wellenartige Struktur, in der sich die Gitarrenriffs wie Wellen am Strand brechen. Dabei bleibt der Track trotz aller Komplexität zugänglich und beruhigend, fast wie eine Art Meditationsmusik für die, die den Wahnsinn des Alltags ausblenden möchten.

Mit „(einschlafphase)“ begibt sich Weite in die Gefilde des Ambient. Der Track klingt, als würde man langsam mit sanften Synths in den Schlaf sinken und ich habe tatsächlich in den ersten 30 Sekunden auf eine gesprochene Meditation gewartet. Es ist der Moment, in dem du kurz innehalten kannst, bevor du  in die beinahe 11-minütigen kaleidoskopischen Klangwellen von „Roter Traum“ eintauchst, wo dir die Kraut Riffs um die Ohren wirbeln. Der Sound ist heavy und voller Energie, wie ein musikalischer REM Schlaf, der sich nach und nach entfaltet. „Woodbury Hollow“ schwebt dann eher wie ein milder Wind durch den Raum und setzt dabei auf eine hypnotische Monotonie, die im besten Sinne berauschend wirkt.

„Eigengrau“ führt dich zurück in die dunkleren Tiefschlaf Gefilde. Hier verdichten sich die Soundwände zu einem regelrechten Sturm aus Doom und Stoner-Einflüssen, bei dem schwere, dissonante Riffs und ein schier endlos hallender Bass den Hörer in eine düstere, bedrohliche Atmosphäre tauchen. Die Fuzz Gitarren wirken wie schwere Schritte durch Sanddünen, während der Beat monoton und tief dröhnend das Gewicht des Tracks aufrechterhält, der in der zweiten Hälfte plötzlich eine überraschende Wendung nimmt. Träume gehorchen eben keiner Regel!

Den krönenden Abschluss bildet „The Slow Wave“. Der Titel ist Programm: Der Song ist eine langsame, tiefenentspannte Welle aus Tönen, die sich wie ein Schleier über den Raum legt. Die Synthesizer wirken wie Nebel, der sich sanft über die Soundstrukturen legt, während die Gitarre im Hintergrund sanft vibriert. Dieser Track entlässt den Hörer  nach einer langen Reise in eine friedliche, aber leicht melancholischen Stimmung.

Fazit

„Oase“ ist ein Album, das man sich in Ruhe und am besten mit Kopfhörern anhören sollte, um die vielen Details und die subtile Komplexität der Kompositionen voll auszukosten. Die Songs auf diesem Album sind lang, tief und komplex – man kann sich in ihnen verlieren und immer wieder neue Nuancen entdecken. Eine Einladung in eine Traumwelt, die man so schnell nicht wieder verlassen möchte.

Für Fans von Bands wie Can, Eloy, oder Tangerine Dream, die ein Faible für atmosphärischen, intensiven und gleichzeitig meditativen Sound haben, ist „Oase“ ein wahres Fest.

Die Produktion von Stickman Records ist zudem hervorragend gelungen. Die Klarheit und Tiefe der Soundwände war schon in der Mp3 Version überzeugend und entfaltet mit Sicherheit auf der 180g pink-marmorierten 2LP seine ganze Vinyl Wucht. (Jules)

VÖ: 22. November 2024

Label: Stickman Records

Spieldauer: 53:20

Tracklist:

  1. Versteinert 09:36
  2. Time Will Paint Another Picture 06:18
  3. (einschlafphase) 03:04
  4. Roter Traum 10:54
  5. Woodbury Hollow 2:30
  6. Eigengrau 12:40
  7. The Slow Wave 8:14

Filed under: Album Reviews, Experimental, Krautrock, Psychedelic, , , ,

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Gavial - Broken von ihrem neuen Album "Thanks, I Hate It", das am 23.01.26 erscheint

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