(ju) In Kunst, Literatur, Film und Musik gibt es geschlossene und offene Kunstwerke. Geschlossene Formen halten sich an Regeln, sind konventionell und vorhersehbar, dienen der schnellen Ablenkung und befriedigen das Verlangen nach leicht Verdaulichem – als Ausdruck der Sehnsucht des Menschen nach Einfachheit. Belletristik, Pop-Musik, Marvel-Filme. Offene Formen widersetzen oder entziehen sich Konventionen, weichen ab von Regeln, durchbrechen starre Denkmuster und treten dem Dogmatismus zynisch in den Allerwertesten.
Völlige Regellosigkeit endet dabei bekanntlich im Chaos: Wo DADA in der Kunst genau an diese Grenze gegangen ist, lotete etwa Mike Patton mit Mr. Bungle in der Musik die Grenzen schmerzerfüllend aus. Die hohe Kunst, wenn nicht sogar die höchste, ist es, so weit wie möglich aus den Konventionen auszubrechen, ohne dabei die Hörerschaft völlig verwirrt und gaga zurück zu lassen. Genau dies gelingt PEROPERO mit ihrem dritten Album „Massive Tales of Doom“: Die beiden gebürtigen Österreicher Julian Pajzs (Gitarre, Gesang, Synth-Programming) und Valentin Schuster (Schlagzeug, Backing Vocals) aus Berlin beherrschen das Wechselspiel zwischen Orientierung und Irritation vorzüglich. Seit zehn Jahren als Duo aktiv, führen sie mit ihrer Mischung aus Progressive-Rock und -Metal, Math-Rock und Stoner-Metal Hörgewohnheiten ad absurdum.
Bereits der anspruchsvolle Opener „Vermin“ lässt das Gehirn nicht hinterherkommen, wenn dieses vergeblich versucht, die Rhythmen von Schlagzeug und Gitarre übereinander zu legen. Der vertrackte, aggressive Sound animiert den Kopf zum Bangen, auch wenn dieser sich nicht entscheiden kann, welchem Rhythmus er nun folgen soll. Spätestens hier wird klar: nicht denken, fühlen! Dabei sinnieren Julians psycho-aggressiven Sprechgesänge im Stil von Devin Townsend in den teils humorvollen und satirischen Lyrics über Verschwörungstheorien, Kult-Wahn, Fake News und Prophezeiungen vom Ende der Welt. Hier wäre sogar Ziltoid gerne Statist. „Luminosities“ ist ein extrem gelungenes Beispiel für die absolut fette Wirkung eines Synth-Basses, der zudem eine wunderbare Symbiose mit einer höchst-versierten Gitarre eingeht. Mein persönlicher Liebling unter den sechs Tracks! „Event Horizon“ ist vermutlich das experimentierfreudigste Stück und nähert sich stellenweise Herrn Bungels Brainfuck-Universum. „The Rip“ bietet zwischen den erzählenden Strophen einen vergleichsweise harmonischen Chorus, der es den Hörenden erlaubt, sich kurz – aber nur kurz! – seufzend zurückzulehnen, bevor „Moira“ die Hirnmembran wieder gewaltig durcheinander schwurbelt. Das Intro wurde von R2-D2 und einigen seiner musikalischen Droiden-Buddies auf Naboo aufgenommen und leitet ein in einen absurd-witzigen Song mit ganz viel Doublebass-Bums, der trotz aller Verrücktheit den Hut ziehen lässt vor soviel Spielfreude und Einfallsreichtum. „Kensor“ schließt das Konzeptalbum ab und spannt mit seiner vertrackten Polyrhythmik und den plötzlichen Richtungsänderungen gekonnt den Bogen zum ersten Lied.
Am Ende sei noch einmal darauf hingewiesen, dass diese komplexe und anspruchsvolle Prog-Rock-Math-Maschinerie von lediglich zwei Personen angetrieben wird. Respekt!
„Do you like it?“ – „Yes, I love it!“
(Judith)
Label: Panta R&E
VÖ: 02.03.2023
Dauer: 35:32
Trackliste:
- Vermin
- Luminosities
- Event Horizon
- The Rip
- Moira (Intro)
- Moira
- Kensor
https://peropero.bandcamp.com/album/massive-tales-of-doom
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