Experimental Blues / Postrock aus Berlin
(ro) Herr Grimm lässt sich nicht beirren. Er ist der, der er war. Auch wenn jetzt Bart und Haare kürzer sind, befindet er sich nach wie vor in seinem eigenwilligen musikalischen Universum, das sich zumeist in Dark-Moll-Gefilden bewegt. Beinahe logisch, dass er auf dem Cover seines neuen Albums, betitelt „The End“, mit gefalteten Händen und sinistrem Blick in einem altertümlichen Wohnzimmer vor einer Kettensäge sitzt.
Diese scheint ein passender Vorbote für die Musik zu sein, die er uns hier zusammen mit seinen Kollegen, den beiden Ausnahmemusikern Charlie Paschen, bekannt als Mitglied von „Coogans Bluff“, und Enni Semmler („Kaskadeur“) präsentiert.
Ja, richtig gelesen, „Brother Grimm“ ist jetzt in der Tat kein Solo-Projekt mehr.
Der Außenseiter Dennis Grimm, der bisher vornehmlich allein seinem Publikum nonkonformistisch und unbeirrbar mit einer Unzahl an Effektgeräten, Verzerrern, Loops und Echoes seinen musikalischen Herzschlag vortrug, präsentiert uns hier, wie schon einmal bei „On Flatland, On Sand“ eine vollwertige Band.
Und was für eine!
Eindrucksvoll wird mir dies hier mittels elf aufhorchen lassenden Songs bewiesen, die auf einer CD in einem schlichten Pappschuber daherkommen.
Schon gleich zu Beginn stelle ich fest, dass mit Charlie und Ennie, also nunmehr zwei Gitarren plus Schlagwerk die bisherige Musik des „Brother Grimm“ in Sound, Tiefe und Dynamik verändert wird.
Die bisher schwer düsteren, kauzigen und minimalistischen Songs erscheinen jetzt in einem neuen Gewand.
Etwas aufgehellt bewegen sie sich in einer anderen Sphäre, bekamen eine gehörige Portion mehr Rhythmus, mehr Vielfalt und mehr Struktur.
Mir scheint, sie sind dadurch auch greifbarer geworden, drastischer, im Sound härter, insgesamt tönt es rockiger und lauter.
Keine Frage, da sind gestandene Musiker am Werk, die wissen, was sie tun.
Sie machen ihr eigenes Ding. Und das sehr souverän.

Hier wird magischer Experimental-Blues, ruppiger und fast schon brüsk dargebotener New York Noise a la „Sonic Youth“ in einem fesselnden Spagat, der sich zwischen hypnotisch ausufernden Motiven und dynamischen Spannungsbögen bewegt, präsentiert.
Sehr reizvoll dazu sind die Lyrics, die mit ihrer vertonten Vergegenwärtigung von Schmerz, Zukunft, Abschied, Liebe, Einsamkeit und Leidenschaft Zwiesprache mit dem Hörer/der Hörerin zu halten scheinen.
Denn sind das nicht alles Dinge, die uns bewegen, die uns umtreiben und die uns nicht loslassen?
Zu meinen Favoriten gehört auf jeden Fall der Titeltrack „The End“, denn der zieht vom ersten Ton an den Hörer/ die Hörerin einfach mit.
Der stoische, verfremdete Gesang, der scheinbar indifferent wie durch eine leere Konservendose ertönt, hat eine hypnotische Wirkung und sägt sich in die Gehörgänge, während die mitreißende noiserockige Musik extrem tight rüberkommt.
Keine Frage, die drei Herren bilden eine Einheit, die einfach unwiderstehlich ist.
Das haut hin.
Klar, das alles ist beileibe keine leichte Kost, die man einfach so nebenher genießen kann, während man Gemüse schnibbelt oder mit der Nachbarin tratscht. Aber für mich ist dieses sinistre Klangabenteuer eines der Wahrhaftigen und Charismatischen, die noch lange nachklingen und einen intensiven Eindruck hinterlassen.
(…Rosie..)
*
Wer spielt mit?
Dennis Grimm (vocals, guitar, bass)
Enrico Semler (guitar)
Charlie Paschen (drums)
Songliste:
1. Q Tip
2. When The Lights Go Out You Sing The Wuthering Heights
3. High
4. Homesick
5. Green
6. Dead Dogs In Space
7. Wake Up
8. The End
9. In A Town Where No One Gives A Shit
10. How The Dogs Kill
11. New Order
Wer „Brother Grimm“ gern einmal live sehen und hören möchte, kann dies z.B. bei folgender Gelegenheit tun (Angabe ohne Gewähr):
19.04.2024 Berlin / Supamolly
www.brothergrimm.de
www.noisolution.de
Foto Nr.2: von der „Brother Grimm“ Facebook-Seite
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