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30 Jahre Noisolution – Jubiläumsparty in der Neuen Zukunft Berlin 21.11.2025

Texte: Jules und Volker • Fotos: Jürgen Simon (https://time-for-metal.eu)
30 Jahre Noisolution – Kreuzberger Nächte in Stralau
Man hätte es ahnen können: Wenn ein Label wie Noisolution den 30. feiert, dann nicht im schicken Saal, nicht im Wellness-Ambiente, sondern dort, wo es hingehört – zwischen Beton, Backstein, Lärm und Geschichte. Die Neue Zukunft in Berlin-Stralau war schon weit vor dem ersten Ton voll, offiziell ausverkauft: Die Szene lässt sich so eine Nacht nicht entgehen.
Und die Szene war da. Viele bekannte Gesichter, viele alte Weggefährten, Musiker*innen, Booker, Labelleute, Nerds, Sammler, Blogmenschen, Ex-Tourmanager, Fotografen, Freak-Valley-Gesichter, Kreuzberger Urgestein – eine dieser Nächte, in der man bei jedem Umdrehen jemanden trifft, den man seit Jahren kennt oder seit Jahren liest. Genau der Spirit, den dieses Label seit drei Jahrzehnten trägt.

Noisolution: 30 Jahre „Music for Minorities

Noisolution – 1995 von Arne Gesemann in Kreuzberg gegründet – hat sich über drei Jahrzehnte eine Position erarbeitet, die man nicht „Indie“ nennt, weil man unabhängig ist, sondern weil man keine Kompromisse macht. Das Label war nie darauf aus, Trends zu bedienen oder Erwartungen zu erfüllen. Es hat Bands wie Scumbucket, Ulme, The Picturebooks, Steakknife, Coogans Bluff, Daily Thompson und unzählige andere nicht nur gepflegt, sondern begleitet – oft über Jahre, manche über Jahrzehnte.
Die Kernidee: Außenseitermusik Raum geben. Dinge veröffentlichen, die sonst keiner anfasst. Musik, die manchmal sperrig ist, manchmal wunderschön, manchmal beides zugleich. Dreißig Jahre DIY, Haltung, Sturheit und Loyalität – und eine Community, die genau wegen dieser Haltung heute hier stand: dicht gedrängt, schwitzend, lachend, mit Bier in der Hand und ehrlicher Vorfreude im Bauch.
Dass das Jubiläum ausgerechnet in der Neuen Zukunft stattfand, hat mehr Symbolwert, als es auf den ersten Blick wirkt. Der Club hat sich in den letzten Jahren zu einem der verlässlichsten Orte für Gitarrenmusik, Punk, Kunst und Subkultur in Berlin entwickelt – ein Raum, der ebenso wie Noisolution von Anfang bis Ende Haltung zeigt: fair, solidarisch, offen für die, die sonst nirgends stattfinden. Und natürlich war Manu Godi an diesem Abend wieder dort, wo man ihn kennt: am Sound, eng an den Bands, aufmerksam und mit diesem Gespür für Details, das gerade Acts wie Coogans Bluff seit Jahren schätzen.
Dass Noisolution seinen Dreißigsten hier feiert, wirkt deshalb fast wie eine logische Konsequenz: ein Label mit Rückgrat in einem Club mit Rückgrat.

Der Abend

Spätestens nach fünf Minuten im Raum war klar: Volker und ich brauchen heute mindestens drei Paar Augen. Denn während vorne geschwitzt, gerockt und gefeiert wurde, rollte hinten ein Szene-Klassentreffen der herzlichen Art. Jürgen Simon hielt deshalb alles im Bild für den RBBS fest – die intime Enge, das vielstimmige Gewusel, die Energie der Bühne und die Gesichter des Publikums, die exakt wussten, warum sie heute hier sind.
Zum Auftakt reckte André Dietrich mit Aka Rinde den erigierten akustischen Mittelfinger hoch. Genau das macht seine Musik aus: sich jeder Schublade verweigern und stattdessen rohe, leidenschaftliche Unruhe in den Raum stellen. Joh „Monojo“ Weisgerber (Schaltgeraete Studios) am stehenden Kontrabass gab dem Ganzen dieses Mal die Special Edition Note und das spröde Fundament, das live extrem körperlich wirkte. Schweigend ins Gebrüll vertieft — in diesem Widerspruch entsteht die Kraft dieses Projekts. Fast das komplette Album „Kids“ gab’s direkt in die Magengrube. So klingt Music for Minorities.

Daily Thompson haben Berlin an diesem Abend einmal mehr gezeigt, wie Seattle-Ruhrpott klingt, wenn er im richtigen Club landet – dreckig, warm und völlig ohne Allüren. Mit Pizza Boy, Diamond Waves und Cantaloupe Melon haben sie sofort diesen Grunge-Teppich mit Fuzz-Fransen ausgelegt, der die Neue Zukunft in die Vibes des Abends versetzt hat. Ghost Bird und Chuparosa kamen wie zwei Hits für Eingeweihte, schwer, hypnotisch und völlig souverän gespielt. Ein kurzer, dichter Auftritt – aber wie immer genau auf den Punkt, genau der richtige Ton für ein Label, das seit 30 Jahren Haltung statt Show liefert. Wir dürfen gespannt sein wie die Flitzehoden, was die drei Dortmunder im Januar mit Tony Reed in Vinyl pressen.

Anger MGMT sind Schweizer und ruppig und rau und garstig und melancholisch wie die Landschaft ihrer Heimat. Sie verarbeiten negative Erfahrungen in positive Musik und dies auf eine Weise die Wave, PostPunk, Rock, Grunge und Garage Einflüsse aufweist. Ihre textlichen Themen reichen von Krankheit, Toxischem Gehabe, die Welt heutzutage und vielem mehr, aber nie mit erhobenem Zeigefinger. Ich kam mir vor wie in einem Energiecontainer im etwas kleineren Sendesaal der Neuen Zukunft: Das waren erhabene Momente an diesem noch frühen Abend, Danke!

Die Musik von Coogans Bluff kannst du am besten immer so beschreiben: Groove bis zu den Sternen und darüber hinaus und ihr Soul bringt jedes Gelenk, jeden Muskel zum Tanzen. Charlie und Willi Paschen pushen und pushen und pushen, Clemens röhrt und säuselt und etikettiert auf passendste Art und Weise die Texte und Max und Stefan posaunieren und trompeten das Ganze in musikalische Gefilde, die ziemlich einzigartig in dieser unserer kleinen und überschaubaren und feinen Rockwelt sind. Und am heutigen Abend, so erzählte mir Willi hinterher, wollten sie aus ihrem „normalen“ Programm etwas ausbrechen und bestimmten, bis auf „Flying To The Stars“ und jeder für sich, zwei Lieblingssongs, die dann dem feiernden Volk und Volker vorgetragen wurden, und wie! Die Herzen voller Soul und 12 Points from Dortmund und Wuppertal!

Das dirty foreplay mit Bass und Drums lieferten Werewolf Etiquette – Neuzugang bei Noisolution. Geoff Haba und Davo Gould gingen dem Publikum ordentlich an die Wäsche.

Mother Tongue – dann abwechselnd mit Geoff Haba und Sasha Popovic am Schlagzeug – besorgten es der Crowd danach amtlich mit der Zunge. Absolutely satisfying! Wie die Kirsche auf der Geburtstagstorte. Um 1 Uhr nachts war die Party noch mittendrin – Kreuzberger Nächte sind halt lang, auch wenn sie diesmal offiziell in Stralau stattfanden. Aber Noisolution ist in Kreuzberg – und Kreuzberg kam mit.

Ein krachlederner, berstender, postpunkiger, swingender, heulender und mütterlich zungenbrechender Abend mit tausenden von brachialen, schrägen, grungigbluesigen, souligen, hardcorebluesigen und alternative Tönen. Was für ein großartiges, wunderbares, und „Ich könnte alle Anwesenden in die Arme schließen“ Fest!

Die Rückfahrt durch das nächtliche Berlin feierten wir noch im Uber im „Uber, Uber, Uber Takt“. Ausgestattet mit vielen Eindrücken, herzlichen Begegnungen und Bekanntschaften mit neuen Leuten endeten wir in Berlin Mitte: Danke an Arne und Max/Noisolution, Greyzone Concerts und Label, den Bands natürlich und Neue Zukunft für eine rauschende Ballnacht!

Texte Jules und Volker, alle Fotos Jürgen Simon

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Gavial - Broken von ihrem neuen Album "Thanks, I Hate It", das am 23.01.26 erscheint

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