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Rose Tattoo und The Wild – Zeche Bochum, 15.06.2018

(js) Schon vor Betreten der heiligen Halle in Bochum deutete einiges darauf hin, dass an diesem Abend etwas Besonderes anstand. Die Stimmung schien ausgelassen, elektrisierend und erwartungsfroh zugleich. Denn nach mehr als 15 Jahren waren „Rose Tattoo“ wieder in der Stadt. Die Jungs aus Australien um ihren charismatischen Sänger Gary „Angry“ Anderson sollten sich wieder die Ehre geben. Und dass diese Band, der nicht wenige einen ehrlicheren, dreckigeren Bezug zum „Rock’n’Roll“ als den großen Brüdern von AC/DC attestieren, immer noch zündet, war schon vor dem Einlass deutlich zu spüren. Gänsehautmomente, die sich fast greifen ließen. Eine so wunderbare Mixtur aus einer gewissen Erwartungshaltung, unglaublich vielen emotionalen Erinnerungen aus den frühen 80er Jahren und natürlich die ungefilterte Lust auf „Rock’n’Roll“.

Aber vor deren Auftritt haben die Musikgötter den Schweiß gesetzt. Der uns in Form der mir bis dato unbekannten „The Wild“ aus den Weiten Kanadas präsentiert wurde. Die Jungs um Frontsau Dylan Villain tourten zum ersten Mal in Europa, schienen aber die musikalische Bühnen auch hier im Sturm erobern zu wollen. Wie sie schon mit den ersten Tönen zeigte, war diese junge Band, die mit erst zwei Longplayern im Gepäck gen Europa reiste, ein Gewinn für alle Beteiligten. Sie selbst verkauften aus eigenen Bekundungen ohnehin zu Genüge Tonträger während dieser Tour und ließen frühzeitig erkennen, dass sie auch im Kohlenpott unsere Herzen – und Ohren – im Sturm erobern wollten. „Rose Tattoo“ konnten sich zudem sicherlich kaum einen besseren Einheizer wünschen und vor der Bühne wurde es von Song zu Song mitreißender, weil der Blues-getränkte „Rock’n’Roll“ der vier Kanadier keinen Besucher mehr ruhig stehen ließ. Dieser fiese, dreckige Sound der Jungs, der mal als der Soundtrack zu einer wilden „Sommer-Party“ daher kam, um uns dann wieder schnelle Gitarrenriffs, die in mitreißenden Refrains mündeten, um die Ohren zu hauen, um final in Soli überzugehen, die dich flugs daran erinnerten, dass du deine Airguitar glücklicherweise doch dabei hattest. Die Basis ihres Sounds, die aus einer Melange aus Punk und Southern Rock und natürlich dem Blues entstand, hinterließ eine Spur der Verwüstung im positiven Sinne. Bei Songs wie der „Livin‘ Free“, „Six Hundred Sixty Six“, „Party `Til You`re Dead“ oder „Another Bottle“ kann man Schweiß und Alkohol förmlich durch die Lautsprecher riechen und stellt zugleich fest, dass Duschen ohnehin überbewertet ist! Hier vereinen sich Musik und Standing eines Openers mit dem „Main-Act“ geradezu diabolisch genial! Merkt euch diese Band!

Bisweilen sind Umbaupausen langwierig und störend, aber nach „The Wild“ hatte ich den Eindruck, dass sie meinen alten Knochen und vor Allem meiner ausgetrockneten Kehle gut tat. Ach was schreib‘ ich, sie war einfach unverzichtbar. Frisch gestärkt ließ es sich ohnehin viel besser auf die „Aussies“ warten. Und man spürte schnell, dass die Stimmung im Volk eine ganz besondere war. Elektrisierend. Ein jeder schien zu hoffen, dass Großes, Unvergessliches auf ihn wartet. Und dabei sollte uns doch nur „Rock’n’Roll“ vor die Lauscher geknallt werden. Als dann „Angry“ Anderson mit einer Flasche Hochprozentigem die Bühne betrat, schienen all unsere guten Manieren vergessen. Gut so! Um ihn herum agierten auf dieser Tour der legendäre Ex-AC/DC-Bassist Mark Evans, Gitarrist Bob Spencer der seine Saiten schon für „The Angels“ und „Skyhooks“ malträtierte, Slide-Gitarrist Dai Pritchard sowie Schlagzeuger John „Watto“ Watson. Der etatmäßige Drummer Paul DeMarco wurde wegen Waffenschieberei kürzlich erst zu sechs Jahren Knast verurteilt und war somit verhindert. Irgendwie stimmig für diese Band. Grundsätzlich waren „Rose Tattoo“ für mich immer eine der wichtigsten Bands meiner frühmusikalischen Erziehung – Hard Rocker, die den Blues und die Ethik der Arbeiterklasse verpaarten und „echte“ Musik produzierten. Eine Musik, die den Schmerz sowie den Alltagsstress mitschwingen ließ. Im Wesentlichen war dies ja nicht mehr als ein schwerer Blues, der auf Klängen der dominierenden Slide-Gitarre fußte und mit kühnen und unverschämten Texten versehen wurde.

Und dann erlosch das Licht zur Gänze und es ertönten die ersten Klänge zu „One Of The Boys“. All die Erwartungshaltung schien sich in diesen wenigen Tönen zu entladen. Es gab im Publikum kein Halten mehr und schon in diesem Opener ließ die Band keine Zweifel aufkommen, dass auch wir vor der Bühne „One Of The Boys“ waren. Es schien hier früh endlich wieder zusammen zu kommen, was längst zusammen gehörte. Auch wenn man sich über die Jahre vielleicht etwas aus den Augen verlor. „Man about Town“ vom letzten Output, das mitreißend gespielte „Assault and Battery“ und selbstredend „Rock’n’Roll Outlaw“ gaben auch dem letzten Besucher kurzerhand zu verstehen, dass dieser Abend nicht ohne dauerhafte Schweißausbrüche, Bierduschen und durch Moshpitbewegungen verursachte Körperberührungen von Statten gehen wird. Nach jedem ihrer Songs erklangen „Rose Tattoo“-Sprechchöre. Zunehmend mehr. Und „Angry“ schien diese aufzusaugen wie ein Vampir das Blut seiner Opfer. Er schien überwältigt von der Liebe, mit der und seine „Bad Boys“ an diesem Abend überschüttet wurde. Nicht selten mit einer Träne im Knopfloch.

All die Hymnen werden von der Band in entschiedener Hingabe an die ursprüngliche Intention jedes Songs gespielt und als ich an diesem Abend die Fähigkeiten der musikalischen Improvisation von Dai Pritchard bestaunen durfte, kam ich nicht umhin, mir vorzustellen, dass sein verstorbener Vorgänger, der große Peter Wells, begeistert wäre von dieser großartigen Leistung. Dai Pritchard könnte stundenlang alleine auf der Bühne stehen, ohne mich mit seinem Slide-Spiel auch nur ansatzweise zu langweilen. Als dann der Blues-Stampfer „Butcher And Fast Eddie“ erklang, war es um mich vollends geschehen. Die im Song enthaltenen Instrumentalparts ließen mich beinahe einen anderen Zustand erreichen. Ich ergab mich vollends den Klängen der australischen Saitenakrobaten. Etwas wehmütig wurde es dann mit dem Song „1854“, den „Angry“ den Jungs widmete, die nicht mehr unter uns weilen. Auch hier schienen seine Tränen nicht aufgesetzt. Dieser Typ ist und bleibt authentisch.

Es folgen mit „Scarred For Life“, „Bad Boy For Love“, dem unglaublich energetisch und mitreißend dargebotenen „Astra Wally“ und dem für diesen Abend Pate stehenden Song „We Can’t Be Beaten“ weitere Klassiker aus der prall gefüllten Bandschatulle. Denn eins war tatsächlich schon mit diesem letzten Song des regulären Sets für mich klar: diese Jungs, die den „Rock’n’Roll“ aufgesogen haben wie ich weiland die Muttermilch, sind unschlagbar. Live auf der Bühne allemal. Als müssten sie all dies noch einmal musikalisch unterstreichen, gab’s dann den ultimativen Rausschmeißer mit „Nice Boys“. Im Publikum gab es ohnehin längst kein Halten und Stehen mehr, so dass man auch zum letzten Song des Abends nicht mehr darüber philosophieren musste, dass man die Menge Bier, die mittlerweile am eigenen, zudem schweißgebadeten, Körper klebte, doch auch gern einfach nur getrunken hätte. Dies war an diesem fantastischen Konzertabend einfach nur eine gewöhnliche Begleiterscheinung. Mit seiner Flasche „Stones Ginger Wine“ steht dieser „Angry“ dann nach dem Erklingen des letzten Tons nebst seinem großartigen Ensemble dort auf der Bühne und zeigt sich gerührt wie ein Teenager, der das Herzmädchen für den Abschlussball gefunden hat. Und meine Brust platzt ein wenig vor Stolz, dass ich seit so vielen Jahren ein Anhänger dieser Jungs bin.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies für mich nicht einer der Gigs war, den man einfach „nur“ genießen kann. Dies war eine dieser seltenen Shows, bei denen ich mir wünschte, es würde immer und immer wieder von vorne beginnen. Auch weil ich den Eindruck nicht loswurde, an diesem Abend auch dem Soundtrack meines Lebens beigewohnt zu haben. Mein Körper erschauert immer noch ein wenig vor Aufregung und Glücksmomenten, weil ich unvergessliche 90 Minuten in Begleitung einer mächtigen australischen Rockband war, die das perfekt beherrscht, was vielleicht nur australische Rockbands können: authentischen, dreckigen, beinahe ikonischen „ROCK’N’ROLL“ selbst leben und weiterreichen. Und wenn ihr sie noch nicht gesehen habt und sie sehen wollt – geht hin! Ihr habt nicht so oft die Chance, eine Band zu sehen, die die Rockmusik der letzten 40 Jahre mitgestaltet hat und auch heute noch ungekünstelt und eindrucksvoll wie eh und je Besucher verzaubert.

In der Pressemitteilung der Tour hieß es: „The Blood Brothers 2018 Tour garantiert unverfälschten, Adrenalin geladenen, dreckigen australischen Rock vom Feinsten!“ Aber in mir löste dieser Satz nur eine Frage aus: liebt ihr Understatement?….(jensS)

Wir bedanken uns bei Oktober Promotion Hamburg für Speis (Akkreditierung) und Trank (Photopass), alle Photos ©VolkerFröhmer

Weitere Tourdaten:

29.08.2018 Nürnberg, Hirsch
30.08.2018 Karlsruhe, Substage
31.08.2018 Bochum, Zeche (Zusatzkonzert)

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