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Kombynat Robotron – Frohe Zukunft

(pe) Kombynat Robotron, das sind Jannes Ihnen an der Gitarre, Claas Ogorek am Bass und Tommy Handschick am Schlagzeug. Die 2018 gegründete Psych-/Krautrock Band aus Kiel legt mit „Frohe Zukunft“ sein mittlerweile fünftes Studioalbum auf die Plattenteller dieser Welt und kredenzt der Hörerschaft nicht weniger als ein schwergewichtiges musikalisches Glanzstück in drei Akten gespickt mit zeitgemäßer, wichtiger und schmerzhaft beißender Sozialkritik.

Mit drei Stücken und einer Gesamtspielzeit von 32 Minuten schaffen Kombynat Robotron es zum einen auf musikalischer Ebene, einen durchweg bassriffgetriebenen psychedelischen Leckerbissen zum Zungeschnalzen zu servieren, der gleichzeitig wiederum auf der thematischen Ebene direkt im Halse steckenbleibt, provoziert, kritisiert, ätzt, und den aktuellen Zeitgeist thematisch perfekt in die musikalische Klanglandschaft einbettet: schnell wird klar, dass der so optimistisch klingende Albumtitel „Frohe Zukunft“ puren Sarkasmus ausspeit. Denn, wie die Band selbst sagt, hat die Zukunft als Hoffnung und Versprechen längst ausgedient: Technischer Fortschritt und der damit verbundene Glaube, durch die Beherrschung der Natur dem Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen, hat sich längst als Trugschluss erwiesen – die Utopie hat sich zur Dystopie gewandelt, war letztlich nicht mehr als eine Illusion und ein politisches und kommerziell missbrauchtes Vehikel für die Ausbeutung und Zerstörung unseres Planeten…

Direkt von Beginn an hypnotisieren uns Kombynat Robotron mit einem fulminanten, stoisch-mechanischen Bassriff, um das sich über 9 Minuten lang der komplette erste Song wie eine unter Hitze zunehmend zusammenschrumpfende Plastik-Shrink-Folie festsaugt. Vor dem geistigen Auge entstehen Bilder der stampfenden 12.000 Tonnen wiegenden Schaufelradbagger im Tagebergbau, die unaufhaltsam und kolossal der Erde ihre Schätze entreißen, Menschen und ganze Dörfer entwurzeln, und das zum monotonen Takt der bassgetriebenen Maschinerie, die sich musikalisch unaufhaltsam in unsere Gehörwindungen bohrt, analog zum sich tiefer und tiefer in die Erde vorbohrenden 288er Bagger-Monstrum.

Akt 2: Kaolin

Kaolin – auch Porzellanerde genannt – ein in der Porzellanindustrie eingesetztes weißes Gestein ist ein weiteres Leuchtturm-Beispiel für die absurde menschliche Zerstörung der Natur in der Illusion auf ein komfortableres Leben:

Klimakrise als akzeptables Nebenprodukt der Umweltzerstörung, fürstlich belohnt mit einem Mittagessen auf feinem Meißner Porzellan…

Und auch in diesem zweiten Song ackert und ächzt die Maschinerie zum Wummern eines dominierenden Bassriffs, die sphärische Gitarre übernimmt den Takt ab und an, gewährt kurze Momente des Verschnaufens, unterstützt vom hervorragend durch die Drumsektion untermalten maschinellen und treibenden Rhythmus, löst sich jedoch nie gänzlich – purer Arbeitsrhythmus, musikalisch symbolisiert und ins Ohr gehend. Der Mensch sucht Lebensrhythmus und findet ihn hier stoisch fußwippend auf dem Weg zum eigenen Untergang.

Während Akt 1 und 2 sich eher mit der Vergangenheit beschäftigen, gewähren uns Kombynat Robotron mit Akt 3 schließlich einen Blick in die Zukunft:

Akt 3: Blei im Flügelschuh

Opus Magnum und damit Herzstück des Albums ist schließlich der 16-Minüter „Blei im Flügelschuh“, der musikalisch einen Blick in unsere zuvor selbstverdiente „Frohe Zukunft“ wirft.
Um es vorwegzunehmen: nie zuvor hat der Umbruch von einer Utopie zur Dystopie, den wir in diesen 16 Minuten erleben, so beeindruckend, erhaben, hypnotisierend geklungen!

Der Titel des Songs wird gleich zu Beginn (natürlich wiederum in Gestalt eines bisher nie gehörten schleppenden und tiefverzerrten Bassriffs, für das unbedingt ein neuer Terminus erfunden werden sollte: das Bleiriff!) vom Wort in die musikalische Tat umgesetzt.

Fünf Minuten lang hängt sich das Bleiriff wie ein mafiöser Betonklotz an unsere Füße, stutzt den Flügelschuhen des Hermes ebendiese Flügel bzw. reißt den Schuhen die Flügel vielmehr brutal heraus, und zieht uns hinab in die Tiefe, hinab in unser selbst geschaufeltes Grab, bis musikalisch reduziert schließlich nur noch die Basslinie in Zeit und Raum existiert. Nach einer Minute in der lichtlosen Tiefe setzen sphärische Gitarre und Schlagzeug schließlich wieder ein, nur um uns final klarzumachen, dass es keinen Ausweg aus der Tiefe gibt.

Und in Minute 11 schließlich erleben wir den totalen Kollaps: die Basslinie bricht komplett weg, der Mensch hat sich seines Rhythmus eigenständig beraubt, und selten habe ich mich in einem Song plötzlich derart orientierungslos und verloren gefühlt – Angstschweißperlen bahnen sich den Weg durch die Poren auf die Stirn, bis schließlich, noch langsamer gespielt und noch tiefer verzerrt, das Bleiriff wieder einsetzt und aus der nur einminütigen Verlorenheit ein Bewusstsein dafür entsteht, wie abhängig wir schon von der Gewohnheit geworden sind, wie stoisch und unreflektiert wir schon den vorgegebenen Pfaden folgen, wie schwer es uns fällt, vielleicht doch noch den letzten Strohhalm zu ergreifen, vom Fließband zu springen, einen neuen, gesünderen Rhythmus zu gestalten und die Zukunft doch noch zur „Frohen Zukunft“ zu transformieren…

Psychrock wird oftmals gleichgesetzt mit musikalischer Umschreibung kosmischen, universellen Trippings – also eigentlich genau das musikalische Gegenteil zu allen irdisch verwurzelten Klangwelten. Interessanterweise schaffen es Kombynat Robotron in den Songs dieses Albums, niemals auch nur ansatzweise eine kosmische Komponente zu assoziieren – stattdessen verwurzeln sie den Hörer musikalisch komplett im Irdischen und unterstützen damit die Aussagen ihres Albums auf wunderbare Weise massivst.

„Frohe Zukunft“ ist ein irdischer Trip – ein auf musikalischer wie auch auf narrativer Metaebene perfektes Album.Und der Autor freut sich unbändig darauf, die Band im Herbst endlich auch live erleben zu dürfen und hoffentlich vom Kombynat Robotron das Bleiriff hautnah in einer „Hier und Jetzt“-Erfahrung aus den Ohren, dem Kopf und dem Körper entzementiert zu bekommen, vielleicht doch einmal nur ganz kurz ins Licht zu blinzeln, um seine eigene Orientierungslosigkeit nach Abheben der Nadel vom Vinyl, in fiebersüchtiger Erwartung des riffrhythmischen Wiedereinsetzens, zu durchbrechen, und Hermes Schuhflügeln vielleicht doch noch wieder zum Schlagen zu verhelfen … (pe)

VÖ: 06.10.2023 / Drone Rock Records

Tracklist

  1. Montan 9:06
  2. Kaolin 6:54
  3. Blei im Flügelschuh 15:56

Band-Website www.kombynatrobotron.de

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