(as) Hinter der Großen Mauer, nach der „La Iglesia Atómica“ ihr neues Album benannt haben, verbirgt sich ein sogenanntes Filament im Weltraum – eine Ansammlung von Materie, die drei Galaxien umfasst. Recherchiert man ein wenig, erfährt man, dass es sich um die drittgrößte bekannte zusammenhängende Struktur im All handelt, und die puerto-ricanische Psychedelic-Rock-Legende vertont sie sozusagen auf klassische Weise in drei musikalischen Sätzen.
Das gemeinsam von den Musikern mit Jochi Dávila produzierte Werk der Gruppe, die derzeit ihr Comeback nach zwei Dekaden Pause feiert, wurde von Grobschnitt-Meister Eroc gemastert und erschien bereits Anfang 2018. Wir widmen uns der Vinyl-Veröffentlichung über Clostridium, die wie üblich klotzen, statt zu kleckern: Die LP ist auf 520 Exemplare à 180g limitiert, wobei 190 in Schwarz und 220 auf farbigem Vinyl gepresst wurden. Das Label spendiert ein DIN-A2-Poster und einen DIN-A4-Einleger, 110 Einheiten werden als „Die Hard Edition“ mit Aufklebern ausgeliefert.
Zur Musik: Ein derart episches Konzept bedarf einer Umsetzung ohne Hast, und dementsprechend geruhsam lassen es die 1990 gegründeten Stoner-Vorreiter angehen. „Viajero“ (Deutsch: „Wanderer“) beginnt mit Samples von Aufnahmen der NASA-Sonde Voyager von 1993 und durch eine Fülle von Effekten verfremdeten Gitarrensounds, ehe die Rhythmusgruppe einsteigt und so etwas wie ein steter Puls Struktur schafft. Die Mitglieder spielen sich zusehends in jene Art von Rausch, die im Space- bzw. Post-Rock-Bereich allzu bekannt ist, doch vor dem thematischen Hintergrund ergibt diese akustische Entsprechung eines Raketenaufstiegs absolut Sinn.
„Nube de Oort“ beschreibt dann quasi die Oortsche Wolke, eine weitere, allerdings hypothetische Ballung von Materie am Rand unseres Sonnensystems. Der im Verhältnis zum Opener nur halb so lange Track baut eine bedrohliche Stimmung auf, als sei der Flugkörper in Gefahr, weshalb wohl auch der Groove mitunter ausfranst. Dieses chaotische Element macht das Hörerlebnis umso intensiver, sodass man die fehlenden Melodie-Hooks, die „La Iglesia Atómica“ auf früheren Album stets einbauten, nicht schmerzlich vermisst.
Dennoch bleibt „Gran Muro“ anders als seine Vorgänger ein Album für „special interest“-Hörer. Daran rüttelt auch das abschließende „Hijo del Sol“ nichts, das den Endpunkt der interstellaren Odyssee markiert. Gleichwohl, die Band schraubt die Dramatik gekonnt weiter in die Höhe, so wie es sich für ein großes Finale geziemt. Wenn sich die Platte letztlich durch eines auszeichnet, dann sind es ungeachtet ihrer sperrigen Anlage die klaren Konturen, die jede Komposition hinsichtlich ihrer Stimmung aufweist.
Wer also gern ein wenig „Arbeit“ in kosmische Klänge steckt, wird hier schließlich belohnt, und so gesehen it „Gran Muro“ ein dreiteiliger Film: verheißungsvoller Start, zwischenzeitliche Turbulenzen und dann eine glorreiche Ankunft an einem Ziel, das sich jeder selbst ausmalen darf. Diese Subjektivität ist auch das Schöne an Musik generell, nicht wahr?
https://laiglesiaatomica.bandcamp.com
Clostridium
Viajero 20:46
Nube de Oort 09:49
Hijo del Sol 10:10
Agustin Criollo (b, g, perc)
Martin Latimer (g )
Herb Pérez (dr)
Andreas Schiffmann
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