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Der Finger – Le Cinque Stagioni

(as) „Der Finger“ stammen aus Moskau, der sich zusehends zu einer Hochburg für spannende Rock-Sounds entwickelnden Hauptstadt des leider gleichsam schrittweise zu restriktiven und unterdrückerischen Verhältnissen zurückkehrenden Russlands. Die Gruppe hat sich, wie sie selbst angibt, einer Versöhnung von Industrial und Noise Rock mit der Freiform-Attitüde avantgardistischer Jazzer verschrieben. Klingt nach unbequemem Stoff? Ist es auch …

Die seit 2012 unter diesem Bandbanner aktiven Kernmitglieder – ein gemischtgeschlechtliches Multi-Instrumentalisten-Duo – haben sich für die Aufnahmen um den Vater von Schlagzeugerin Ewgenia verstärkt, dessen Saxofonspiel das stärkste Argument dafür ist, das Album im weiteren Jazz-Kontext zu verorten.

Die fünf Songs stehen jeweils für eine Jahreszeit im „Illuminati“-Kalender aus der gleichnamigen Romanreihe von Schriftsteller Robert Anton Wilson, wobei der Titel der Scheibe selbst auf Antonio Vivaldis „Vier Jahreszeiten“-Zyklus anspielt. Die deutschen Titel stehen ergo für die jeweils 73 Tage dauernden Phasen, wobei die Sprache bewusst gewählt wurde, weil „Der Finger“ sie als Aspekt des Ausdrucks avantgardistischer Kunst und Verweis auf die Décadence-Ära ansieht.

Unter derart verkopften Voraussetzungen schließt sich die Hoffnung auf leicht konsumierbare Sounds von vornherein aus. Der Großteil des Materials wurde an nur einem Tag in der Heimatstadt der Musiker aufgenommen, was den Stegreif-Charakter des Ganzen zusätzlich unterstreicht. Wer den Vorgänger „Zug“ (2015) kennt, weiß ohnehin Bescheid.

Die einzelnen Indizes der CD sind jeweils nach acht Minuten gesetzt, die „Realpolitik“ veranschlagt, ein mit blubbernden Störgeräuschen angereichertes, aber im Wesentlichen verblüffend lyrisches Bass-Domra Solo, oder erfolgen erst nach geschlagenen 20, die man gleich mit dem eröffnenden „Verwirrung“ vorgesetzt bekommt. Ja, die Benennung der Tracks passt bei „Der Finger“ oft zu dem, was sie beinhalten …

Drones und diffuses Kratzen gehören auf „Le Cinque Stagioni“ zum guten oder besser gesagt schlechten Ton. Der flimmernde Ton des Holzblasinstruments erinnert unterdessen an die Arbeiten des kanadischen Basssaxofonisten und Klarinettisten Colin Stetson, der mit seiner wagemutigen Attitüde gut bei „Der Finger“ aufgehoben wäre. Mechanisch schreitende Parts sind selten, oft kommt das Trio gänzlich ohne stetes Rhythmusfundament aus, insbesondere in „Unordnung“ – ein wiederum sehr treffender Titel für die Musik insgesamt.

„Zweitracht“ (hier habt ihr wohl versehentlich die Konsonanten vertauscht … oder war‘s Absicht?) bietet Beinahe-Jazzrock, obgleich wirklich nur beinahe – hibbelig treibend, ein vertonter Dschungelfiebertraum – und von der bedrohlichen Sorte. „Beamtenherrschaft“ wirkt nach bis dahin sehr viel Stress wider Erwarten kontemplativ, wenn auch nicht besinnlich nach landläufigem Verständnis.

Spannend anzuhören, die Chose … wenn auch nicht als konventionelle Musik, sondern wie eine Reihung akustischer Ereignisse mit allenthalben vagen Strukturen. Materialhaft nennt man das ja fachsprachlich: Alle Elemente, die Musik ausmachen, sind vorhanden, bloß keine ersichtliche Beziehung unter ihnen.

Toten Schwan Records

https://derfinger.bandcamp.com

Verwirrung

Zweitracht

Unordnung

Beamtenherrschaft

Realpolitik

Anton Efimow (b, effects)

Ewgenia Siwkowa (d, sax),

Edward Siwkow (Bassklarinette, Bass-Domra, sax)

Andreas Schiffmann

Filed under: Album Reviews, Jazz, Rock,

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