
(jm) Die koreanische Künstlerin ist mir erstmals durch ihre eigenwilligen Interpretationen von Metallica’s „Enter Sandmann“ und Nine Inch Nails „Hurt“ begegnet. Die Welt ist voll von sehr vielen schlechten Coverversionen. Youn Sun Nah verändert die Vorlagen jedoch so nachhaltig, dass die Lieder nicht nur neue Geschichten fernab der ursprünglichen Versionen erzählen, sondern sich in eigene Mysterien verwandeln, so dass man selbst bei einem inzwischen allzu zu oft gehörten Song wie „Enter Sandman“ völlig neue Welten entdeckt. Dazu kommt eine Stimme, die beim Hören fesselt. Eine Persönlichkeit, die eine Mischung aus Ernst und Empathie in die Musik trägt, ohne damit aufgesetzt zu wirken, obwohl sie aus einem völlig anderen musikalischen Umfeld kommt.
Youn Sun Nah ist eine erstaunliche Künstlerin. In jungen Jahren sang sie in ihrer südkoreanischen Heimat in Musicals, war in klassischen Ensembles zu erleben, stellte dann aber für sich fest, dass ihr die Welt der festgelegten Töne auf Dauer zu eng werden würde. Also beschloss sie 1995, Seoul in Richtung Paris zu verlassen, um sich an der Seine mit Chanson und Jazz zu beschäftigen. Es war kein Bruch mit der Vergangenheit, eher eine Erweiterung der Möglichkeiten des Ausdrucks. Denn Youn Sun Nah entwickelte eine individuelle Dramaturgie gesanglicher Gestaltung. Ihre Lieder entfalteten hypnotische Intensität, die einer Mischung aus Innerlichkeit, Perfektionsdrang und intuitivem Verständnis der richtigen Balance von Ernst und Emotionalität entsprang. Das Resultat war beeindruckend. Bald hing ihr bei Konzerten das Publikum gebannt an den Lippen und folgte den musikalischen Geschichten, die sie zu erzählen hatte. Eine Kostprobe von „Enter Sandmann gibt es hier:
Von Paris an war es eigentlich nur noch eine Frage der richtigen Partner und des passenden Repertoires, um aus der Newcomerin einen Star werden zu lassen. Über das vergangene Jahrzehnt hinweg wurde Youn Sun Nah zum Headliner von Festivals, füllte die großen Hallen, merkte aber auch, dass sie sich neu orientieren musste, um nach diesen Erfolgen den nächsten Schritt gehen zu können. So schlug sie einerseits wieder Zelte in Seoul auf, studierte traditionelle Musik, aber auch die aktuelle, international erfolgreiche Klangkultur des Landes.
Mit dem am 8. März erschienen Album „Immersion“ geht die koreanische Sängerin neue Wege und verbindet die Intensität ihrer unvergleichlichen Stimme mit der Ausdruckskraft von Jazz, Rock, Folk und dem Anspruch großer Songs. „Immersion“ ist ein stilistisch weit gefächertes Album, ein Eintauchen in viele Welten, von der andalusischen Klassik der „Asturias“ über die Motown-Unbeschwertheit à la „You Can’t Hurry Love“ und die Nachdenklichkeit von Marvin Gayes „Mercy Mercy Me“ bis hin zu Leonard Cohens profundem Pathos in „Hallelujah“. Auch hier werden die Songs nicht zu bloßen Coverversionen – sie tauchen direkt ein in Youn Sun Nah’s musikalisches Universum und schaffen eine neue musikalische Welt. Ein Phänomen, dem der Produzent und Pianist Clément Ducol (Camille, Melodie Gardot) oder auch Musiker wie der Schlagzeuger und Cellist Pierre-François Dufour zum passenden, ebenso reduzierten wie pointierten Klanggewand verhelfen. Wer außergewöhnliche Stimmen liebt und erfahren möchte, wie Songs klingen können, die man vermeintlich zu kennen scheint, sollte sich nicht nur mit „Immersion“ – sondern auch mit den früheren Werken Youn Sun Nah’s wie „Lento“ oder „She Moves On“ beschäftigen. Es lohnt sich. (Jens M.)
Musiker:
Youn Sun Nah – vocals, kalimba
Clément Ducol – piano, synthesizers, programming, drum machine, acoustic guitar, marimba, toy piano
Pierre-François “Titi” Dufour – cello, electric cello, drums, percussion, drum machine, udu drum, body percussion, prepared piano
Laurent Vernerey – electric bass (9,13)
Tracks:
1. In My Heart (Youn Sun Nah / Rumi*)
2. The Wonder (Youn Sun Nah, Clément Ducol / Morley Shanti Kamen)
3. Isn’t It A Pity (George Harrison)
4. Here Today (Youn Sun Nah / Morley Shanti Kamen)
5. Mystic River (Youn Sun Nah / Rosita Kèss)
6. Sans Toi (Michel Legrand / Agnès Varda)
7. Mercy Mercy Me (The Ecology) (Marvin P Gaye)
8. God’s Gonna Cut You Down (Traditional / Arr. John R. Cash)
9. You Can’t Hurry Love (Brian Holland, Lamont Dozier, Edward Jr. Holland)
10. Asturias (Isaac Albéniz y Pascual / Arr. Youn Sun Nah)
11. I’m Alright (Youn Sun Nah)
12. Invincible (Youn Sun Nah / Birdpaula)
13. Hallelujah (Leonard Cohen)
Live:
07.05. München, Muffathalle
20.05. Allensbach, Jazz am See (ausverkauft)
21.05. Freiburg, Jazzhaus
23.05. Düsseldorf, Savoy Theater
24.05. Worpswede, Music Hall
25.05. Oldenburg, Kulturetage
27.05. Heidelberg, Stadthalle
28.10. Berlin, Kammermusiksaal
29.10. Hamburg, Kulturkirche Altona
Weitere Termine in Vorbereitung!
Kontakt:
www.younsunnah.com
facebook.com/younsunnahofficial
youtube.com/officialyounsunnah
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