(hwa) Ringo Starr, einer der bekanntesten und begnadetsten Drummer der Welt, Sunnyboy der Beatles und Lieblingsschwiegersohn vieler damaliger Fanmütter, rutschte nach dem Split der Beatles 1970 massiv in die Alkoholabhängigkeit. Aber er kriegte die Kurve. Wie er das managte, viele Platten verkaufte und wie Phönix aus der Asche zum Big Band Leader („All Starr Band“) und Schauspieler avancierte, erzählt uns Nicola Bardola in einer bemerkenswerten Starr-Biographie …
Ringo wurde kürzlich (7. Juli 2020) 80 Jahre alt. Obwohl: „jung“ müsste man fairer Weise sagen. Denn er wirkt wie das neuzeitliche Narrativ vom „Das heutige 80 ist das frühere 60“. Aber bei Ringo passt es durchaus. Er wirkt drahtig und hat augenscheinlich kein Gramm Fett zuviel auf den Rippen. Und überhaupt: der mit 1,69 cm Körpergröße relativ kleine Ringo wirkt in der Rückschau wie ein Titan und erfreut sich einer nach wie vor enormen Wertschätzung. Ich schätze seinen Bekanntheitsgrad alleine in Großbritannien auf 100 Prozent. Kunststück: Er war ja Teil der Fab Four – und hat John Lennon durch dessen tragische Ermordung im Alter von 40 gerade um das Doppelte überlebt.
Ja, ja der Ringo: ein Stehaufmännchen wie aus dem Bilderbuch. Das belegt nicht zuletzt auch der schwere Autounfall, den er sich zusammen mit Barbara Bach auf der Rückfahrt von den Dreharbeiten zu „Caveman“ zuzog. Die Fotos vom Autowrack sind legendär, in seinem Besitz sollen sich noch das Lenkrad und die Nummernschilder (und sei es nur zur Warnung) befinden.
Von allen vier Beatles wurde Ringo in Teilen der Öffentlichkeit lange unterschätzt. Nach dem Split der Beatles fehlte es ihm plötzlich am notwendigen Selbstvertrauen, während er in Drummerkreisen wegen seines Beats nach wie vor ikonenhaft verehrt wurde. Er flüchtete sich zunehmend in den Alkohol. Zusammen mit seiner zweiten Ehefrau, der Schauspielerin Barbara Bach, die co-abhängig wurde, absolvierte er gerade noch rechtzeitig eine nachhaltige Entzugstherapie.
„Seit 1989 rührt Ringo keinen Alkohol mehr an“, weiß Bardola zu berichten. Ringo verwandelt sich vom schwitzenden und aufgedunsenen Alkoholjunkie zurück zum Sunnyboy der Beatles-Ära. Ringos Peace and Love-Mantra mit den zum Friedenszeichen gespreizten Fingern wurden neben den Sonnenbrillen zu seinem zweiten Markenzeichen.
Warum weiß (wusste) man eigentlich über Ringos Leben vergleichsweise wenig? Ich habe circa 40 Bücher über die Beatles im Archiv – aufgesplittet in die Bios von John, Macca und George und die Beatles als Ganzes. In der Regel kam Ringo nur innerhalb der Band-Bios vor (von Bill Harry’s „Ringo Starr Encyclopedia“, Random House, 2012, mal abgesehen).
Ringos Leben ist insofern immer noch das unbekannteste der Fab Four. Das holt Bardola nun nach und zäumt das Pferd von hinten auf. Er beginnt in Teil eins von Ringos Zeitreise mit „Wendepunkte von 1970 bis 2020“. Darin enthalten: „Ringos zwanzig Soloalben und Greatest Hits von 1970 – 2020“. Es folgen die „Schlaglichter 1970 bis 2020“. In Teil zwei lesen wir dann die „Wendepunkte von den Anfängen bis 1969“, von „Ringos Drums und Songs von den Anfängen bis 1969“ sowie von „Schlaglichtern von den Anfängen bis 1969“. In Teil drei wird Ringo als Schauspieler, Filmemacher und Fotograf portraitiert. Und im Anhang gibt’s dann noch die Diskographie, Filmographie und Bibliographie. Für mich ist der Abschnitt „Ringos Drums und Songs“ das Herzstück dieses Buches schlechthin.
Anhand der Sublines „Silly Fills“, „Ringo ist der Motor“, „Hart draufschlagen“, „A real raver“, „Ringos Malapropismen“, „96 Schläge pro Minute“, „Everyone of us has all we need“, „Der Sound kommt durch die Augen“ oder „Das größte Kompliment“ schafft Bardola ein Glanzstück und kriecht Ringo dermaßen unter die Haut, dass das Geniehafte von Ringo wie in Zeitlupe aufgefächert wird. Ganz großes Kino!
Irgendwie war Ringo, geboren als Richard Starkey (aber von seinen Eltern, Verwandten und Freunden nur „Ritchie“ gerufen) scheinbar schon seit Kindheitsbeinen an alkoholgefährdet. Bardola zitiert Ringo mit einem Zitat seiner Mutter: „Meine Mutter erzählte mir, dass ich als Neunjähriger sturzbetrunken auf allen Vieren durchs Wohnzimmer kroch.“ Es mag ihn berauscht haben. Weitaus weniger berauscht war Ritchie indes, als er im Alter von zwölf an Tuberkulose erkrankte und in der Heswall-Klinik, etwa 60 Kilometer westlich von Liverpool, zwei Jahre eingesperrt war.
Eine traumatische Erfahrung. Da schafft man sich Fluchten – was immer auch geht. Ritchie entdeckt in der Klinik seine Vorliebe zum Beat und trommelt mit allem, was ihm in die Finger kommt. Er wird zum Autodidakten und seine Leidenschaft fürs Trommeln zum schicksalhaften Wendepunkt seines Lebens. Denn als Drummer von Rory Storm & The Hurricanes gerät er zu Anfang der 1960er Jahre in den unmittelbaren Dunstkreis der Beatles in Hamburg. Deren Drummer Pete Best fiel erkrankt aus, Ringo (damals wegen seiner vielen Fingerringe nur „Rings“ genannt) sprang ein – und den Beatles fiel die Kinnlade runter. Wie es heute immer noch so treffend kolportiert wird: „Best spielte nicht unbedingt schlechter – aber Ringo spielte ANDERS“. Er hatte den Drive und er hatte den BEAT, die die Beatles neben John, Paul und Gerorge innerhalb kürzester Zeit zu weltweiten Pop-Ikonen machten. Und nicht zu vergessen: Ringo war immer gut drauf und hatte den Schalk im Nacken.
Er war plötzlich drin. Aber nicht mehr drin waren über einen Zeitraum von nur vier Jahren die Hysterie bzw. die Beatlemania, die der Band massiv zusetzten. Der orenbetäubende Lärm erstickte sogar letztlich die PA, so dass sich alle nicht mehr selbst spielen hören konnten. 1966 war dann Schluss mit den Live-Events. Nach dem Split der Beatles 1970 fiel Ringo erst einmal in ein tiefes Loch. Er stürzte sich wie ein Besessener in die Arbeit. Sein Glück: er konnte sich blind auf die Rückendeckung seiner Buddies George Harrison oder Klaus Voormann verlassen. Sie standen ihm viele Jahre lang mit Rat und Tat zur Seite. Dann bricht Ringo überraschend mit der Erwartungshaltung seiner weltweiten Fangemeinde.
Er gibt 1970 das Album „Sentimental Journey“ (angelehnt an Songs aus dem „Great American Songbook“) und 1971 „Beaucoups Of Blues“, ein Country-Album, heraus. Dort spielte er keine Drums, sondern konzentrierte sich ausschließlich auf Stimme und Gesang. Mit dem dritten Album „Ringo“ gelang ihm dann der ganz große Coup. Es gab Hit-Singles, die ausgekoppelt wurden (z.B „Photograph“ oder „You’re Sixteen“) aber auch solche, die zuvor schon als Singles only veröffentlicht wurden („It Don’t Come Easy“ oder „Back Off Boogaloo“).
Anyway: Nach seinem erfolgreichen Entzug in 1988/89 startet er mit seiner neu gegründeten „All Starr Band“ nochmals so richtig durch. Bei Wikipedia steht, dass Ringo elf All Starr Band-Livealben veröffentlicht habe. Das übernimmt Bardola nicht, sondern schreibt von „neun Live-Alben und 14 verschiedenen All Starr-Formationen mit bislang rund 50 Mitgliedern.“ Sicher ist: die All Starr Band reüssierte weltweit.
Beteiligt waren bei der allerersten All Starr Band-Formation Billy Preston, Clarence Clemons, Levon Helm mit Garth Hudson und Rick Danko von The Band, Dr. John, Joe Walsh, Jim Keltner, aber auch special guests wie Bruce Springsteen, Max Weinberg und Zak Starkey.
Die zweite Live-Formation war unterwegs mit Todd Rundgren, Dave Edmunds oder Timothy B. Schmit (Poco, Eagles).
Mark Farner, Frontmann von Grand Funk Railroad, holt Ringo in die dritte Formation und viele weitere Musiker folgen. Die Liste aller ist riesig.
2019 erschien Ringos 20. Studioalbum „What’s My Name“.
Ringo ist achtfacher Großvater und inzwischen auch Urgroßvater.
Im Zusammenhang mit der Umwidmung in John Lennon Airport des Liverpooler Flughafens zitiert Bardola Ringos typischen Humor mit den Worten, dass er sich gefreut hätte, „wenn man wenigstens ein Gepäckband des Flughafens nach ihm (Ringo) benannt hätte“.
Gemach, Herr Starr: zu kurz kommen eigentlich nur die wahrhaftig Zukurzgekommenen. Ringo kommt aber keineswegs zu kurz: in Liverpool gibt es nämlich offiziell den „Ringo Starr Drive“. Weitere Ehrungen gefällig?
Bittesehr:
2010 erhält er (nach John Lennon und George Harrison) einen Stern auf dem „Walk of Fame“ in Hollywood.
2013 erhält Ringo den höchsten französischen Kulturorden.
2015 wird Ringo in die „Rock And Roll Hall of Fame“ aufgenommen.
2018 wird Ringo in den britischen Ritterstand erhoben und darf sich nun „Sir Richard Starkey“ nennen. Ich finde das alles berechtigt.
Nur teilweise berechtigt finde ich allerdings die sogenannte Diskographie im Anhang. Die ist gelinde gesagt ausbaufähig. Es werden nämlich ausschließlich nur Ringos Solo-Alben berücksichtigt. Seine höchst erfolgreichen Solo-Singles oder seine weltweit bejubelten All Starr Band-Projekte werden dort ausgeblendet. Glücklicherweise werden sie im Buchtext thematisiert.
Anyway: ich gratuliere Ringo Starr zum 80. Geburtstag aufs Herzlichste. Er und die Beatles haben in hohem Maße mein Leben bereichert. Und ich beglückwünsche Nicola Bardola dafür, eine langjährige Lücke in Form einer deutschsprachigen Ringo-Biographie mit viel Sachverstand geschlossen zu haben.
Und falls ich noch allen Beatles-Nachgeborenen einen Tipp geben darf: Neben Bardolas Buch empfehle ich unbedingt „The Beatles Anthology“ (fünf DVDs im Schuber). Das macht das Ganze gleich doppelt rund.
John Lennon brachte es einst treffend auf den Punkt: „Ringo war ganz einfach das Herz der Beatles“.
(Heinz W. Arndt)
Nicola Bardola
„Ringo Starr – Die Biographie“
Mit zahlreichen Farb- und s/w-Fotos
Edition Olms, 04/2020
Einband: Gebunden
Sprache: Deutsch
ISBN-13: 9783283012953
Umfang: 240 Seiten
Gewicht: 757 g
Maße: 23,8 x 16,4 cm
Stärke: 3,2 cm
Erscheinungstermin: 20.4.2020
Preis: 25 Euro
Filed under: Drucksachen, Edition Olms, Nicola Bardola, Ringo Starr - Die Biographie