(jm) Es gehört schon eine gehörige Portion Mut, Leidenschaft und vielleicht auch Wut dazu, als Vollblutmusiker in Zeiten wie diesen ein neues Album zu veröffentlichen. Auch wenn das schon Ende Oktober letzten Jahres erschienene „Wildfire“ Album mit großer Unterstützung ihrer Fans über eine Crowdfunding-Kampagne querfinanziert wurde – der Beweis, dass das in Musik investierte Geld gut angelegt ist, müssen die Osnabrücker Jail Job Eve erst einmal antreten. Gegenüber dem 2018 veröffentlichten Werk „The Mission“ – hier von mir an anderer Stelle besprochen – erscheint „Wildfire“ schon beim ersten Hören deutlich härter und rauer als der Vorgänger. Während „The Mission“ wie ein klassisch polierter Blues-Rock-Monolith wirkt, der einem beim Hören wunderbare Weisheiten ins Ohr flüstert und schreit, kommt das neue Album deutlich gröber, experimenteller, aggressiver und auch angriffslustiger um die Ecke.
Dieser Eindruck wird umso verständlicher, wenn man erfährt, dass die Songs im Studio komplett live eingespielt wurden. Die Band – eine live schon immer fantastisch zusammenarbeitende Rock-Maschinerie – erscheint noch einmal mehr gereift und zusammengeschweißt. Victoria Semel singt, flüstert und schreit sich die Seele aus dem Leib und erinnert mich vom Gesangsstil mitunter tatsächlich an die großartige Aretha Franklin – auch wenn die Genres natürlich absolut nicht vergleichbar sind. Gitarrist Benedikt Schlereth und Jens Niemann an der Hammond-Orgel jagen den Hörer virtuos, stilsicher und inspiriert durch das Beste aus mehr als fünfzig Jahren Rockmusik. Tim Beckers am Bass und Josef Röhner am Schlagzeug liefern dafür ein präzises Rhythmus-Fundament. Wer heute Bands wie Deep Purple, Led Zeppelin oder aus der jüngeren Zeit Blues Pills und Rival Sons zu seinen Favoriten zählt, wird bereits beim Hören der ersten Klänge von Jail Job Eve wissen, wovon ich spreche.
Die Texte stammen wieder aus der Feder von Victoria und Jens und setzen sich mit den ideologischen Themen unserer Zeit auseinander. Im Opener „Down The Rabbit Hole“ gefolgt von „Mid-Flight“ und „Hit Me With A Lightning“ beginnen sie damit, ihre eigene Betroffenheit zu verarbeiten und halten der Gesellschaft den Spiegel vor: Welche Verantwortung haben wir alle für Kunst und Kultur in Krisenzeiten? Kann sie sich noch entfalten in einer Welt, die so reglementiert wird, dass jede Form von Kreativität erstickt? Muss sie nicht ein Sehnsuchtsort sein, der uns gerade in schwierigen Zeiten hilft, diese leichter zu überstehen? Muss sie nicht als Form des „stillen Protests“ weiter existieren und sollte sie dabei nicht auch laut sein? Ich denke ja!
„No Means No“ und „Lost“ nehmen den immer noch allgegenwärtigen Sexismus in einer von Männern dominierten Welt aufs Korn, bei „Lost“ durch einen einfachen Wechsel der Perspektive. Im Titeltrack „Wildfire“ thematisieren sie schlussendlich den Klimawandel, der sich auch in der grafischen Gestaltung des von Grafikdesigner und Illustrator Sebastian Jerke gestalteten Album-Artworks wiederfindet: Es zeigt eine gesellschaftliche Elite, die von der inzwischen unbewohnbaren Erde offensichtlich geflüchtet und den Mond für sich als neues Party-Domizil entdeckt hat, um ungeniert genauso weiterzumachen, wie sie kürzlich aufgehört haben…
Es ist offensichtlich: Jail Job Eve machen sich wie so viele andere Menschen Sorgen. Egal, ob man das Album des sympathischen Quintetts aktiv mitfinanziert hat oder nicht – das Geld ist gut angelegt. Bei welcher Anlageform bekommt man heute noch eine kontinuierliche und jederzeit abrufbare „Ausschüttung“ in Form von ehrlichen, mit viel Herzblut und Leidenschaft produzierten Songs, die sich auf Weltklasse-Niveau bewegen und zudem noch klare Botschaften zu den wichtigsten Fragen unserer Zeit enthalten? Jederzeit abrufbar, das bedeutet, dass das Werk auf den üblichen Streaming-Plattformen und als CD erhältlich ist. Vinyl ist in Vorbereitung und wird auf der im Frühjahr geplanten Tour mit im Gepäck sein – die beste Gelegenheit, den Hunger nach Live-Performances zu stillen und dort das Album am Merch-Stand für „den Genuss danach“ mit nach Hause zu nehmen. Ich freue mich darauf! (Jens M.)
Tracks:
- Down The Rabbit Hole – 5:07
- Mid-Flight – 3:37
- Hit Me With A Lightning – 4:00
- Wildfire – 7:25
- Lost – 3:48
- Flying V – 3:30
- Keep It Quiet – 4:03
- No Means No – 3:21
- Neither Man Nor Machine – 3:47
- Riot – 3:16
Tourdaten:
02.06. – Sauerlandpark, Hemer
23.06. – Piano, Dortmund
27.06. – Backstage, München
28.06. – Garage, Saarbrücken
29.06. – Hirsch, Nürnberg
30.06. – Sputnik Café, Münster
05.08. – AquaMaria Festival, Plattenburg
26.08. – Wohnzimmer, Gelsenkirchen
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