(tn) Die Kompilation-Reihe „Elektronische Musik“ vom Londoner Label Soul Jazz Records wurde 2010 mit der vorliegenden Veröffentlichung gestartet. Mittlerweile ist schon der dritte Teil der Reihe erschienen und dies ist Grund genug, die nicht mehr erhältlichen Teile neu aufzulegen.
Der erste Teil konzentriert sich dabei auf die experimentelle deutsche elektronische Musik zwischen 1972 und 1983. Wie man aus dem festgelegten Zeitraum erkennen kann, setzen die ausgewählten Tracks zeitlich nicht sehr früh ein und man ist, wenn man das eigene Gedächtnis bemüht, zuerst einmal auf die frühen Songs gespannt, stellt sich doch die Frage: Wo beginnt eigentlich die Geschichte der elektronischen Musik in Deutschland?
Dass dieser Teil der Musikgeschichte auch eine Geschichte der Instrumente und technischen Möglichkeiten ist, auch darauf verweisen die ausgewählten Stücke, wenn man etwa den Einsatz der Synthesizer, Vocoder oder des Mellotrons in Augenschein nimmt.
Der Opener der Kompilation ist „A Spectacle“ von „Can“, das von dem „Can“ aka „Inner Space“ Album aus dem Jahr 1979 stammt und 1985 erneut unter dem Titel „Inner Space“ veröffentlicht wurde. „Can“ ist noch mit „I Want More“ von dem Album „Flow Motion“ (1976) vertreten. Wenn man diese Titelauswahl mit den umfangreichen Liner Notes vergleicht, die den Beginn der elektronischen Musik in Deutschland Ende der Sechzigerjahre in enger Verbindung mit den gesellschaftlichen und politischen Veränderungen der Bundesrepublik und den Studentenunruhen in Korrelation setzen, hätte man eher frühe Aufnahmen von den ersten Sessions vom Juni 1968 erwartet oder eine Aufnahme des spektakulären „Mother Sky“ vom Juli 1970.
Jeweils mit zwei Tonbeispielen präsentieren sich „Popol Vuh“ und „Amon Düül II“. Conrad Schnitzler ist mit der Band „Cluster“ vertreten, zu der auch Dieter Moebius und Hans-Joachim Roedelius gehörten. Roedelius und Moebius findet man zusammen mit dem auch bei Kraftwerk zwischenzeitlich aktiven Michael Rother als „Harmonia“ mit dem spektakulären Track „Dino“. Von dem Album „Tonspuren“ (1983) von Dieter Moebius kommt der erste Hörtipp „Hasenheide“.
Interessanterweise gibt es kein Klangbeispiel von der vor allem im englischsprachigen Bereich für deutsche elektronische Musik bekannten Combo „Kraftwerk“ – hier werden wohl lizenzrechtliche Gründe die Ursache sein. Dafür ist aber die Formation „Neu!“ vertreten, an der neben dem erwähnten Michael Rother auch Klaus Dinger maßgeblich beteiligt war. Beiden hat man die motorischlastige Elektronik zu verdanken, allen Tracks voran das über zehnminütige „Hallogallo“.
Weitere Meilensteine der elektronischen Musik in Deutschland bleiben mit „Popol Vuh“, „Ash Ra Temple“ und „Faust“ nicht unerwähnt. Von der „Berliner Schule“ der elektronischen Musik ist Edgar Froeses „Tangerine Dream“ mit „No Man’s Land“ und „Ash Ra Temple“ mit dem phantastischen „Daydream“ vertreten. Leider fehlt hier ein Beispiel von „Agitation Free“ und Klaus Schulze, dessen Soloalben über Jahre hinweg ein wichtiger Beitrag zur deutschen Elektronikszene waren. Auch fehlen leider Hinweise auf die Electropunks von den „Einstürzenden Neubauten“ oder auf die Hardcore-Elektroniker von DAF (Deutsch Amerikanische Freundschaft), die vor allem die Grenzen des Genres definiert haben. Bemerkenswert ist noch die Aufnahme von „Filmmuzik“ von E.M.A.K., einem Elektronikprojekt aus Köln, das von den vier Produzenten und Musikern Michael Filz, Matthias Becker, Kurt Mill und Klaus Stühlen getragen wurde.
Die Zusammenstellungen verleitet zum Wiederhören der alten Elektronik-Alben. Was will man mehr? Außer vielleicht noch mehr Hinweise auf Elektronik-Alben!
(Quellenhinweis: In veränderter Form schon erschienen in: Hörerlebnis 75, 2011.)
Label: Soul Jazz Records
Format: 4 LP/2 CD
VÖ: 30. März 2018 (Zuerst April 2010 veröffentlicht)
Tracklist:
Volume 1
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A1 Can: A Spectacle 5:39
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A2 Between: Devotion 3:46
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A3 Harmonia: Dino 3:29
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A4 Gila: This Morning 5:45
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B1 Kollektiv: Rambo Zambo 11:39
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B2 Michael Bundt: La Chasse Aux Microbes 8:30
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C1 E.M.A.K.: Filmmuzik 3:15
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C2 Popol Vuh: Morgengrüss 2:57
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C3 Conrad Schnitzler: Auf Dem Schwarzen Canal 3:12
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C4 La Düsseldorf: Rheinita 7:37
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D1 Harmonia: Veterano 3:55
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D2 Faust: It’s A Rainy Day Sunshine Girl 7:26
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D3 Neu!: Hallo Gallo 10:03
Volume 2
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A1 Cluster: Heisse Lippen 2:21
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A2 Ibliss: High Life 13:01
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B1 Dieter Moebius: Hasenheide 2:36
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B2 Amon Düül II: Fly United 3:29
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B3 Popol Vuh: Aguirre 1 6:13
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C1 Ash Ra Tempel: Daydream 5:22
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C2 Tangerine Dream No Man’s Land 9:05
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D1 Amon Düül II: Wie Der Wind Am Ende Einer Strasse 5:43
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D2 Roedelius: Geradewohl 3:31
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D3 Can: I Want More 3:30
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D4 Deuter: Soham 4:55
Web
Webseite SJR: http://souljazzrecords.co.uk
FB: https://www.facebook.com/Soul-Jazz-Records-Official-Page-118045430258/
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