(js) Die Nijmegener Instrumental-Rockgruppe „Bismut“ hat ihr erstes Album nach einem Begriff benannt, der auch als Massenmittelpunkt bekannt ist und den Punkt eines Körpers bezeichnet, den man sich als Angriffspunkt der Schwerkraft denken muss. Und vielleicht steht dieser Titel auch deshalb sehr gut Pate für die Musik des niederländischen Trios. Diverse Angriffspunkte musikalischer Art gibt es hier nämlich zu Genüge. Aber obwohl das Album eine interessante wie spannende Mixtur aus Stoner, Doom, Jazz Psych und auch Hard Rock bietet, trifft es letztlich immer ins Schwarze und ruht stets in seinem eigenen Schwerpunkt. Viele musikalische Wege werden innerhalb der knapp 42 Minuten bestritten und die Jungs scheuen sich überhaupt nicht, auch mal mutig anmaßende Entscheidungen zu treffen.
„Bismut“ entstand einst aus einigen Jam-Sessions von Musikern aus der Nijmegener Rockszene. Das Trio besteht aus Peter Dragt (Schlagzeug), Huibert Der Weduwen (Bassgitarre) und Nik Linders (Gitarre). Und ja, „Jam-Sessions“ ist auch eine wunderbare Umschreibung für diesen Erstling. Man kann sich des Gefühls über die gesamte Laufzeit nicht wirklich erwehren, eben an einer solchen teilzunehmen. Einerseits wird ständig improvisiert, andererseits aber geben die Niederländer mir nie den Eindruck, sie wüssten nicht, was sie tun. Sie spielen stets auf einen Impuls, auf ein Ziel hin. Oder eben ihren Schwerpunkt.
Die nur vier Tracks mit einer Mindestspieldauer von knapp acht Minuten sollten auch deshalb niemanden abschrecken. Die Rhythmusfraktion aus Der Weduwen und Linders hat stets die Saiten fest in der Hand und man hat nie den Eindruck, dass inmitten des Albums auch nur ein Riff überstrapaziert werden müsste. Linders Soli sind lang, aber nie langweilig. Auch wenn sie bisweilen den Eindruck erwecken, nicht im Dienste des eigentlichen Songs unterwegs zu sein. Im positiven Sinne natürlich. Der Wedurens Bassläufe und Dragst Drumfills sorgen immer wieder für eine faszinierend hypnotische Stimmung.
Das Eröffnungslied – „Borgerskapet“ (schwedisch für Bourgeoisie) – ist ein vierzehnminütiges Epos, in dem „Bismut“ eine psychedelische Mischung aus Doom, Sludge und Stoner Rock spielen. Es kann da schon einige Minuten dauern, bis man sich vollständig an den Musikstil gewöhnt hat. Was „Bismut“ aber schon aus diesem Grunde von einer Vielzahl anderer Instrumental-Rock-Bands unterscheidet. Der Sound ist sehr organisch und stets dominant. Mal fast schon kalt und kalkulierend, gleichwohl aber schafft die Band es immer wieder, eine aufregende Atmosphäre zu schaffen. Und dies erlaubt ihnen durchweg, ihre Musik auf eine natürliche Art und Weise zu spielen.
Der zweite Song – „Stórborg“ (isländisches Wort für Metropole / Stadt) – beginnt mit einem etwas psychedelischeren und ambitionierteren Ansatz, wobei die schwereren Klänge des „Sludge Rock“ langsam Einzug halten. Die Post-Interludes interagieren hervorragend mit den Stoner-basierten Riffing, während „Bismut“ ihren Gesamtklang in ein wahres Sound-Experiment wandeln zu wollen. Die Produktion ist auch hier wieder recht roh und hätte vielleicht ein wenig mehr Volumen im Gesamtmix vertragen können. „Gewapende-Magte“ (südafrikanisches Wort für Streitkräfte)) – setzt die düsteren und schwer progressiven Themen des vorherigen Tracks fort, da „Bismut“ sich hier gar eines eher jazzorientierten Stils bedienen. Die verzerrte und fast industrielle Wucht des Songs ermöglicht es der Band, uns vielleicht die schwersten Momente auf diesem Album feilzubieten. Das Riffing zum Ende hin ist intensiv und schwer. Fast metallisch und aggressiv.
Das abschließende Lied – „Czar“ (das amerikanische Wort für Zar) – hat einen schnelleren Ansatz, wandelt aber weiterhin auch auf den Spuren des „Post-Rock“. Dieser Song hat für mich den schönsten „Flow“ und bietet fast schon cineastische Grundzüge. Linders Spiel hat hier beinahe etwas von einer Morricone-Komposition.
„Schwerpunkt“ ist sicherlich kein Standard-Instrumental-Rock-Album – und sollte es mit Sicherheit auch gar nicht sein. Auf angenehme und spannende Weise schaffen es die drei Niederländer ganz wunderbar, sich vom Gros anderer Instrumental-Rock-Combos abzusetzen. Insgesamt ist „Schwerpunkt“ ein gut gemachtes und zum Nachdenken anregendes Album, auf welches man sich aber zwingend einlassen muss. Und dem man sich in Ruhe widmen muss. Für ein Nebenherhören wäre mir es sicherlich nicht dienlich. Es ist ebenso komplex wie es auch schwer zu definieren oder zu kategorisieren ist. Gebt diesem Werk mehrere Durchläufe und ihr werdet es nicht bereuen. Immerhin handelt es sich hier um eins der spannendsten Projekte des Jahres 2018……(jensS)
Tracklist:
01. Borgerskapet 14:02
02. Stórborg 07:58
03. Gewapende Magte 10:32
04. Czar 08:51
https://www.facebook.com/bismutband/
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