(js) Wie immer starten die Tage 2 und 3 mit 2 Bands auf der kleineren „Wake & Bake Stage“. Angesagt hatten sich in diesem Jahr „Lacertilia“ aus Wales und das Saarbrücker Duo „Pretty Lightning“. Bei ersteren hatte ich den Eindruck, dass sie die „Desert School of Rock“ erfolgreich durchlaufen sind, dann aber diesem Sound Einflüsse aus dem Punk Rock, dem Old School Doom und auch einige „Hawkwind“-Momente gönnten. Was womöglich unvereinbar klingt gestaltete das Quintett abwechslungsreich, spannend und vor allem vereinbar. Insbesondere Sänger Matt Fry war stets in der Lage, Tempo und Intensität der Songs durch seinen bisweilen Gesang noch zu forcieren. Die Frage, ob nun die Band selbst oder die Zuschauer mehr Spaß hatten, kann ich bis heute nicht beantworten. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass ihr musikalischer Mix jederzeit zündete und bei mir den Eindruck hinterließ, ohne das Album vorher gekannt zu haben, dass es sich hier um eine echte Liveband handelt.
Aus Wales ging es dann direkt in die Sumpfgebiete Louisianas. Rein muskalisch natürlich. Sorge dafür trug das Saarbrücker Duo „Pretty Lightning“. Die „lifetime-friends“ Christian Berghoff und Sebastian Haas beschwören mittels ihrer Musik eine im neopsychedelischen Furor sich windende, einem dunstigen Bluesdelta entstiegene Mischung, die sich einen feuchten Kehricht um die Etikette moderner Coolness schert. Es stampfte, schmatzte und waberte so erfrischend zäh, dass es eine wahrhaft „freakige“ Freude war. Treibende Stoner-Riffs, tanzbare 70s Garage-Songs und das häufig angewandte Stilmittel des Delta-Blues erinnerten mich schnell daran, was tatsächlich an diesem Morgen auf dem Festivalgelände fehlte: eine Veranda samt des ach so typischen Schaukelstuhls, um den Klängen des Duos auch stilgerecht begegnen zu können.
Schnurstracks wurde nun wieder zur großen Festivalbühne getrabt. Es warteten auf uns die womöglich „lizzigsten“ Twin-Guitars seit „Thin Lizzy“. „Dead Lord“ aber zu unterstellen, sie wären nur eine simples Plagiat meiner Heroen um Phil Lynott wäre genauso unfair wie hanebüchen. Mit Betreten der Bühne zeigte sich sofort, welch Bühnensäue uns dort einzuheizen gedenken. Insbesondere Sänger und Gitarrist Hakim Krim spielte einmal mehr mit dem Publikum, wenngleich er mich auch ein wenig überraschte, da ich ihn tatsächlich das allererste Mal ohne seine stylische 70er-Jeans-Hotpant auf einer Bühne sah. Nun gut, dies tat dem Spaß keinen Abbruch. Mit den Bandklassikern „Kill Them All“, „Onkalo“, „When History Repeats Itself, „Hank“ und dem Rausschmeißer „Hammer To The Heart“ ließ man kein Fanherz traurig zurück. Und man gab uns Zuschauern zudem zu genüge Möglichkeiten, in die melodiösen Refrains miteinzustimmen. Die ausgelassene Stimmung kratzte beim kleinen, aber höchst effektiven, „The Trooper“-Intermezzo sogar am Maximum. Die Truppe lieferte schlicht auf ganzer Linie ab: unwiderstehliche Soli, obligatorisches Gepose und zeitlos gute Songs.
Im Anschluss dann waren Klänge zu vernehmen, denen man bis dato nur selten auf einem „Freak Valley Festival“ lauschen durfte. Es wurde schwermetallisch. „Great Electric Quest“ aus dem sonnigen San Diego traten an, um „True Metal“-Luft auf dem „FVF“ zu verströmen. Da es zufällig gerade schon Bierzeit war, konnte man sich auch prima diesem „Sabbath-Worshiping Doom’n’Roll“-Wahnsinn, der sich leder- und nietendurchsetzt mit „NWOBHM“-Hooks mischte, hingeben. Die Shredder waren wie immer wild und leidenschaftlich unterwegs, währenddessen ihr Gitarrist derart viele 80er-Jahre-Licks hämmerte wie Spandex-Liebhaber physisch vertragen können. Frontsau Tyler „TSweat“ Dingvell’s Stimme schien diese Songs dann noch auf eine andere Ebene zu manövrieren. Mal fast geschmeidig und dann wieder kraftvoll und aggressiv. Die Jungs machten keine Gefangenen und räumten ordentlich ab. Und zwar bis zur finalen, „motörheadisierten“ „Deep Purple“-Coverversion von „Highway Star“, was dann letztlich alle vorhandenen Kutten ins Headbangen brachte. Wer sich im Übrigen fragte, wieso die Jungs – bis auf Drummer Daniel “Mucho” Velasco – zu Beginn ihres Gigs kurz die Bühne verließen, hier die Erklärung. Keineswegs lagen dem technische Probleme zu Grunde, vielmehr handelte es sich hierbei um die inszenierte Darstellung der Erschaffung der Erde infolge himmlischer Kollisionen. Dies wurde durch das Drum-Solo interpretiert und ist erzählerischer Teil des Songs „Of Earth – Episode 1 – Creation“ vom aktuellen Album „Chapter II“. Dies ließ mich Frontman Tyler Dingvell freundlicherweise wissen. Eine weitere Frage blieb ebenfalls nicht unbeantwortet. Und zwar diese: wie viel „Heavy Metal“ verträgt eigentlich das „FVF“? Ohne ins Detail zu gehen, erlaube ich mir, die Frage nach einem solch fulminanten Gig mit einem lapidaren „ordentlich“ zu beantworten. Denn „Great Electric Quest“ sind die Art von Band, in die man sich zwingend verlieben muss. Sie leben den „Rock’n’Roll“ und sie lieben ihn in jeder Sekunde davon. Tut euch selbst einen Gefallen und verliert diesen von den vier Südkaliforniern so ansteckend vorgelebten „Spirit“ nie aus den Augen. Und Ohren.
Sodann betraten die norwegischen „Vintage-Rocker“ von „Pristine“ die Bühne. Und auch wenn man den Eindruck gewinnen könnte, „Pristine“ bestünden einzig aus ihrer Frontfrau Heidi Solheim, führt die gesamte Rhythmusfraktion dies über den gesamten Auftritt ad absurdum. Wobei dieses Temperamentsbündel dem Zuschauer tatsächlich keine Wahl lässt. Mit ihrer freundlichen und zugleich sympathisch-flippigen Art manövriert sie ohnehin jedes Publikum auf ihre Seite. Sie singt und tanzt, wirbelt ihre knallroten, langen Haare und versprüht eine schier unerschöpfliche Energie. Absolut wohltuend auch, dass Stammgitarrist Espen wieder mit an Bord war, der große Teile der just vergangenen Clubtour aus familiären Gründen verpasste. Einmal mehr konzentriert sich die Band in diesem Set auf Songs aus den letzten drei Alben und sorgt damit für 10/10 Punkte auf der nach oben geschlossenen „Feelgood“-Skala. „Bootie Call“, „Ninja“ und vor Allem das abschließende „Derek“ ließen keine Möglichkeit aus, in den Füßen des Publikums für rege Betriebsamkeit zu sorgen. Und dieses dankte mit frenetischem Applaus.
Im Anschluss kam es bei mir persönlich dann zum ersten „WTF“-Moment. Im positiven Sinne wohlgemerkt. „Raketkanon“ aus dem Nachbarland Belgien kreierten Klanglandschaften, die ich bis dato in dieser Art noch nie vernommen habe. Fuzzig-verzerrte Gitarrenwände, Synth-Layer-Soundscapes, dystopische Electronic-Beats und hypnotische Grooves machten es nicht einfach, sich umgehend mit dem „Noise“-Sound der Jungs zu befrieden. Aber dies wäre ohnehin von der Band nicht gewollt. Sie schöpfen die Fähigkeiten all ihrer Instrumente voll aus und kombinieren sie nicht selten auf eine recht unorthodoxe Weise zu einem Track, der so gut funktioniert, dass nicht nur mir die Sprache weg blieb. Dazu garniert die Band noch kryptische Lyrics und sorgt unter dem Strich für eine ganz eigene Definition von experimentellem, progressivem Rock. Und die ist so verrückt und einzigartig wie die Belgier selbst. Während eines kurzen Moments technischer Probleme zeigte sich Frontmann Pieter-Paul Devos zwischendurch noch derart vergnügt, dass er einige Witze über Niederländer ins Publikum streute. Dies rundete die eh schon am Siedepunkt angekommene Stimmung nur ab. Wenn dies unter dem Strich auch nicht zwingend die Art von Musik ist, die ich mir daheim anhören würde, sind es gleichwohl aber Bands wie „Raketkanon“, die Festivals unverzichtbar machen. Weil man sonst gar nie von Ihnen Kenntnis erhielt.
Die Wiederholungstäter aus Griechenland namens „Tuber“ muss man sicherlich kaum noch vorstellen. Bereits 2015 sorgten sie im Rahmen ihres ersten Auftritts auf dem Gelände der „AWO Netphen“ für wahre Begeisterungsstürme. Aus dieser kongenialen Beziehung ging dann auch der Vinyl gewordene Nachwuchs namens „Live at Freak Valley“ hervor, der 2016 über „Rock Freak Records“ das Licht der Welt erblickte. Auch anno 2019 waren Yannis Gerostathos (git), Paris Fragkos, (bs), Yannis Artzoglou (git) sowie Nickos Gerostathos (dr) im wahrsten Sinne des Wortes spielerisch in der Lage, das Publikum zu begeistern. Mit jedem ihrer sechs an diesem Tage gespielten Stücke nahmen sie uns mit auf eine musikalische Reise, von der man bereits nach den ersten, wenigen Minuten gar nicht mehr zurückkehren mochte. Sie schaffen es wie kaum eine zweite mir bekannte Band mit bisweilen wenigen Akkorden und Leads für eine unfassbar chillige Stimmung zu sorgen. Ob nun das recht groovige Riffmonster „Sex and Depression“, das aus den Ingredienzen des Desert-, Psychedelic- und Stoner-Rock erschaffene Post-Rock-Mahl namens „Moon Rabbit“ oder auch das mich etwas an „Karma To Burn“ erinnernde „Firebird – alle Songs vereint die uneingeschränkte Klasse, durch unglaubliche Klangfarben eine fesselnde Stimmung zu schaffen, die so erhaben daher kommt, dass man sich kaum mehr trennen mag.
Trennen musste man sich von psychedelischen Klängen aber soundso nicht. Mit „King Buffalo“, einem energiegeladenen Trio aus Rochester (New York) schickte sich die nächste Band an, uns musikalisch zu verzaubern. Für mich schlagen die Jungs eine prima Brücke zwischen sehr modernen Psychedelic Rock und dem aus den frühen „Pink Floyd“-Tagen. Geradezu majestätisch bauen sich die einzelnen Songs auf, die wenigsten unter 10 Minuten lang, und ufern so großartig episch aus. „Longing To Be The Mountain“ sowie „Eye Of The Storm“ stehen dafür insbesondere Pate. Durch die häufig zurückhaltende Instrumentierung und den rar gesäten, zumeist melancholischen Vocals, erzielt das Trio eine äußerst hypnotisch-meditative Wirkung, die sich gnadenlos auf dem Areal auszubreiten schien. Man mag sich den Spannungsbögen kaum entziehen, die auch dadurch entstehen können, dass innerhalb eines Songs immer wieder Elemente wie Folk und Space durch fuzzige Parts vergoldet werden. Für mich einer der faszinierendsten Auftritte des gesamten Festivals. Und dies nicht nur, weil es sich bei „King Buffalo“ um jene Band handelt, die unser Rockblog.Bluesspot auf dem diesjährigen „Freak Valley Festival“ gesponsort hat.
Die nachfolgenden „A Place To Bury Strangers“ gehören wohl zu den Bands, zu denen man ausschließlich eine besondere Beziehung haben kann. Im Zuge etlicher Live-Shows stößt das Noise-Rock/Shoegaze-Trio aus New York immer wieder vor allem auf eines – taube Ohren. Das liegt nicht nur an der regelmäßig extrem hohen Lautstärke ihrer Perfomance (ich erschrak schon beim ersten Ton und war mir sicher, dass dies der lauteste Gig sei, den ich je auf einem FVF wahrnahm), sondern vor allem an einem Sound, der sich nicht ansatzweise gewillt zeigte, Rücksicht auf den Hörer zu nehmen. Nicht falsch verstehen: Ich selbst bin mittlerweile ein kleiner Bewunderer von „APTBS“, denn hinter der undurchdringlichen Wand aus schrillem Gekreische und den zugedröhnten, mal torkelnden, mal sich wie in Trance ekstatisch um sich selbst windenden Songstrukturen stehen vor allem Mut und Kreativität der besonderen Sorte. Die Band garnierte dabei ihren Sound noch mit einem außergewöhnlichen Bühnenauftritt, der von einem Ritt durchs Publikum, durch stetes Verstellen von Amps auf der Bühne sowie dem Zerstören der Saiteninstrumente begleitet wurde.
Rein zufällig wohnte die Band in unserer Pension und in einem morgendlichen Gespräch mit deren „Soundmann“ teilte dieser mir mit, dass das Trio am Vorabend gerne noch lauter aufgedreht hätte, dies aber von der Festivalleitung nicht als zwingend erforderlich angesehen wurde. Zudem sprach er davon, dass Gitarrist Oliver Ackermann, der obendrein auch eine Firma für Gitarreneffektpedale leitet, all die ramponierten Gitarren nach jedem Gig wieder repariert. Meine Nachfrage, ob es mittlerweile Sollbruchstellen an den Geräten gäbe, ließe er lächelnd unbeantwortet. Fazit der Performance: das war ein echter Höllenritt!
„YOB“ machten anschließend zumindest eines sofort deutlich: auch sie sind eine laute Band. Wenn auch klarer strukturiert. Das Trio um Gründungsmitglied Mike Scheidt an der Gitarre, Bassist Aaron Rieseberg sowie Schlagzeuger Travis Foster schwelgte von Minute eins an in einer wahren „Doom-Trance“. Gar nicht unbedingt aggressiv, als vielmehr auch unendlich flehend, leidend und mit erhabener Statur verzweifelnd. Wenn man sich in Erinnerung ruft, dass vor gerade einmal zwei Jahren Scheidts Leben am seidenen Faden hing und diese Erkrankung auch erheblichen Einfluss auf seine Stimmbänder hatte, war ich überrascht, wie präsent sein Organ wieder ist. Er schraubt es in schwindelerregende Höhen, growlt dann wieder unerbittlich und scheint mit dem nächsten Ton dahinzuschmelzen, Überhaupt agierten „YOB“ mit ihrer schwerelosen Zeitlupen-Heavyness kraftvoll und nuanciert wie häufig. Das Set, welches aus nur fünf Tracks bestand, legte den Schwerpunkt aufs letzte Studioalbum „Our Raw Heart“, von dem alleine drei Songs gespielt wurden. Insbesondere mit „Beauty In Falling Leaves“, für mich ein absolutes Karrierehighlight, zelebrierten sie an diesem Abend eine allumfassend einnehmende, zurückgenommene Melancholie, behutsam und zärtlich, die immer wieder in tonnenschwerer Schönheit aufplatzt. Welch fantastische Darbietung. Das finale „Our Raw Heart“, Titelsong des 2018er Outputs, fast schon in Post-Rock-Manier gespielt, rundete einen kurzweiligen Auftritt ab. Und wir dürfen konstatieren: was zum Glück vor 2 Jahren für Scheidt schon galt, kann heute auf die gesamte Band übertragen werden: Operation gelungen, Patient lebt!
Was an diesem langen Tage noch fehlte, war etwas „Southern Sludge“. Und wer, wenn nicht der aktuelle Marktführer, wurde uns Zuhörern feilgeboten? Und eben jene Band um Peeper Keenan namens „Corrosion Of Confirmity“ sorgte für eine ordentliche Breitseite zum Tagesausklang. Das Set bestand aus Songs aus einzig drei Alben aus der Zeit zwischen 1994 und 2000, wobei der Schwerpunkt auf dem 94er Output „Deliverance“ lag. Aber ein 25-jähriges Jubiläum lässt sich ohnehin gerne mal auch live feiern. Keenan sagte mal, dass es für ihn schwierig sei auf der Bühne böse und schmierig zu wirken, wenn vor ihm ein Haufen „heißer Mädels“ ihn anlächelt. Dass ihm dies auch im Siegerland gelang, spricht einzig für sein professionelles Verhalten. Mögliche andere Gründe kann der Verfasser im Brustton seiner Überzeugung ausschließen. Eingeläutet wurde der Auftritt standesgemäß vom „ZZ Top“s „La Grange“. „COC“ hielten die Fans von Beginn an im Schwitzkasten und waren nicht gewillt, diesen Griff auch nur einmal zu lockern. Von „Seven Days“ bis hin zu „Clean My Wounds“ (trotz des darin ausgeliehenen Yes’schen „Owner Of A Lonely Heart“-Riffs) war es ein unterhaltsamer Parforceritt durch den 90er Jahre Southern Metal. Das aktuelle Line-Up, nebst Sänger und Gitarrist Keenan noch Gründungsmitglied Woody Weatherman (git), Mike Dean (bs) und Reed Mullin (dr) stellten auch auf der Bühne eindrucksvoll unter Beweis, dass es sich bei ihnen exakt um das legendäre Line-Up handelt, welches in den 90ern für eben jene Erfolge verantwortlich zeigte. Welch ein Abschluss von Tag 2.
Und eben jener Tagesabschluss ließ mich dann auch glückselig die Heimreise antreten. Auf dem Beifahrersitz. Aus Gründen……(Text jensS, Photos © KiS + jm)
… to be continued …
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