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Youn Sun Nah – Waking World

(jm) Die südkoreanische Jazzsängerin mit der außergewöhnlichen Stimme ist mir bisher vor allem durch ihre eindringlichen und eigenwilligen Coverversionen von Songs ganz unterschiedlicher Genres im Gedächtnis geblieben. Ich denke da beispielsweise an „Hurt“ von Nine Inch Nails, an „Enter Sandman“ von Metallica oder „You Can’t Hurry Love“ von den Supremes.

Mit dem soeben erschienenen „Waking World“ liegt nun ihr erstes Album vor, dass ausschließlich aus Eigenkompositionen besteht. „Dieses Album ist beides: ein unglaubliches Vergnügen – und eine gewaltige Herausforderung“, sagt Youn Sun Nah selbst über ihr Werk, die ihre Herangehensweise und ihre herausragende Stellung in der Jazzwelt bis heute immer wieder hinterfragt. So nah wie auf „Waking World“ kam man ihr emotional noch nie.

Auf ihrem neuen Album erkundet sie Regionen, die sie noch nie zuvor betreten hat. „Es geht gar nicht mal nur um Songs, sondern vielmehr um Fragmente einer Geschichte, wie direkt aufeinander folgende Sequenzen“, sagt sie. Klassische Songstrukturen umgeht sie dabei bewusst, baut die Stücke eher wie Gedichte auf, „die von einzelnen Bildern inspiriert sind“. „Zunächst befasse ich mich mit Harmonien. Dann mit der Melodie. Und dann erst kommt der Text an die Reihe.“

Eröffnet wird der Songzyklus mit einem Vogel, der am Boden bleiben muss („Bird On The Ground“), doch der Perspektivwechsel folgt schon mit „Don’t Get Me Wrong“: Sie durchbricht die Melancholie und setzte nicht nur Worte, sondern auch einen Tanz dagegen. Bohrend und verunsichert klingt die Frage nach abhandengekommener Pracht („Lost Vegas“), betörend schlägt das „Heart of a Woman“, und für die Hommage an die eigene Mutter („My Mother“) kommen schließlich zischende Hi-Hats ins Spiel. Während sich der Titelsong ganz langsam entfaltet, wie Tautropfen zur blauen Stunde, bilden filmische Stimmungen („Round and Round“, „Waking World“) oder das gedrosselte Lovesong-Gerüst „Tangled Soul“ den Gegenpol zur ansteckenden Unbeschwertheit, die sich gerade bei den letzten Stücken immer wieder den Weg bahnt. Mal introspektiv, mal fieberhaft, mal ganz spärlich, dann wieder kontrastreich arrangiert mit Bläsern oder präpariertem Klavier, ist „Waking World“ ein komplexes, sinnliches und langzeitbelichtetes Selbstporträt – mit sehr viel Licht und viel Schatten.

Gefeiert für „eine der schönsten Stimmen im aktuellen Jazz“ (Le Figaro), ging die in Seoul geborene Ausnahmesängerin Youn Sun Nah langsam auf die 30 zu, als sie in den Neunzigern nach Paris zog und sich intensiv mit Jazz und Chanson befasste. Noch ein gutes Jahrzehnt später markierte das sechste Album „Voyage“ den internationalen Durchbruch – gefolgt von prämierten Meilensteinen wie „Same Girl“ (ECHO), „Lento“ (Gold DE) oder dem programmatischen „She Moves On“. Zuletzt veröffentlichte die Koreanerin das Album „Immersion“ im Jahr 2019 – hier auch von mir besprochen. Wer außergewöhnliche, unverwechselbare und besondere Stimmen liebt, kommt an Youn Sun Nah nicht vorbei (Jens M.)

Tracklist:

01 Bird On The Ground
02 Don’t Get Me Wrong
03 Lost Vegas
04 Heart Of A Woman
05 Round and Round
06 My Mother
07 Waking World
08 Tangled Soul
09 It’s OK
10 Endless Déjà Vu
11 I’m Yours

Kontakt:

Youn Sun Nah | 나윤선

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