(hwa) Nach dem bei Fans und Kritik hochgelobten „Fremdenzimmer“-Album aus 2019 (hier nachzulesen) kam für Lüül und Band vieles anders. Eigentlich hätte das neue Lüül-Album „Madagaskar“ heißen können. Im Frühjahr 2020 wollten Lüül und seine Ehefrau Daniela Graf dort Urlaub machen, um Kraft und Inspiration zu tanken. Aber Covid 19 hatte was dagegen.
Deshalb mieteten die beiden nur 30 Kilometer außerhalb Berlins einen Bungalow an einem See im Wald. Man hatte sich zusätzlich darauf verständigt, keinerlei Computer oder Handys mitzunehmen. Sie hatten nur sich und Lüüls Gitarre. So wurde der Grundstock für „Der stille Tanz“ gelegt. Alles lief super – ein Handy für Hilfe im Krankheitsfalle wurde nicht benötigt.
Es entstanden wie so oft bei Lüül Songs, die die Entwicklungen in der Gesellschaft in prosaisch angehauchte melancholische Liedtexte verwandeln. Ohne die Reminiszenzen an die „früheren Zeiten“ bzw. Lüüls Reiseliedern zu vernachlässigen – z.B. „Bin schon länger unterwegs“ oder „Fahr, Johnny, Fahr“.
Er verband sich dazu neben seiner Stammcrew (Daniel Cordes am Kontrabass, Kerstin Kaernbach an Geige, Bratsche und Theremin sowie Carsten Wegener an Kontrabass, Bass, Maultrommel, Lapsteel und Banjo) mit dem kanadischen Drummer, Toningenieur und Produzenten Rob Cummings, der das neue Album in Cummings Milk Studio aufnahm, mischte und masterte. Produziert von Lüül und wie bei Lüül so häufig, münden die Songs in einer grandiosen Mischung aus Komposition und Text, eingebettet in ein äußerst stimmigen Arrangement. Insofern ist Lüül sozusagen Rio Reisers Blutsbruder.
Zwei Kompositionen wurden aufgrund der aktuellen Lage vorab ausgekoppelt: „Die Welt hält an“ und „Ich bin die Freie Rede“, zwei Songs, die Lüül besonders unter den Fingern brannten. Deshalb möchte ich hier mit freundlicher Genehmigung ein paar Textzeilen rekapitulieren. „Die Welt steht still, alles ist stumm, Keiner spielt rum, die Welt steht still. Nur der Vogel singt, als ob nichts wär (…) Die Welt hält an, alles hält inne. Wir bleiben drinne bis irgendwann (…) Kein Mensch kommt nah, nur die Zeit, sie geht, alles andre steht.“ (aus „Die Welt hält an“)
„Ich bin die Freie Rede, wie hat man mich geliebt. Wie hat man mich gefeiert, war stolz, dass es mich gibt (…) Freunde blieben weg, kehrten mir den Rücken. Sagten mir, ich rede Dreck, ich solle mich verdrücken. Ich bin die Freie Rede (…) Speakers‘ Corner – mein Zuhause. Bin aus allem rausgefallen. Lebe auf der Straße (…) Ich geb nicht auf, ich mache weiter, stelle mich der Fehde. Ich gehe nicht, ich bleibe hier. ICH bin die Freie Rede. FREEDOM!!! (aus: „Ich bin die Freie Rede“)
Es imponiert mir in hohem Maße, wie Lüül hier wieder Mal gesellschafliche (und mitunter auch wie bei „Mitten ins Herz“ private) Sachverhalte liedtextmäßig auf den Punkt bringt. Wie ja überhaupt das gesamte Album vor lyrischen Texten nur so strotzt. „Der stille Tanz“ überzeugt mit Charme und einer subtil verpackten Liebe zu einer besseren Welt.
(Heinz W. Arndt)
Lüül „Der stille Tanz“
Singapore Records 2022
11 Tracks
Laufzeit 44:12 min
Tracklist:
01. Bin schon länger unterwegs
02. Solarboot Song
03. Love Peace Beat
04. Die Welt hält an
05. Ich bin die Freie Rede
06. Verbrannte Erde
07. Wenn ich mal nicht weiterweiß
08. Mitten ins Herz
09. Fahr, Johnny, Fahr
10. Schweigen
11. Elegie
Alle Titel Tyfoo Musikverlag
Die CD kann entweder gestreamt oder physisch über Lüüls Website gekauft werden.
www.luul.de bzw. http://www.lüül.de (beides funktioniert)
e-Mail: Lutz.Ulbrich@luul.de
Die CD wurde gerade die Platte des Monats Juni auf www.liederbestenliste.de. Der Albumtrack „Mitten ins Herz“ steht auf dieser Liste aktuell auf Platz drei
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