(text ju – photos KiS) Die Bude ist zwar nicht gerammelt voll, doch es ist schon ziemlich eng und kuschelig, als gegen zwanzig vor neun die drei Jungspunde von SOMALI YACHT CLUB die Bühne betreten und das musikalische Stoner-Stelldichein im Vortex eröffnen. Opener haben es bekanntlich nicht leicht, die noch nüchterne Menge schnell für sich einzunehmen und auf Touren zu bringen. Der schleppende, melancholische Sound des ersten Songs „Up in the Sky“ der 2010 gegründeten ukrainischen Stoner-/Psych-Rock-Band eignet sich auch weniger als Anheizer, sondern nimmt erst einmal gefangen. Es dauert ein wenig, bis der Sound stimmt, bis die Stimme von Sänger und Gitarrist Ihor Pryshliak fester wird, bis die drei Jungs ein wenig von ihrer scheinbaren Schüchternheit und Zurückhaltung loslassen. Die Menge lauscht, die Menge wippt, die Menge schweigt. Selbst in den ruhigsten Passagen ist keine Unterhaltung im Publikum wahrnehmbar. Vielleicht haben auch Anteilnahme und Beklommenheit ihre Hand im Spiel der Emotionen, wenn Ihor Pryshliak leise erzählt, dass sie eine lange Reise hinter sich haben, die nicht einfach war. Worte, die sicherlich nicht wortwörtlich zu verstehen sind, sondern als Metapher für das Unbeschreibliche in der Ukraine. Schüchtern kündigt er einen Song des neuen Albums „The Space“ an, schiebt ein unsicheres „Okay?“ hinterher, als wolle er sich erst die Erlaubnis des Publikums einholen. Der Neunminüter „Pulsar“ zieht das Tempo an, ist riffiger, krachiger, verspielter. Die Musiker tauen auf, das Publikum geht mit. Sänger Ihor sagt anschließend mit festerer Stimme: „Wir hatten ein schwieriges Jahr, aber wir sind froh hier zu sein. Danke euch!“ Der antwortende Applaus ist echt. „Ein schwieriges Jahr“ ist wohl eine Untertreibung, wenn man bedenkt, dass Ihor Pryshliak, Bassist Artur Savluk und Schlagzeuger Lesyk Mahula aus dem ziemlich zerbombten Lwiw in der Westukraine kommen und wie ihre Landsleute STONED JESUS nur das Land verlassen durften, weil sie als Botschafter des Kulturministeriums auf dieser Tour mit Konzerten und Verkauf von Merchandise-Artikeln Spenden für ihr Land sammeln.
Langsam wird es enger und wärmer im Konzertraum. „Sightwaster“ vom 2016er Album „The Sun“ erscheint nun in deutlich schnellerem Tempo, leichte Aggressivität löst die vorangegangene Schwere ab. Beinahe schon verzweifelt brüllt Ihor seine wenigen Worte in dem ansonsten instrumentalen Stück in die Welt hinaus, die Menge gröhlt entsprechend mit im abschließenden Applaus. Eine authentische und vielversprechende Band, die getrost und gerne mit mehr Selbstvertrauen die Bühnen betreten darf. Als ich im Anschluss an das Konzert nach der Setlist frage, rennt Bassist Artur Savluk freudestrahlend in den Backstage-Raum und drückt mir anschließend sichtlich stolz zwei beschriftete Kartondeckel in die Hand. Begeistert schwärmt Artur, dass von den bisherigen fünf Konzerten das heutige im Vortex das beste gewesen sei.
Derweil betritt mit der 1999 gegründeten Stoner-Rock-Band GREENLEAF aus dem schwedischen Borlänge eine erfahrene Formation die Bühne, die – mit fluktuierender Besetzung – bereits acht Alben veröffentlichte (2021 zuletzt erschienen: „Echoes from a Mess“) und mit sichtlicher Spielfreude und Charisma sowie catchigen Riffs und Hooklines die Menge sofort an den Ohren packt und mitreißt. Hüpf-Hymnen wie „Trails & Passes“, „Our Mother Ash“ oder „Let it Out“, krachende Kopfnicker-Auslöser wie „Bury Me My Son“ oder „On Wings of Gold“ sowie Mitsing-Perlen wie „Sweet is the Sound“ sorgen für mächtig gute Laune. Hinzu kommt die pure Spielfreude, die man allen Bandmitgliedern deutlich anmerkt: Es ist eine wahre Wonne, dem Gitarren-Virtuosen Tommi Holappa beim Spiel zuzuschauen. Bassist Hans Fröhlich, der Deutsche in dem Schweden-Gespann, macht seinem Namen alle Ehre, wenn er die gesamte Show hindurch derart beglückt übers ganze Gesicht strahlt, dass er am morgigen Tag mit hoher Wahrscheinlichkeit Muskelkater in den Wangen haben wird. Sebastian Olsson tobt sich ekstatisch an der Schießbude aus und beobachtet zwischendurch grinsend seine drei Bandkollegen vor ihm, während Sänger Arvid Jonsson in Joe-Cocker-Manier über die Bühne zuckt und sein Charisma über der Menge versprüht.
Glückselig und gierig nach Sauerstoff strömen die Zuschauer wie die Lemminge nach draußen, während sich auf der Bühne STONED JESUS für den dritten und letzten Auftritt an diesem Abend bereit machen. Die 2009 in der ukrainischen Hauptstadt Kiew gegründete Band hat bereits sechs Alben veröffentlicht, zuletzt 2019 „From the Outer Space“, und stellt mittlerweile eine echte Größe in der Szene dar, was die Besucherinnen und Besucher des heutigen Abend mit lautstarkem Applaus und sicherer Textkenntnis würdigen. Mit Leichtigkeit nimmt das Trio die nach kurzer Abkühlung immer noch vorhandene Energie des Publikums auf, hält sie aufrecht und hebt sie zuweilen sogar noch weiter an. Die Luft steht mittlerweile wie eine Mauer im Raum, das Atmen fällt schwer, doch niemand lässt sich etwas anmerken. Wiktor Kondratow, dessen Schlagzeug von unten in gelbes und blaues Licht gehüllt ist, lotst gekonnt die Grenzen des rhythmisch Machbarbaren aus, während Serhij Sljussar am Bass und Sänger Ihor Sydorenko an der Klampfe mit teils arhythmischen Genialitäten ihr Können zum Besten geben. Nach „Bright Like the Morning“ und „Porcelain“ lassen die Stoner-Riffs in „Thessalia“ und „CON“ die Meute immer heftiger zucken, bevor sie begeistert in das 16-minütige „I‘m the Mountain“ einstimmt. Unergiebig werden Liedwünsche Richtung Bühne geschmettert, allen voran „Here Come the Robots“, sodass die Band letztendlich drei weitere Songs in zwei saftigen Zugaben spielen – natürlich auch die heißersehnten Roboter. Auf Instagram verkünden die Jungs kurze Zeit später später: „We almost never play two encores but Siegen absolutely deserved it tonight“, gefolgt von drei Herzen. Hach, ja, das hat das wundervolle Publikum in der Tat verdient.
Zum krönenden Abschluss reißt sich Frontmann Ihor Sydorenko das verschwitzte Hemd vom Leib, schmeißt es in die Zuschauermenge und Bassist Serhij schmeißt sich hinterher. Während der feuchte Lappen hastig weitergereicht wird und ping-pong-artig durch die Luft fliegt, wird der glückseliger Bassist huldigend auf Händen zum Mischpult getragen.
Danke für diesen grandiosen Abend – an die drei Bands, ans Vortex und an die Zuschauerinnen und Zuschauer! Drei Herzen…..(judith)
Alle Photos ©Kirstenrockt
Filed under: Konzertphotos, Live Reviews, Greenleaf, Somali Yacht Club, Stoned Jesus, Vortex Siegen