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Achim Reichel – Ich hab das Paradies gesehen. Mein Leben

(hwa) Im turbulenten Leben von Achim Reichel sind zwei Ereignisse von entscheidender Bedeutung. Zum einen sein Geburtsdatum vom 28. Januar 1944 – logo. Und seine Neugeburt. Denn ein paar Jahre später kommt es zu einem Zwischenfall, der den im Volksmund so viel bemühten Schutzengel aber sowas auf den Plan gerufen haben mag, dass sich Jahrzehnte danach in Reichels Leben vieles fügt. Achim war jugendlicher Nichtschwimmer, hielt sich an einem Ruderboot fest, um die Strömung zu genießen. Um ein Haar hätte es dem jungen Achim aber das Leben gekostet…

Achim schildert es im Kapitel „Abenteuerspielplatz Elbufer“ wie folgt (ich zitiere mit freundlicher Genehmigung): „Langsam näherte sich ein Ruderboot. Kaum dass es nah genug war, griff der Erste von uns an die Bordwand, um sich ein Stück mittragen zu lassen. Wir juchzten vor Freude. Der Mann im Boot wurde ärgerlich und setzte an, uns mit dem Ruderblatt zu vertreiben. Einer nach dem anderen meiner Freunde ließ los und schwamm zurück. Ich war der Letzte, der die Bordwand losließ, und dann schnappte die Falle zu – denn ich war Nichtschwimmer und hatte plötzlich keinen Boden mehr unter den Füßen. Wild schlug ich um mich und strampelte verzweifelt mit den Beinen, doch meine Hände griffen ins Leere.

Panik und Angst ergriffen von mir Besitz, und langsam sank ich hinab. Das Letzte, was ich über mir sah, war eine bewegte Wasseroberfläche, die sich schnell wieder glättete, dann riss mein Erinnerungsfaden und es wurde dunkel. Als ich wieder zu Bewußtsein kam und die Augen aufschlug blickte ich benommen in sorgenvolle Gesichter, Was war geschehen? Der Vater eines Kumpels aus unserem Nachbarhaus war an den Strand gekommen und hatte Ausschau nach seinem Sohn gehalten.“ (Zitatende)

Doch der Sohn hatte sich in Sicherheit gebracht und dessen Vater rettet Achim durch Zufall und Tatkraft das Leben. Ein wahrer Schutzengel.
Hätte also damals dieser namentlich unbenannte Vater nach der Suche nach seinem Sohn nicht zufällig Achims prekäre Situation intuitiv erkannt und ihn unter Wasser zu fassen gekriegt, wär’s das gewesen.

Für Achims weiteres Leben ganz und gar.
Und das war durchaus spannend. Reichel bekundet seinen familiären Rückhalt per Buchwidmung wie folgt: „Gewidmet meiner Frau Heidi und unserer wahren Liebe, den Kindern Marlies, Alena und Illya, meinen Eltern Ella und Heinrich Reichel und meiner Schwester Jutta.“

Und für alle die, die das unglaubliche Glück durch einen Schutzengel mit Demut begleiten, stehen u.a. folgende Kapitel des Buches Pate:
1. Wie Achim in der Gastronomie als Kellner ausgebildet wurde
2. Wie Achim seine Lust aufs Gitarrespielen entdeckte
3. Wie Achim Mitgründer der Rattles wurde („Come On And Sing“)
4. Wie Achim mit den Rattles in England eine Tournee mit Little Richard und den Rolling Stones zugestanden bekam
5. Wie Achim mit Wonderland und „Moskow“ durch Unterstützung des Mentors James „Hansi“ Last einen Riesenhit landete
6. Wie Achim sich durch Jörg Fauser „Der Spieler“ und ein paar weitere Texte ins Repertoire schreiben ließ.
7. Wie Achim mit seinen gerockten Alben „Regenballade“ und „Volxlieder“ Eltern- und Schulverbände zu Elogen hinriss. „Regenballade“ und „Volxlieder“ wurden daraufhin im Deutschunterricht eingesetzt. Zudem bekam „Regenballade“ den Deutschen Kritikerpreis.
8. Wie Achim mit Hilfe seiner Akai-Bandmachine X-330 D den Krautrock durch Loops und Echoes zu Anfang der 70er quasi nebenher mitbegründete und in ungeahnte Höhen führte („Die Grüne Reise“ und weitere Alben). Zudem: Wie der Abend der Uraufführung von „The Art Of German Psychedelic“ am 15. September 2017 in der Hamburger Elbphilharmonie zu einen rauschenden Erfolg avancierte (hier nachzulesen)
9. Wie Achim sich mit „Aloha Heya He“ und „Kuddel Daddel Du“ im kollektiven Bewusstsein seiner deutschen (aber auch internationalen) Fans einnistete und Kult wurde. Es sollen mittlerweile vom „Melancholie und Sturmflut“-Album knapp 400.000 Einheiten verkauft worden sein.

Kleines Apercu am Rande: Es gibt mittlerweile unzählige Coverversionen von „Aloha Heya He“ weltweit. Dazu schreibt Achim (ich zitiere mit freundlicher Genehmigung): „In seiner Erfolgsspur zog der Titel eine wahre Flut von Coverversionen nach sich…. Dabei fand sich quer durch alle Genres alles wieder, egal ob Folk, Rock, Punk, Metal, Disco, Bierzelt-Polka bis hin zu Techno …
Auch im Mundartlichen, von Plattdüütsch über Kölsch bis zu zünftigem Bayrisch, war alles dabei … Bei YouTube waren schon in den späten 90ern über 4 Millionen Klicks zu verzeichnen“ (Zitatende).
Das Buch hat noch weiteres Interessantes zu erzählen – es würde hier aber den Rahmen sprengen.

Ich habe Achim Reichel fünf- oder sechsmal zum Interview getroffen. Niemals hatte ich das Gefühl, dass er rumeierte oder diplomatisch etwas verbrämen wollte. Er war immer sympathisch offen und geradeheraus. Wie auch beim Treffen im Konzerthaus Dortmund am 12.04. 2018 (siehe Bild). Dort präsentierten Achim und Band Auszüge der 10 CD Box „Achim Reichels A.R. Machines – The Art Of German Pychedelic“ (meine Besprechung der gesamten Box ist hier nachzulesen).

Der Titel des Buches „Ich hab das Paradies gesehen“ stammt selbstredend aus „Aloha Heja He“ und wird im Songtext mit „Es war um nenzehnhundertzehn“ gereimt. Ich traue mich hiermit – auch wenn’s kitschig klingen mag – des Reimes wegen zu folgender Aussage: „Achims Autobiografie erschien in zweitausendzwanzig, ist sehr eloquent und überhaupt nicht ranzig!“

Man fühlt sich als Leser/In wie ein unsichtbarer Gast mitten im Geschehen – als sei man leibhaftig vor Ort gewesen.

Fabelhaft!

Weniger fabelhaft sind indes das fehlende Register plus Diskografie. Beides hätte dieser Autobiografie in ihrer Gänze den letzten glanzvollen Schliff verliehen. Aber scheinbar war so ein Aufwand aus Kostengründen für den Verlag obsolet.

Anyway: Dieses Buch repräsentiert ein beachtliches Stück deutscher Rockgeschichte. Absolut lesenswert!

(Heinz W. Arndt)

Achim Reichel: „Ich hab das Paradies gesehen – Mein Leben“
Rowohlt Verlag
Originalausgabe
Gebunden mit Lesebändchen
416 Seiten plus 32 Seiten vierfarbigem Tafelteil mit 64 Fotos
September 2020
24,00 Euro
ISBN: 978-3-498-00178-0
Auch als E-Book erhältlich:
ISBN: 978-3-644-00657-7
http://www.achimreichel.de

 

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