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Unida, Sleepwulf + Tons im Vortex/Siegen am 14.10.22

(ju) „Come to realize / Life will begin when Satan is king“, prophezeit Sänger Owen Robertson deutlich artikuliert im interpretationsfreien Opener „Satan is King“ vor einem noch recht überschaubaren Publikum. Während ich in den letzten Wochen in die Songs der schwedischen Band SLEEPWULF reinhörte, hatte ich unwillkürlich einen groß gewachsenen, langhaarigen, ernst bis böse dreinblickenden und in schwarzes Leder gekleideten Sänger vor meinem geistigen Auge. Die Lederjacke stimmt! Der Rest widerspricht jedoch meinen oberflächlichen, klischeebehafteten Vorstellungen. Auf der Bühne im Vortex steht ein freundlicher, etwas zurückhaltender junger Mann in Sneakers, Blue-Jeans, beigem Norweger-Pulli (ob die in Schweden wohl auch so heißen?) und schwarzer Lederjacke. Mit seinem wuscheligen Haar und freundlichen Lächeln würde er wohl so einige potentielle Schwiegermütter und auch -väter zufriedenstellend nicken lassen.

SLEEPWULF ist die wohl stimmlastigste Band an diesem Freitagabend: Wie bereits auf ihren beiden Studioalben ist der Gesang gekennzeichnet von einer deutlichen Akzentuierung, sodass der Inhalt der Lieder sich auch bei oberflächlichem Hören transportiert und stellenweise ein wenig an Bobby Liebling von PENTAGRAM erinnert. Ich persönlich bin allerdings erleichtert, dass Robertson heute auf das Tremolo in seiner Stimme verzichtet, das in den Aufnahmen so aufdringlich hervorsticht. 

Sieben der insgesamt zehn Lieder, die das schwedische Quartett heute Abend präsentiert, stammen vom aktuellen Album „Sunbeams Curl“ (Februar 2022). Während Robertson in bildhafter Sprache und komplexer Reimkunst okkulte Themen und Inhalte beinahe vergessener Sagen zum Besten gibt und seine Bandkollegen hier und da am Keyboard begleitet, besticht Sebastian Ihme mit einem extrem geschmeidigen, fuzzigen Gitarrensound und retro-doomigen Riffs, komplettiert von Viktor Sjöströms lässiger Basslinie und Carl Lindbergs tragendem Rhythmusgerüst. In der zweiten Hälfte präsentieren sie drei Songs vom 2020er selbstbetitelten Album „Sleepwulf“, unter anderem „Lucifer’s Light“ mit diesem herrlich überraschenden Blues-Solo oder zum Abschluss das verspielte, etwas experimentellere „Standing Stones“, sodass gegen Ende doch noch ein bisschen mehr Bewegung im Publikum aufkommt. 

Während der ersten Umbaupause bildet sich neben der Theke eine lange Schlange von vor Vorfreude glückseligen lieben Leuten, die geduldig für die Early-Bird-Tickets fürs kommende Freak Valley Festival anstehen. Tickets, Klo, Bier, je nach Bedarf in beliebiger Reihenfolge, und weiter geht‘s mit TONS aus Italien (übrigens beim selben Label unter Vertrag wie SLEEPWULF —> Heavy Psych Sounds). 

Gegründet 2009 aus Mitgliedern diverser Turiner Hardcore-Bands, haben die vier Jungs aus der Region Piemont in Norditalien bisher vier Alben veröffentlicht (2012, 2018, 2021 und 2022) und ebenso viele Singles. „Slowninja“ (Gesang, Bass, Synthie), „Little Stevie“ und „Glüten Freidrich“ (beide Gitarre) sowie „Vito Power“ (Drums) fesseln vom ersten Song an mit einer interessanten Mischung aus schwerem, schleppenden, teils psychedelisch angehauchten Doom und Sludge, die zugleich beeinflusst ist von dem Punk- und Hardcore-Background der Jungs. Zusammen mit Slowninjas Screaming und Growling und Troll-artigem, heiseren Flüstern erzeugt das Quartett einen zugleich verstörenden wie faszinierenden Sound. Während SLEEPWOLF zuvor noch den Leibhaftigen besangen, beten TONS mit Songs wie „Slowly We Pot“ oder „A Hash Day‘s Night“ einen ganz anderen Gott an in Form von filigranen grünen Blättern. Weniger virtuose Raffinesse, mehr aggressiver Wumms. Das Publikum jedenfalls geht mehr mit, einige Heads bangen, viele Gesichter grinsen überrascht, während Gollum mit chronischer Bronchitis witzige Texte ins Mirko kreischt, die eh niemand versteht. Zudem beherrschen die Jungs eines der düstersten Ritardandos aller Zeiten.

Zweite Umbaupause, zweite Schlange, erneutes Priorisieren der Bedürfnisse. Als die ersten Töne des Headliners UNIDA erklingen, wird es schnell eng und muckelig warm vor der Bühne. Die vier Kalifornier haben das Publikum sofort im Griff. Sie bringen Erfahrung mit, das merkt man. 1999 von ehemaligen Mitgliedern der zuvor aufgelösten Stoner-Rock-Bands KYUSS und SLO BURN gegründet, stehen von der ursprünglichen Besetzung heute Abend Gitarrist Arthur Seay (House Of Broken Promises) und Drummer Miguel „Mike“ Cancino (House of Broken Promises, Soul Sign) auf der Bühne im Vortex, komplettiert von Sänger Mark Sunshine (Elysium, Riotgod, System Addict) und Bassist Collyn McCoy (Ultra Electric Mega Galactic). Wie bei TONS stehen auch hier die Instrumente im Vordergrund, während der Gesang zwar mehr als ein Hintergrundgeräusch darstellt, aber eben auch nicht so deutlich hervorsticht wie bei SLEEPWULF.

UNIDA´s Musik wird vor allem von Seays treibenden Gitarrenriffs und McCoys extrem groovigem Bass getragen. Immer wieder überlässt Sänger Mark Sunshine seinen Bandkollegen den Raum für ausgefeilte Soli, zeigt stolz mit dem Finger auf sie, während er zuckend über die Bühne zappelt, als stünde er unter Strom. Den vier Herren aus dem sonnenverwöhnten Kalifornien scheint wahrhaftig die Sonne aus dem Allerwertesten, Spielfreude pur, und immer wieder zollen sie sich gegenseitig Respekt, rufen den Namen des jeweiligen Solisten ins Publikum, das begeistert antwortet. Arthur Seay entlockt seiner Gitarre Riffs und Hooks und Soli mit einer Leichtigkeit, an die ich selbst beim Zähneputzen nicht herankomme, grinst dabei diabolisch und streckt regelmäßig in KISS-Manier eine Zunge raus, die fast so lang ist wie sein Bart. Und gespalten. Ich warte nur darauf, dass er mit dieser Zunge gleich die Saiten zupft… Collyn McCoy haut währenddessen wie ein Duracell-Hase höchst lässig in die Saiten und holt zusammen mit Drummer Mike Cancino das Rhythmusgerüst mit präzisem Krawall aus der verstaubten Hintergrund-Ecke ins Rampenlicht, ohne dabei aufdringlich zu wirken. UNIDA´s Setlist beschert uns eine Reise zurück in ihre Bandgeschichte zur Jahrtausendwende…

  • mit fünf Songs ihres 1999 erschienenen, bisher einzigen Studioalbums „Coping with the Urban Coyote“,
  • weiteren fünf Titeln eines ursprünglich für 2001 geplanten Albums The Great Divide, das jedoch nie im Handel erhältlich war, sondern nur als 2007 veröffentlichte, namenlose Bootleg LP in diversen Internet-Tauschbörsen zu finden ist 
  • sowie alle vier Tracks der 1999 gemeinsam mit DOZER veröffentlichten LP „Best of Wayne Gro“!

Als das Publikum nach Mitternacht aufbricht, ist es schwierig zu sagen, ob das zufriedene Grinsen in den Gesichtern eher von dem fantastischen Konzertabend herrührt oder von den Freak-Valley-Tickets, die alle sorgsam und liebevoll an sich pressen. Vermutlich eine Mischung aus beidem…… (Judith)

Handyphotos ©Judith

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