(ro + der kursive vo)
(ro) Der sich so langsam verabschiedende Sommer meint es besonders gut am 03.09.2016 und verweht noch wunderbar warme Lüftchen während des Bluesrock Festivals in Tegelen.
Überall schmücken knappe Tops, tätowierte Waden und Treckingsandalen das Festivalgelände im Openluchttheater De Doolhof, während wir zum wiederholten Male feststellen, dass dies eine wirklich außergewöhnlich schöne Location ist.
Ein bisschen an ein überdachtes Amphitheater erinnert sie, auf dessen grauen Schalensitzen man es sich bequem machen kann.
Oder man nimmt Platz an den geselligen Biertischgarnituren, die ebenfalls einen guten Blick auf das Geschehen bieten.
Dazu gibt es allenthalben eine entspannte Atmosphäre, glücklich lächelnde Leute, die über das Gelände bummeln und Pommes mit Zwiebeln essen, oder mit einem Bier in der Hand auf der Treppe in der Sonne sitzen….
Ja, was will man eigentlich mehr an einem lauen Septembertag?
Klar, man möchte mehr, nämlich auch und ganz besonders Musik, Musik und noch mal Musik.
Ein Blick ins Programmheft zeigt, dass die Veranstalter diesem Wunsch auf jeden Fall Rechnung tragen und wieder einmal mit einer gelungenen Mischung aus etablierten Namen und jungen, zumindest für mich noch ziemlich unbekannten Nachwuchskünstlern aufwarten.
(vo) Howlin Stone eröffneten um Punkt 13 Uhr die 33. Edition des Festes, das zumindest in meinen Septemberplanungen nun schon zum zehnten Mal Berücksichtigung fand und die vier Jungs knallten auch von der ersten Sekunde an mit großer Energie und viel Druck den Rock in den Blues. Da könnte wieder mal, wie schon so oft, eine junge Band aus den Niederlanden……jedenfalls spielten Daan, Jules, Sjaak und Tom straight nach vorne und erinnerten nicht nur in einigen Szenen, das ihr großes Vorblid Sean Costello hieß, leider viel zu früh verstorben und besonders in den Niederlanden hoch verehrt, von mir auch. Erkannt habe ich ihre neue Single „Rich Man`s Blues“ und eine großartige Version des Klassikers „I Put A Spell On You“. Hat Spaß gemacht, euch eine halbe Stunde zu lauschen.
(ro) Um 13:50 Uhr begebe ich mich also in die erste Reihe vor der Bühne, auf der die „The Greasy Slicks“ Position eingenommen haben.
Ein sympathisches Trio aus UK, das alles dem Erdboden gleich macht. Wennschondennschon. Ein energetischer Mix aus ehrlichem Rock`n`Roll, Grunge, Blues, Southern und das alles überaus lässig, laut, präzise, virtuos.
Dampfhammer-Drums, eine Feuerwerfer-Gitarre und ultratighte Basslinien werden präsentiert von den kerligen Jungs namens Jack Kendrew (guit), Nathan Rasdall (b) und Rian O’Grady (dr).
Es macht ebenso viel Spaß, den dreien dabei zuzusehen und zuzuhören, wie es ihnen offenkundig macht.
Leider ist noch nicht allzu viel los vor der Bühne. Aber das liegt womöglich an der sehr frühen Spielzeit.
Denn es ist ja ganz allgemein so, dass am frühen Nachmittag noch nicht so viele Besucher auf dem Gelände unterwegs sind.
(vo) Danach verwandelt Gitarrist und Sänger Bob Wayne mit seiner fünfköpfigen Begleitband The Outlaw Carnies das Openluchttheater in einen Saloon der etwas härteren Gangart, der dargebotene Countryrock mit Schlenkern in den Psycho- und Hillbilly sowie in den Klassikrock (Rock`n“Roll in der Luftschiff Version) war schon etwas schräg, aber immer geradeaus und passte prächtig, an das schon immer für auch mal „andere“ Klänge als Bluesrock verpflichtende Bookerteam ein großes Kompliment und ein „Weiter so“ von uns an beide..
Birth Of Joy sah ich vor drei Wochen noch beim zehnten und letzten Yellowstock Festival im belgischen Geel und schon einige Male in den letzten Jahren in deutschen Landen. Eine großartige Liveband, die sich den 60er und 70er Rock auf die Felle, Saiten und Tasten schreibt, Besonderheit: kein Bass, sondern Keyboard. Ruppig wie Detroit City Rock der 60er, die Doors lugen auch mal hervor und immer volles Rohr, für mich ein Highlight des Festes.
Nicht nur das süße Gesöff aus Österreich verleiht Flügel….niederländische Fans machen Party!
(ro) In diesem Jahr ist mir im Line-Up besonders die außergewöhnliche, junge Künstlerin Jo Harman aus London, die 2014 den „British Blues Award“ erhielt, aufgefallen.
Ab 17:00 Uhr zelebriert sie hier mit ihrer außergewöhnlichen Stimme und ihrer großartigen Band ihren wunderbar frischen, sehr leidenschaftlichen und mitunter rockigen Blues. Mit der Betonung auf Blues!
So flirtet sie aber auch mit Soul und Herzschmerz oder Rootsrock. Oder mit was anderem?
Ich glaube, Jo Harman überschreitet all diese Kategorisierungen.
Ja, mitten ins Herz gehende Songs, wie z.B. „Sweet Man Moses“ mit seinem hohem Wiedererkennungswert haben in einer Welt belangloser Dutzendware durchaus etwas für sich.
Später sehe ich Jo Harman am Merch-Stand augenzwinkernd inmitten eines Trupps gestandener Herren mittleren Alters mit grauen Pferdeschwänzen, die Schlange stehen für eine signierte CD und ein gemeinsames Selfie.
Dann wird wieder schnell hinübergewechselt ins Theater, wo fünf Jungmänner aus Oakland auf der Bühne stehen, deren Modestil sich noch am ehesten an den frühen „Dexy´s Midnight Runners“ orientiert.
„Fantastic Negrito“ – so heißt dieses musikalische Projekt, dessen Frontman und Songschreiber Xavier Dphrepaulezz ist.
Ich gebe zu, diesen Namen richtig auszusprechen musste ich erst ein paar Mal üben.
Straßenkind, Autodidakt, Major-Plattenvertrag, Albumflop, Autounfall, Koma…. dies alles hat Xavier Dphrepaulezz erlebt und überlebt.
Und all das hört man auf der Bühne und seinem mitgebrachten Album „The Last Days of Oakland“, das Türen öffnet in eine erschütterte, wie seismologisch schwankende Welt ohne Halt.
Diese ganzen Desaster und Verwundungen, die sowohl bei ihm, als auch in Oakland, die einst von Zuhältern und den Black Panthern gleichzeitig regierte Stadt, geraten auf der Bühne zu einem opulenten Drama, in dem die Emotionen in Richtung Horizont und weiter aufbrechen.
Bei mir hat „Fantastic Negrito“ auf jeden Fall bleibenden Eindruck hinterlassen.
Aber dann … ab 19:20 Uhr…immer und immer wieder gern gesehen… treten Danny Bryant, Alex Phillips und Dave Raeburn auf die Bühne, tight, laut, energetisch und voll von dieser einen Art Live-Wahnsinn, die eine Band nur durch ausdauerndes und routiniertes Touren bekommt.
Und dann hauen sie rein. Und wie sie das tun. Kernig, schroff und derb, dabei fantastisch melodiös.
„Blood Money“ gibt es zu zu hören, „Take Me Higher“ und dann aber auch zum Beispiel „Slow Suicide“, bis sich dieser treibende Rhythmus unweigerlich und unaufhaltsam in wirklich jedermanns und jederfraus Gehörwindungen geschoben hat. Diese Band hätte ich gerne abendfüllend erlebt.
Ja, Danny Bryant ist ein wirklicher Glücksfall für dieses Festival, wie überhaupt für jedes Festival, jeden Club und jedes Rampenlicht. Vor genau zehn Jahren, so erzählt Danny, stand er auch hier auf dieser Bühne in Tegelen.
Und, das stimmt genau, jawohl, ich erinnere mich, ich stand nämlich auch davor, in der ersten Reihe, so wie jetzt.
Mittlerweile hängen und drängen fast sämtliche Besucher des Konzerts jetzt vorne an der Bühne, ein großes Fest allenthalben, mit ungebrochener Energie wird getanzt, gehopst, kollektiv geklatscht, mitgesungen und ja…diverse Herren greifen zur Luftgitarre und bieten ein spannendes, abwechslungsreiches und emotionales „Alternativprogramm“.
Anschließend, um 20:30 Uhr spielen dann die großartigen Barrelhouse zum Tanz auf. Dieser Band bringe ich größten Respekt entgegen, für ihre Arbeit, ihre Songs, für ihre ungebrochene Energie.
Also, eigentlich müsste die Vorstellung der bereits 1974 gegründeten Band „Barrelhouse“ mit der charismatischen Tineke Shoemaker (Gesang) beginnen, oder doch vielleicht mit Janwillem Sligting ( Fenderbass, Harp, Kontrabass, Akkordeon), oder mit Johnny Laporte an der Gibson oder mit Guus Laporte an der Strat, oder Han van Dam am Piano oder doch mit Bob Dros an den Drums, denn was jeder einzelne dieser sechs Holländer aus Alkmaar und Amsterdam an diesem Abend präsentiert, ist von aller erster Güte und das Gehör nachhaltig bereichernd.
Oh ja, das ist wahrlich ein atemloser und mitreissender Auftritt, musikalisch eine Stunde lang auf den Punkt gebracht, dazu abwechslungsreich in Tempo, Instrumentierung, Soli und Atmosphäre, und dabei fällt nichts auseinander oder verdröselt sich, es ist ein perfektes und stimmiges Konzert von einem kompakten Bandgefüge.
Und dass das Konzerterlebnis der Auftretenden mit dem der Zuschauer offensichtlich kongruent ist, zeigt sich dadurch, dass es ordentlich Gehüpfe im Publikum gibt, Gejohle, Mitsingen, Pfeifen, Klatschen und Biergläserheben.
Und wer Grundkenntnisse im Headbangen oder Luftgitarrespielen hat, der war hier an dieser Stelle sowieso genau richtig.
Hach, die Zeit vergeht so schnell an diesem Tag, und schon bald steht die Endgruppe an, der Schlußact, das ist diesmal „DVL“ (UK / USA).
Hierzu wird mein geschätzer Kollege Volker, von dem auch all die tollen Fotos in diesem Bericht stammen, Genaueres berichten … ( …Rosie…)
Die Idee zu DVL, oder Devil, entstand bei der 2013er Festivalausgabe bei einer Jam Session, als Guy Forsyth (USA, Harp und Gesang) und die UK Band The Hoax “ Going To The Church“ von Lester Butler und den Red Devils zelebrierten und tierischen Spaß dabei hatten. Also beschlossen die beteiligten Musiker Lester Butler (R.I.P. seit 1998) und seiner wirklich mörderisch guten Begleitband, The Red Devils, ein Denkmal in Form von DVL zu setzen. Und wie! Das, was auf uns niederprasselte war vor Dreck und Schmutz starrender, verzerrter und nicht festgezurrter Bluesrock der fiesesten Sorte, meine Fresse, ging da die Post ab auf der Bühne, und vor der Bühne war die Bluesrockhölle los. Ich machte zu Anfang ein paar Photos, legte die Kamera an die Seite und genoß ein Blues Spektakel der Extraklasse, das ich in dieser Form in den letzten Jahren eher selten erlebte. Jeder Song ein Treffer, die fünf beteiligten Musiker, besonders Guy tat sich da hervor, feuerten sich an und befeuerten uns permanent. Sie gingen mit uns in die „Kirche“, es krachte und knallte mit „So Lowdown und I Wish You Would“ und ihre Version von „Who Do You Love“ wurde komponiert von Bo Diddley, war aber nicht von dieser Welt. Die Jungs sind noch bis 10.09. unterwegs und dann wieder im November, leider bisher nicht in Deutschland, warum auch immer. Termine gibt es hier bei uns: Konzerttermine
Zum Schluß bedanken wir uns bei Pinkpop für die Akkreditierung, bei vielen Freunden, die mit uns feierten und beim Getränke- und Speisenpersonal, ihr wart großartig. Und ganz zum Schluß noch der Wunschtraum eines Festivals auf einem T-Shirt…..(rosie und volker)
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