(js) Da waren sie also wieder. Diese Konzerterlebnisse, die, bisweilen etwas unerwartet, unvergessliche Momente bescheren. So geschah es auch an jenem Samstagabend in Münster. Unerwartet insofern, weil der Rezensent alle drei Bands bis dato nie live sah und, so gesteht er nun zu seiner eigenen Schande, von „Eat Ghosts“ zuvor sogar nie Kenntnis nahm. Und eben jene vier Jungs aus Potsdam eröffneten diesen Gig.
Anno 2013 als „Minerva“ in die Welt gezogen, um eben jene musikalisch zu erobern, nannte man sich in diesem Jahre in „Eat Ghosts“ um. Schlagzeuger Martin gestaltete im Übrigen eine, vom Dadaismus inspirierte, Kollage, die den Titel „Eat Ghosts“ trug. Auf diese Art und Weise kam dann der Bandname zustande, der auch metaphorisch gut zu einem Neuanfang passte. Und ging auch damit einher, nicht nur einen personellen Wandel vollzogen zu haben, sondern auch einen musikalischen. Weg vom etwas verfrickelteren Prog-Rock hin zu einer wunderbaren Melange aus so vielen Genres. Und dies übertrugen sie auf ein begeisternde Art und Weise auch auf das nicht immer einfache, und selten leicht zu erobernde Münsteraner Publikum. In den dreißig Minuten entbrannten Enrico Semler (Gesang), Jan Waterstradt (Gitarre), Benjamin Ihnow (Saxophon) und Martin Mann (Drums) eine abwechslungsreich intonierte Achterbahnfahrt.
Vielleicht muss man Jazz mögen, um „Eat Ghosts“ zu mögen? Diese Frage stellte ich mir, als ich der Band anfangs lauschte. Aber nein, ich denke nicht. Natürlich sorgt dieses Saxophon für jazzige Momente, ist sich aber auch nicht zu schade, die unzähligen psychedelischen Instrumentalphasen einfach nur belebend zu unterstützen. Die Musik war sehr rifflastig und die Heavy-Rock Phasen, fühlten sich pudelwohl zwischen Kraut- und Post-Rock Elementen. Selbst zarte Reggae-Anbiederungen, vor Allem in dem einen oder anderen Chorus, fügten sich ganz großartig in die komplexe Spielweise der Jungs ein. Die trotzdem nie anstrengend, sondern immer vital und sogar auch rotzig klang. Was musikalisch sehr unterschiedlich entsprang, fügte sich in dem Gig in ein vollendetes Ganzes. Als großer Liebhaber der fantastischen „King Crimson“ fühlte ich mich bestens aufgehoben und unterhalten. Gerne mehr von solchen Konzertmomenten.
Im Anschluss betraten dann die Solinger Jungs „Blackberries“ die Bühne. Sie bestehen bereits seit 2009 und vollzogen ebenfalls einen kleinen musikalischen Wandel in ihrer Bandvita. Haben auf dem 2012er Debutalbum „Music for the night“ eher noch Indie- und Brit-Pop Klänge ein Zuhause gefunden, wurde es mit dem letztjährigen Output „Greenwich Mean Time“ schon eher krautrockiger und auch psychedelischer. Ein Weg, der mir schon „auf Scheibe“ prima gefiel. Das von „Eat Ghosts“ bereits exzellent aufgewärmte Publikum ließ „Blackberries“ auch gar nicht lange im Unklaren darüber, wie es ihnen denn gefiele. Vom ersten Song an war die Richtung klar: gemeinsam Spaß haben. Viel Spaß bestenfalls.
Die äußerst ausladenden Strukturen ihrer Songs transportierten sie erfrischend und ergänzten nahezu jeden ihrer Songs um intensive instrumentale Passagen. Es zeigte sich dabei deutlich, dass die Livedarbietungen, im Gegensatz zum Studio-Output, noch eine konsequentere Weiterentwicklung im Zusammenspiel der vier Solinger bieten. Ob die vielen fuzzigen psychedelischen Momente, das treibende Bassspiel, die unzähligen Orgelläufe der frühen 70er oder auch die Dynamik am Schlagwerk. Hier wurde das zusammengeführt, was zusammen gehört. Es gab orientalische Momente im Song „Kasbah“, Anleihen an ägyptische Klänge in den sehr jungen Band-Songs „Sphinx“ und „Sphinx 2“, aber auch ein Lied, gesungen im „Solinger Platt“. So teilte es uns Sänger Julian zumindest mit. Was, so der Sänger weiter, nur unter Zuhilfenahme weniger Alt-Solinger, die überhaupt noch dieses Dialektes mächtig sind, entstand, klang für mich fast schon wie ein skandinavisches Stimmen-Tohuwabohu. Was aber insbesondere auch der Lebendigkeit dieses Songs keinen Abbruch tat. Mein persönliches Highlight war aber das Reminiszenzen des Krautrocks wie auch des britischen Rocks Ende der 1960er in sich tragende „Flowers Paint The Sky“. Wie in wenigen Momenten musikalisch „Doors“-Aufwartungen in einen sehr „Beatles“ affinen Refrain führten, um sich dann über einen Geezer Butler Basslauf in einem von allen Vieren inszeniertem „Psychadelic-Instrumental-Gewitter“ auf die Hörerschaft abzuladen, war schon große musikalische Kunst. Ein wahrer Hörgenuss, der mein Rezensentenherz durchaus höher schlagen ließ. Was schreibe ich, mein Musikliebhaberherz selbstredend. Nach knapp sechzig abwechslungsreichen Minuten fühlte ich mich bedient – im positiven Sinne. Und zwar bestens.
Headliner des Abends war die Dresdner Spielgemeinschaft „Wucan“. Und wie wir Zuhörer schnell erfahren durften, gibt es eine erhebliche Affinität der Band zu Münster. Sie spielen gern hier und, so Frontfrau Francis, Münster habe für die Band etwas von nach Hause kommen – nur ohne Pegida. Als müssten die Vier mich mit dieser Aussage erst noch überzeugen, zauberten sie mir doch ein breites wie zufriedenes Grinsen ins Gesicht. Und dies sollte nur zunehmend breiter werden. Mit ihrem ab und an wunderbar eigenwilligen Retro-Rock, der nicht nur der Querflöten-Passagen durchaus bisweilen an Tull erinnert, sorgten sie schon mit ihrer EP sowie den zwei Longplayern für erheblichen Aufruhr in der musikalischen Retro-Gemeinde. Und womit? Mit Recht!
Und die Vier sind in der Lage diese Energie, diese Kraft, auch problemlos in ihre Liveauftritte zu transportieren. Sicherlich war auch dieser Abend geprägt vom einnehmenden Wesen der Francis Tobolsky, aber schnell zeigte sich, dass auch sie ohne die grandiose Begleitung ihrer Rhythmusabteilung nicht diese Wucht an den Tag legen könnte. Hier paarte sich über den gesamten Gig eine nicht enden wollende Spielfreude mit einer energetischen Power, die des Rezensenten Füße partout nicht ruhen lassen wollten. Mit jeder musikalischen Note, mit jeder Bewegung auf der Bühne verkörpern Wucan den Inbegriff einer Liveband. Und das Publikum spürte und honorierte dies unentwegt. Ob nun „The Rat Catcher“, das „I’m Gonna Leave You“ oder auch der Mehrminüter „Wandersmann“ vom Erstling „Sow The Wind“ – hier galt es stetig und unzweifelhaft keinerlei Kompromisse einzugehen. Man spürt, dass man es vielleicht mit einer recht jungen, aber keineswegs unerfahrenen Band zu tun hat. Knapp 120 Auftritte nach Veröffentlichung des Debutalbums im Jahre 2015 sprechen diesbezüglich eine eindeutige Sprache.
Ab und an kam bei mir an diesem Abend ein wenig Mitleid mit Tim Georges Stromklampfe auf. Ich beneidete sie überhaupt nicht, weil sie mit einer unglaublichen Dynamik, auf eine geradezu rücksichtslose Art und Weise bespielt und Alles aus ihr herausgeholt wurde. Häufig psychedelisch, mal knurrend, dann wieder metallisch. Aber stets ohne Gefangene zu machen. Passend dazu sorgten die Rhythmiker Patrik Dröge am Bass und Schlagwerker Philip Knöfel für ein grundsolides, nach vorn schreitendes, Klangfundament. Dazwischen dann immer wieder dieser Derwisch Francis. Visuell ohnehin auf der Bühne, aber auch musikalisch. Ob nun samt ihrer Gitarre, der Querflöte oder auch den großartigen Momenten, in denen sie dem Theremin augenscheinlich ekstatisch dessen Klänge entzog. Ich gewann den Eindruck, mich nur umzudrehen zu müssen, um die heißgeliebten 70er Jahre in die Arme nehmen zu dürfen. Die vier Elbflorenzer nahmen mich mit auf diese faszinierende Zeitreise, die ich an diesem Abend eigentlich nie hätte verlassen wollen.
Als dann nach ungefähr einer Stunde, die Band kurz darüber nachdachte, diesen Abend zu beenden, war das Etwas, was man durchaus mal so machen konnte. Dass es aber wohl nahezu allen anderen Besuchern bis dahin so erging wie mir, konnte ich den enthusiastischen „Zugabe“-Rufen nur allzu leicht entnehmen. Nicht lang gebeten, kam dann erst Philip zurück auf die Bühne und schien seine Felle noch einmal ordentlich zu versohlen, bevor diese wieder verpackt werden müssten. Schnurstracks gesellte sich auch Bassist Patrik zu ihm und ein wunderbarer Jam begann. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, die Jungs hätten was auch immer spielen können, der Saal kochte ohnehin. Nicht lang später erschien auch Tim zurück auf der Bühne und das furiose Instrumentalszenario ließ das Jovel in seinen Grundmauern erschüttern. Nicht zuletzt Francis war es, die abwechselnd mit Flöte und Theremin bewaffnet, mit der Frage „Liebt ihr Metal?“ wieder etwas Kontur in die Musik brachte. Was folgte war natürlich das großartige „Am I Evil?“ als Zugabe. Für mich als im „New Wave Of British Heavy Metal“ musikalisch Sozialisierten war dies nur weiteres Wasser auf meine „Wohlfühl-Mühle“. Halte ich diesen Song der jungen „Diamond Head“ ohnehin für einen der besten dieser sog. NWOBHM-Aera. Eine weitere Zugabe ließ dann im Anschluss die Einsicht des Publikums aufkommen, all das Erlebte wäre es nun endlich wert, diesen Abend auch musikalisch zu beschließen. Und das taten „Wucan“ dann auch.
Zurück bleibt ein unvergesslicher Konzertabend, der es spielend in meine persönlichen „Top 5“ des Kalenderjahres schafft. Ein äußert vielfältiger und begeisternder Abend, der mir tatsächlich körperlich Einiges abverlangte, gleichwohl aber ganz großartig auch als Balsam meiner Musikseele herhielt. Sicherlich ist es wunderbar, gute Musik daheim genießen zu können; wenn diese aber dann auch live noch auf eine derart fulminante Art und Weise weiter getragen wird, könne musikalisch offene Wünsche schnell ein vergangenes Relikt werden…..(JensS)
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