(ro) Ja, der Titel des neuen Albums von Eric Bibb gaukelt nichts vor. „Migration Blues“ heißt es und Eric Bibb erzählt, beschreibt, veranschaulicht und beleuchtet hier die Situationen von Menschen, deren physische Existenz in ihrer Heimat nicht mehr gesichert ist, die aufgrund ethnischer Säuberungen ihr Herkunftsland verlassen müssen, die unter dem herrschenden politisch-ideologischen System nicht leben können oder die politisch verfolgt werden.
Ja, wir leben in politisch schwierigen Zeiten. Populismus siegt über Vernunft, sicher geglaubte Werte wie Toleranz, Demokratie und Gleichberechtigung werden infrage gestellt. Können wir etwas dagegen tun?
„Fleeing war & hardship is something people have been doing all over the world for millennia – nothing new….“, so schildert es der 65-jährige Eric Bibb selbst, „Whether you`re a former sharecropper hitchhiking from Clarksdale to Chicago in 1923, or an orphan from Aleppo in a boat full of refugees in 2016 – it is migration blues.“
Die 15 seelenvollen Songs erkunden einige der vielen Ursachen und Auswirkungen der Migration. Lassen latent eine leise Melancholie mitschwingen und treten dennoch mit ganzer Sohle auf. Kraftvoll. Offen. Und das ist gut so.
Dazu werden die Instrumente vielfältig, dennoch sparsam und feinfühlig eingesetzt.
Traditionelle Roots- Americana- und DeltaBlues- Elemente werden mit einer zeitgenössischen Sensibilität im Stile Bibbs verbunden.
Dazu bieten die intensiven Lyrics der Unbill dieser Welt die Stirn und gehen dadurch umso mehr unter die Haut. Hier wird gezeigt, dass starkes Songwriting nicht auf Wirklichkeitsferne und Überzeichung setzen muss, sondern dass es sich auch über das definieren kann, was ungesagt bleibt.
Im Begleittext des umfangreichen und sehr edel und geschmackvoll gestalteten Booklets lässt Mr. Bibb auch seine beiden musikalischen Gefährten, den großartigen Michael Jerome Browne (Gitarre, Fidel, Banjo), sowie J.J. Milteau ( Harmonica) zu Wort kommen.
Michael Browne z.B. fordert uns mit eindringlichen Worten auf:
„Lasst uns hoffen, dass diese Musik und diese Texte in einer Welt, in der wir dazu neigen, Türen zu verschließen, uns alle zu einem anderen Denken über die Migration von Menschen inspirieren werden.“
Weiterhin werden als Begleiter dieser Produktion genannt: Olle Linder, Big Daddy Wilson und Ulrika Bibb, die als zweite Stimme in „Brotherly Love“ und „Mornin’ Train“ zu hören ist.
Jeder Song ist in seiner ernsthaften Schlichtheit ein wunderbares, pures Stück Musik zu dem Thema Migration: voller Respekt, Soul und Spirit, Nächstenliebe und Toleranz.
Denn auch wenn wir meinen, dass an den großen Rädern sowieso andere drehen, so gibt es doch überall auf der Welt eine starke, liberale, humanitäre Kraft, die davon überzeugt ist, dass es sich lohnt, Flagge zu zeigen.
Erwähnen möchte ich hier den vierten Track, betitelt „Prayin` for Shore“, der beeindruckend unterstützt wird von dem wunderbaren „Big Daddy Wilson“.
Mit seiner unverwechselbaren, dunklen, nuancenreichen Stimme verleiht er diesem Song zusätzliche Menschlichkeit und Tiefe.
“In an old leaky boat, somewhere on the sea/trying to get away from the war/Welcome or not, got to land soon/Oh lord, prayin’ for shore,” so wird hier mit wenigen Zeilen ein Bestandsaufnahme gezeichnet, wie sie so prägnant nur Eric Bibb hinbekommen kann.
Ganz wunderbar sind für mich persönlich auch die beiden Cover der Klassiker des Folk und des Protestsongs, nämlich „Masters Of War“ von Bob Dylan und das bereits 1940 von Woody Guthrie geschriebene „This Land Is Your Land“.
Mr. Bibbs Diskographie von 1972 bis heute liest sich beachtlich.
Mit seiner Reminiszenz an die Blueslegende Booker T. Washington White, „Booker’s Guitar“ von 2010, die mich zutiefst beeindruckte, hat er meiner bescheidenen Meinung nach mit „Migration Blues“ ein weiteres herausragendes Album vorzuweisen.
Ja, „Migration Blues“ ist packend und grandios. Da braucht man nicht lange diskutieren, für mich zählt es zu den diesjährigen Highlights des Genres.
Und gerade weil mir diese Sätze eher unzureichend vorkommen, ziehe ich mich diesmal auf die Erkenntnis zurück:
Diesen Songs zuzuhören und darüber zu reflektieren, ist ohne Zweifel gut investierte Lebenszeit!
Zum Schluß möchte ich noch einmal Eric Bibb zitieren:
„Mit dieser CD möchte ich uns alle dazu ermutigen, unsere Köpfe und Herzen weit zu öffnen gegenüber der fortwährenden Notlage der Flüchtlinge überall. Wie die Geschichte zeigt, stammen wir alle von Menschen, die irgendwann einmal woanders hinziehen mussten.“
(…Rosie…)
Songliste:
1.) Refugee Moan // 2.) Delta Getaway // 3.) Diego’s Blues // 4.) Prayin‘ For Shore // 5.) Migration Blues // 6.) Four Years, No Rain // 7.) We Had To Move // 8) Masters Of War // 9.) Brotherly Love // 10.) La Vie C’est Comme Un Oignon // 11.) With A Dolla‘ In My Pocket // 12.) This Land Is Your Land // 13.) Postcard From Booker // 14.) Blacktop // 15.) Mornin‘ Train
Musiker:
Eric Bibb (vocals, guitar, banjo)
Michael Browne (guitar, fiddle, mandoline, cajun triangle)
JJ Milteau (harmonica)
Olle Lindner (drums on „Delta Getaway“ & „With a Dolla‘ In My Pocket“)
Big Daddy Wilson (background vocals on „Prayin‘ For Shore“)
Ulrika Bibb (background vocals on „Mornin‘ Train“)
Auf Eric Bibbs website sind einige Songs zum Reinhören installiert.
http://www.ericbibb.com/discography/migration-blues-play/
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