
Das RBBS Freak Valley Aufgebot: v.r.n.l. Kirsten, Jens M., Volker, Pearl, Thomas, Rosie, Yvonne, Jens S. Photo ©2018 Robert Lesic, http://www.robles-design.de
(js) Nachdem man sich an Tag 4 eher mühsam dem Schlafgemach abgewandt hatte, ging es wieder zum Gelände. Kleine Bühne, wie immer am Samstag. Für erneut gute Stimmung sorgte dort das US-amerikanische „Heavy-Psych“-Trio „Toke“. Besonders gefiel mir deren druckvolles Gitarrenspiel, der meist schrammelnde Bass und das aggressive Schlagwerk, weniger die zum Teil recht rauen Shouts. Unter dem Strich gab‘s heftige, THC-Trip beeinflusste Riffs, die durchaus gefeiert wurden.
Mir sympathischer ging es dann mit „Kaleidobolt“ weiter. Diese Jungs trieben einigen „Hendrix“-Jüngern – sowie auch mir – Tränen in die Augen. Es wäre irgendwie verlockend zu sagen, dass „Kaleidobolt“ 45 Jahre zu spät geboren wurde. Denn wenn deren Alben in den frühen Siebzigern veröffentlicht worden wären, wären sie jetzt wohl als Klassiker auf dem Markt. Aber sie gehören eben zum Hier und Jetzt. Und überzeugten auf ganzer Linie. Die ambitionierten Songstrukturen sowie auch die schiere Härte an manchen Stellen sind vielleicht sogar der Brückenschlag zu einer auch zeitgemäßen Musik. Diese Jungs strahlten mit jeder Note eine große Klasse aus. Starkes Riffing, tolle und zumeist eingängige Refrains sowie eine aufs Publikum übergehende Freude am Spielen ließen kaum noch Wünsche offen.
Die Main Stage betrat am letzten Tage erstmalig das Groove-Doom-Duo „Year Of The Cobra“ aus Seattle. Und diese Energie und Explosivität der Band ließ schwerlich glauben, dass uns hier tatsächlich nur zwei Musiker ihre kraftvollen Songs an die Köpfe schmissen. Insbesondere Amy am Bass ist ein echtes Temperamentsbündel. Welch eine überzeugende Mischung aus optimistischem, stonerischem Doom samt Sludge-Anleihen und leisen Grungeklängen. OK, Seattle eben. Mir gefiel vor Allem die Harmonie zwischen Amys kristallklaren Vocals sowie ihrem rhythmischen, druckvollen Bassspiel und Jons treibendem Drumming. Ein rundum toller Auftritt.
Dass „Purple Hill Witch“ sich wohl vor Allem die Musik der 80er NWOBHM-Combo „Witchfinder General“ auf ihre musikalischen Fahnen geschrieben haben, ließ sich auch auf dem FVF nicht verhehlen. Versetzt mit einer Prise obligatorischer „Black Sabbath“-Riffs. Klingt vielleicht nicht sehr innovativ und ist es womöglich auch nicht. Bietet trotzdem nicht nur auf Vinyl, sondern eben auch live starke Unterhaltung. Die Jungs machen mächtig Dampf und spielen ihre Songs, die ein wenig an eine Mixtur aus „Satan und Schlaghose“ erinnern. Ein warmer, grooviger Sound mit dickem Bass und eher gemächlichem Riffing, verhallter Kiffergesang mit gelegentlichen ozzyesken „Alrights“ sowie irgendwann in den Songs ein mit einer Riesentüte im Anschlag dahingejammtes Solo. Die Norweger klatschen uns ihren eher klassischen Doom genüsslich auf die Lauscher.
Mit der nächsten Kapelle kam leider auch der kräftige Regen. Als hätte sich der Himmel dafür rächen wollen, dass eine okkulte Rockband am Start war. Dies aber nur am Rande. Wer die Berliner Einalbumband „The Oath“ bereits kannte, dürfte ja die Sängerin von „Lucifer“, Johanna Sadonis, schon kennen. Diese gründete nämlich im Anschluss jene Nachfolger und schrieb sich und ihren Mannen ins Logbuch, ihren okkulten Sound, fortan weit weniger metallisch in die Welt zu spielen. Manko ist für mich allerdings – und dies war leider auch schon bei „The Oath“ so – Johannas Organ. Ihre so ungemein lang gezogenen Töne hindern mich am echten Genuss der Musik. Es nervt gar ein wenig. .„Lucifer“ spielten ihren Gig, der live druckvoller und energetischer herüber kam, nichtsdestotrotz souverän und professionell herunter, ohne mich aber zwingend mitreißen zu können.
Auf das, was dann folgte, habe ich tatsächlich Jahre lang gewartet. Die amerikanischen Heavy-Psycher „Sacri Monti“ durften endlich einmal mich als Besucher eines ihrer Konzerte begrüßen. Herrje. Das kalifornische Quintett, im Übrigen mit Anthony Meier von „Radio Moscow“ am Bass, betraten derart leger die Bühne, dass man sich des Eindrucks nicht erwehren konnte, dass das ein oder andere Tütchen, schon vorab irdische Wege gegangen ist. Was die Jungs zudem nicht daran hinderte, teils mit der Kippe im Mundwinkel auch ihren Auftritt zu bestreiten. Dies hatte fast schon etwas tarantinoesk-cooles für mich. Und hinderte die Jungs keineswegs daran, mich auch live komplett von sich zu überzeugen. Ich erlebte Hörmomente in einer sehr komplexen Schichtung. Dicht gepackt mit nagelnden Gitarren, groovigen Basslinien, stark verzerrten Vocals und Synths, um die wenigen Lücken zu füllen. Gitarrensound und die Vocals erinnerten mich schon auf dem Album phasenweise leise an King Crimsons „21st Century Schizoid Man“. Letztlich beweist die Band, was ich schon im Vorfeld vermutete: sie ist nicht nur geeignet, um als Soundtrack bewusstseinserweiternder Momente zu dienen, sondern passt auch perfekt zu einem solch hypnotischen Publikum wie dem des Freak Valley. Die Jam-basierten Riffs sind das fantastische Hauptaugenmerk von „Sacri Monti“, um verschiedene majestätische Rock-Stile miteinander so gelungen zu verweben, um uns alle in einen glückseligen, hart rockenden, Zustand zu versetzen.
„Brutus“, deren Musikanten man schon früh am Tage gutgelaunt am Merchtable fand und die viel Wert darauf legten, den Flüssigkeitshaushalt nicht zu arg absinken zu lassen, machten auf der Bühne nicht minder Spaß. Und ich liebe ihr 70s „Blues-Rock-Ding“. Sie haben diese quietschenden Gitarrensoli, diesen schlammigen Klang in vielen ihrer Songs. Sie sind perfekt eingespielt und somit jederzeit in der Lage, sich aus dem verspieltesten Solopart noch mit einem Riff herauszuschlängeln, das dich so direkt packt, dass du wieder voll im Song bist und mitgehst. Fans von frühem, schwerem Blues Hard Rock, doomigem Rock und eventuell sogar Stoner und einfach all jene, die mit viel Spielfreude und Energie vorgetragene Rockmusik mögen, sollten demnach genauso viel Freude an dieser Band gehabt haben, wie ich einmal mehr an diesem Tage. Denn „Brutus“ ist vor allem eines: eine verdammt geile Rockband. Ach, Quatsch, sie ist noch mehr: sie ist eine verdammte geile Liverockband. Punkt.
Im letzten Jahr war ich schon arg enttäuscht, dass „Asteroid“ ihren Auftritt auf dem Freak Valley 2017 kurzfristig und krankheitsbedingt absagen mussten. Umso erfreulicher, dass dieses Konzert nun ein Jahr später nachgeholt werden konnte. Und all das Warten hat sich gelohnt. Die besten Teile eines Asteroiden-Albums waren auch auf der Bühne allgegenwärtig. Knurrende Gitarrensounds, dynamische Basslinien, exzellente Rhythmen, so wunderschöne Vokalharmonien und psychedelische Riffs. Passend für interstellare Vision-Quests. All das integriert in fast einmalige Kontraste zwischen unglaublich sanften Harmonien und schwerfälligen Power-Akkorden. Das war einfach nur „wow“. Absolut stimmig, dass sich beide Saitenakrobaten dann auch noch die Vocalparts teilen. Und das macht die Schönheit dieser faszinierenden Band aus. Es kann so komplex oder einfach sein, so wie der Zuhörer es möchte, aber am Ende des Tages rockt es einfach. Wir können nun hingehen und jedes Lied analysieren, seine musikalischen Wurzeln verfolgen und die effektivsten Teile der Instrumentierung suchen und finden. Oder wir lehnen uns einfach nur zurück und genießen die Musik als Ganzes genießen. Und das habe ich tun können. Vielen Dank dafür, Robin Hirse (gui, voc.), Johannes Nilsson (bs., voc.) und Jimmi Kohlscheen (dr.). Einziger, gleichwohl schwerwiegender, Wermutstropfen: es mehren sich die Gerüchte, dass es infolge immer noch währender gesundheitlicher Probleme, künftig „Asteroid“ wohl nur noch selten „live on stage“ zu genießen gibt. Umso inniger bewahre ich mir diesen großartigen Auftritt.
Von „Karma To Burn“ bekam ich dann nur wenig mit. OK, ich habe sie schon häufiger gesehen und deswegen war es auch nicht bedauerlich. Wer KTB verlangt, bekam aber, äußerst vernehmbar, auch wieder KTB serviert. Instrumentalen Stoner, der ordentlich nach vorn stürmt. Dieser repetitiv-hermetische Instrumental-Klangkosmos des US-Trios ist live zumindest wesentlich energetischer und unterhaltsamer, als ich ihn auf Platte empfinde. Da sich aber über Geschmack ohnehin nicht streiten lässt und das Publikum erheblichen Spaß am Gig hatte, darf man auch hier von einem erfolgreichen Auftritt sprechen.
Und dann wurde es fast schon sentimental. Schon im Vorjahr beschlossen „The Flying Eyes“ sich im Jahre 2018 endgültig aufzulösen. Und so ergab sich, dass das tatsächlich letzte Konzert der Jungs aus Baltimore (USA) im Rahmen des „Freak Valley Festivals“ von Statten ging. Bei Gründung der Band anno 2007 waren die Mitglieder allesamt zwischen 18 und 19 Jahren jung und schauen heuer, am Ende dieser Erfolgsgeschichte, auf 2 EPs und 4 Alben zurück. An jenem Samstagabend also spielten sie noch einmal ein Potpourri ihrer gesamten Karriere und verzauberten die Menge, die selbst längst schon um diesen speziellen Moment wusste. Nicht zufällig begann das Quartett diesen Abend auch mit „Bad Blood“, dem ersten gemeinsam geschriebenen Song überhaupt. Aber egal welcher Song, man hatte unentwegt das Gefühl, dass sich hier zwei alte Freunde liebevoll voneinander verabschieden wollten. Zumal dieses Konzert, so Drummer Elias Schutzmann, nur zustande kam, weil die Beziehung zwischen ihnen und Festivalorganisator Jens Heide so vertrauensvoll und gut sei, dass man das Angebot dort den allerletzten Gig zu spielen, nicht ablehnen wollte. Und dies, nachdem man sich in der Heimatstadt Baltimore sogar schon Mitte April von den Fans verabschiedete. Der gesamte Auftritt war nicht weniger als ein hochemotionales Fest; beide Seiten genossen erkennbar diesen Moment und es gab kaum einen Zuhörer, der sich nicht zu den Takten der Jungs bewegte. Die Gänsehautstimmung fand letztlich ihren Höhepunkt darin, dass die Band Organisatoren und Helfer des Festivals zu ihrem finalen, live gespielten Stück mit auf die Bühne baten. Und all die Tränen, die an jenem Abend verdrückt wurden, schienen mir ausnahmslos Tränen der Freude. Auf, hinter und auch vor der Bühne. Nach Erklingen der letzten Töne fiel mir ad hoc der Titel einer schwedischen Kapelle namens ABBA ein, der zu diesem einzigartigen Anlass passte wie „Arsch auf Eimer“: „Thank you for the music“!




Ähnlich beeindruckend ging es für mich dann in den nächsten, und allerletzten Gig, des diesjährigen Events in Siegen. „Russian Circles“, dieses wortkarge Trio aus den Vereinigten Staaten betrat die Bühne, um uns ihren Post-Rock auf und in die Ohrmuscheln zu knallen. Geradezu genial verstehen es die Drei zwischen den musikalischen Grenzen leichtfertig zu schweben. Laut/leise, melodiös/ruppig, gut/böse. Ein Fest für Ohren und Augen. Letzteres, weil die Lichtshow derart perfekt auf den Gig abgestimmt war, dass ich mir in dem Moment überhaupt nicht vorstellen konnte, dass die „Circles“ auf einer kleinen Bühne exakt so hätten zünden können. Sie eröffneten mit dem Titelsong ihres zweiten Albums „Station“, einem der längeren Songs in ihrer Diskographie. Er pendelte zwischen einem bedrohlichen Riff, welches mit dem Eifer einer Hardcore-Band tuckerte und .Momenten der Entspannung, die Gitarrist Mike Sullivan jedoch auch wieder aufzulösen wusste. Im Grunde zog sich dieses spezielle Soundgerüst über Songs wie „Geneva“, „Vorel“ und „Mota“ durch das komplette Konzert, ohne auch nur im Ansatz langweilig oder langatmig zu werden. Diese „Sound of wall“ verdiente sich ihren Namen mit jeder musikalisch quasi zelebrierten Note. Manchmal neigen Instrumentalbands ja durchaus dazu, das Interesse der Zuhörer eher schnell zu verlieren, aber die „Circles“ stellen durchweg sicher, dass der Fokus auch nicht durch das Weben schöner melodischer Passagen verloren geht, da diese fortschreitend in drückenden Klangwellen explodieren. Die emotionalen und schlagkräftigen Arrangements wurden einmal mehr wunderschön auf die Bühne übertragen. Für mich waren „Russian Circles“ ein absolut würdiger Abschluss des diesjährigen Festivals. Was sich auch – oder besser insbesondere – dadurch bemerkbar machte, dass ich lang benötigte, um von diesem besonderen, exzellenten musikalischen Trip wieder herunter zu kommen. Hell yeah!
Somit fiel wieder einmal der Vorhang eines „Freak Valley Festivals“. Mit unglaublich vielen Erinnerungen, aber auch T-Shirts und Alben, ging es wieder Richtung Heimat. Und der Überzeugung, dass man sich im kommenden Jahre aber umgehend, also am Tage 1, um den Merch des FVF kümmert, weil man ja eigentlich weiß, dass dieser ratzfatz ausverkauft ist. Aber im nächsten Jahr wird alles anders, da setze ich dieses Wissen endlich auch mal in die Praxis um. Also wahrscheinlich vielleicht. Ein großer, ehrlicher Dank gilt zu guter Letzt, und mit dem Brustton der Überzeugung gesprochen, den Organisatoren und vor Allem auch den vielen ehrenamtlichen Helfern. Ihr seid fantastisch und hievt dieses Fest auf ein einzigartig hohes Level. Jahr für Jahr hat man beim erstmaligen Betreten des Geländes das so wertvolle Gefühl, man käme nach Hause. Und dieses exakt so erleben zu dürfen, ist nicht zuletzt euer Verdienst. „Auf Wiedersehen, Freak Valley 2018“ ist auch gleichzeitig schon ein „Willkommen, Freak Valley 2019“. Danke, es war fantastisch!….(JensS)….alle Photos © von Kirsten/KikiNo und JensM ausser Purple Hill Witch ©Thomas Neumann
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