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Bruce Springsteen & The E-Street-Band – Amsterdam Arena 25. Mai 2023

The Boss is back in town…

(pe) Um 16 Uhr in der prallen Sonne bilden sich vor den Eingängen der beeindruckenden, einem mitten in der Stadt gelandeten Ufo gleichenden Amsterdam Arena bei herrlichstem Sonnenwetter die ersten Schlangen vor den Eingängen, und Tour-Shirts aus sämtlichen Phasen des meisterlichen Schaffens vom Boss zieren die Oberkörper der erwartungsvollen Fans.

Um 17.15 Uhr dann öffnen sich die Tore und wir können schönerweise im Innenraum direkt vor den teuren Stehplätzen des Golden Circles einen Platz ergattern und verbringen auf dem Boden sitzend die nächsten 2,5 Stunden vor Konzertbeginn mit ein paar von innen kühlenden Heineken. Der Innenraum erscheint gigantisch, nur leider ist das Dach der Arena geschlossen, und es herrscht mehr Hallenatmosphäre als das erwartete Open Air–Stadion-Gefühl.

Woran erkennt man einen Superstar? Na klar: an der Tatsache, dass vor Konzertbeginn sämtliche Ebenen des Bühne nochmal ordentlich durchgesaugt werden: Der Mitarbeiter mit dem Dyson-Sauger wird vom Publikum nach jeder staubbefreiten Ebene wie ein Rockstar abgefeiert, und posiert jedesmal sichtlich erfreut mit erhobenen Armen, um den Applaus in vollen Zügen zu genießen und die Zuschauer sind mehr als dankbar für die unterhaltsame Überbrückung der Wartezeit…

Das Fassungsvermögen der Arena wird bei Konzerten mit Innenraum-Stehplätzen mit 71.000 Plätzen angegeben, und der Rundumblick kurz vor Konzertbeginn bestätigt den Ausverkauf des Stadions, denn bis auf den allerletzten Sitzplatz weit entfernt oben unter dem Hallendach scheint jeder Sitz besetzt zu sein.

Wird Springsteen die Erwartungen erfüllen können, die ihm die Referenz seiner früheren Live-Konzerte mit lockeren 3 Stunden Spielzeit eingebracht hat? Wird er mit seinen 73 Lenzen noch bei Stimme sein und die Kraft haben, die Menschen so zu elektrisieren, wie man es von früher gewohnt ist? Werden auch die neuen Songs seines aktuellen reinen Soul-Albums „Only The Strong Survive“ sich passend in den Rahmen seiner Rock-Performance einfügen?

All diese durch den Kopf rauschenden Fragen sollten sich in Kürze beantworten.

Um 19.40 Uhr ist es dann endlich soweit, und von einem blauen Lichtkegel begleitet betreten zunächst Springsteens 17 (in Worten: Siebzehn!!!) musikalischen Mitstreiter die Bühne, bevor der Boss selbst sich aus dem Bühnenkeller ins Bad in der Menge begibt und nach kurzer Begrüßung die ersten Töne von „No Surrender“ von seinem ikonischen 84er Album „Born in the USA“ anstimmt.

Die Menschen springen von ihren Sitzplätzen auf und sollten sich für die nächsten Stunden auch nicht mehr auf Ihre Allerwertesten setzen, denn der Funke springt von Sekunde 1 an über:

Da steht er, der Boss – und wirkt wie ein fröhlicher kleiner Junge, mit seiner abgeranzten Gitarre, von deren Holzkorpus, auf den Großbildleinwänden wunderbar zu erkennen, an mehreren Stellen Lack und Holz längst abgesplittert sind – aber was er aus seinem Instrument herausholt, ist purer RocknRoll par excellence.

28 Songs spielt Springsteen mit seiner Band an diesem Abend, und tourt damit einmal quer durch sein komplettes Repertoire an Alben: „Born in the USA“, „Born to Run“, „Letter to You“, „Darkness at the Edge of Town“, „The Rising“, „The Wild, the Innocent & the E Street Shuffle“, „Nebraska“, „The River“, „Wrecking Ball“ und eben auch einige Coverversionen seines neuen Soul-Coverversions-Albums „Only the Strong Survive“ finden Einzug in die Setlist und lassen keinen Fanwunsch offen. Um uns herum erweisen sich alle Menschen als absolut textsichere Hardcore-Fans und scheinen sämtliche Lyrics mit der Muttermilch aufgesogen zu haben, denn auch bei älteren oder weniger bekannten Titeln wie „Kitty´s Back“ oder „Johnny 99“ wird verzückt jede einzelne Silbe mitgesungen. Dass Springsteen eben nicht nur rocken kann, beweist er mit einer unglaublich intensiven Version von „Nightshift“ von den Commodores, bei dem der Soul förmlich aus seiner Stimme und den Instrumenten seiner Band heraustropft. Apropos Band: bei fast jedem Song wird deutlich, dass Springsteens Erfolg nicht allein seiner Person entspringt, denn die E Street Band begleitet ihn nicht nur, sondern weiß sich immer mal dezent, mal vollgasmäßig mit einzubringen und die Songs zu den Höhepunkten erstrahlen zu lassen, die Springsteen legendär gemacht haben. Hier sind unglaubliche Musiker am Werk: Nils Lofgren und Little Steven an den Gitarren, Jake Clemons am Saxophon, der unglaubliche Max Weinberg an den Drums oder Roy Bittan an den Keys – sie alle ragen musikalisch hörbar heraus und jeder einzelne bekommt sein Solo, um der Audienz eindrucksvoll zu zeigen, wer Springsteen dort an geballter musikalischer Kompetenz den Rücken stärkt. Und auch der Background-Chor, die Congas, und die Trompeten erscheinen wie von einem anderen Stern gespielt.

Leider lässt der manchmal scheppernde und wie immer bei solchen Großveranstaltungen vom Wiederhall geprägte Stadien-Sound die HiFi-Enthusiasten ein wenig im Stich, aber das tut an diesem Abend der unglaublichen Stimmung keinen Abbruch.

Mit „Letter to You“ oder „Last Man Standing“ und einem grandiosen Barry Danielian an der Trompete weiß Springsteen aber auch ruhigere Töne anzuschlagen, und um den Lyrics die entsprechende Bedeutung zu verschaffen, werden die Texte auf Niederländisch übersetzt auf den Großbildleinwänden eingeblendet. Gerade in den ruhigen Passagen wird die immer noch vorhandene Qualität von Springsteens Stimme bewusst, der hier neben dem markanten rauchigen Sound auch die höheren Tonlagen immer noch gänsehautfördernd spielend bewältigt.

Nach 2 Stunden und 40 Minuten findet das erste Set dann mit einem mitreißenden „Thunder Road“ seinen Abschluss – zu Tränen rührend verschenkt Springsteen nach seinem Harmonica-Solo sein Instrument an ein junges Mädchen mit Down-Syndrom, das sein Glück nicht fassen kann und synchron mit seiner Mutter in Freudentränen ausbricht – und dann schnell von 70.000 Menschen bejubelt die Mundharmonika in der Tasche der Mutter versteckt, damit sie auch ja nicht verloren geht. Auch eine solche auf der Leinwand übertragene Geste erscheint bei Springsteen komplett von Herzen kommend. Überhaupt wirkt bei ihm nichts gestellt, nichts choreographiert – sondern alles scheint aus einer Freude an der Musik und einer bescheidenen Dankbarkeit für das, was die Musik seit seiner dreijährigen Jugendzeit in seiner ersten Rock´n´Roll-Kapelle aus ihm gemacht hat – ja einfach wirklich und ehrlich aus dem Herzen zu kommen.

Nach diesem ersten Set versammeln sich alle 18 Musiker am Bühnenrand, verbeugen sich, lassen sich frenetisch feiern – verlassen dann aber nicht die Bühne, um mal kurz durchzuatmen, sondern kehren direkt an ihre Instrumente zurück und hauen danach eine halbe Stunde lang ein „Best Of“-Set heraus, das sich gewaschen hat: „Born in the USA“, „Born to Run“, „Bobby Jean“, „Glory Days“ und schließlich „Dancing in the Dark“ mit Bandvorstellung lassen die Halle förmlich beben, und holen spätestens als Springsteen sich vor lauter Spielfreude das Hemd bis zum Bauchnabel aufreißt (und hier für einen 73-Jährigen einen unfassbar gut trainierten Body freilegt – Springsteen ernährt sich seit 30 Jahren äußerst gesund mit nur einer einzigen vegetarischen Mahlzeit pro Tag plus einem fordernden täglichen Kraft-Workout) hier auch die hitorientierten Fans voll ins Boot. Man wünscht sich fast, die Herren hätten sich mal kurz für 5 Minuten ins Sauerstoffzelt begeben, denn insbesondere bei „Born in the USA“ und „Born to Run“ bricht Springsteens sonst so kraftvolle Stimme einige male doch etwas in Disharmonie auseinander – aber in Anbetracht der mittlerweile erreichten Spielzeit nimmt ihm das im Hallenrund definitiv niemand wirklich übel.
Beim darauf folgenden „Tenth Avenue Freeze-Out“ gedenken Springsteen und die Band mit Aufnahmen aus alten Zeiten insbesondere den verstorbenen Bandmitgliedern Danny Federici und Clarence Clemons. Nach dem Song wird Springsteen ruhig und sehr persönlich und spricht über das Leben – und man klebt an seinen Lippen ob der intensiven Worte, die er dem Publikum mit auf den Weg gibt: im Alter von 15 Jahren gäbe es nur das Jetzt und immer und immer und immer wieder ein „Tomorrow“. Irgendwann begänne aber unerwartet die Zeit, in der die ersten wichtigen Freunde versterben, und plötzlich sei eben kein „morgen“ mehr möglich, sondern der Blick richte sich im Alter zusehends in die Vergangenheit, auf das „Gestern“ … Seine Worte sind weise gewählt und es ist spürbar, dass sie ihm aus der Seele kommen – man versteht, woher dieses Gefühl kommt, warum Springsteen eher bescheiden dort oben steht und musiziert. Man versteht die Dankbarkeit, die er seinem Publikum gegenüber ausstrahlt. Man versteht den Menschen Bruce Springsteen hinter dem Rockidol – einen Menschen, der alles im Leben erreicht hat und sich nun im Alter sehr wohl bewusst ist, dass das Leben endlich ist … und das ist ergreifend!

Aber Springsteen ist ebenfalls weise genug um zu wissen, dass er sein Publikum nicht mit diesem Gewicht auf dem Herzen in die Nacht entlassen kann – und es folgt die größte Überraschung des Abends: die Band spielt unerwartet zum ersten mal auf dieser Tour ein fast 10minütiges „Detroit Medley“, und huldigt mit „Devil with a Blue Dress on“, „Jenny Take a Ride“ und „Good Golly, Miss Molly“ Mitch Ryder and The Detroit Wheels sowie Little Richard – und hier ist er zu Hause, der Boss: im Rock’n’Roll in seiner pursten Form.

Die Arena tobt, abermals bedanken sich die 18 Protagonisten nebeneinander aufgereiht am vorderen Bühnenrand und glücklich wie Marathonläufer nach dem Überschreiten der Ziellinie, und danach verabschiedet Springsteen jeden einzelnen Mitmusiker unter dem Jubel der Menge in die Katakomben unter der Bühne – zurück bleibt er selbst: Bruce Springsteen mit seiner Gitarre in einem einsamen warmen Lichtkegel und spielt wie ein warmes, wohliges Gute Nacht – Lied vor dem Schlafengehen „I´ll See You in my Dreams“.

3 Stunden und 5 Minuten sind wie im Flug vergangen, und jeder hier in der Arena weiß in diesem Moment:

Man war Augenzeuge des Auftritts einer unglaublichen Band mit einem einzigartigen Frontmann, einem Menschen mit einer einzigartigen Karriere, einer Legende, eines der letzten Musiker seiner Art:

Bruce Springsteen – der Boss ist immer noch der Boss!

(peter)

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Gavial - Broken von ihrem neuen Album "Thanks, I Hate It", das am 23.01.26 erscheint

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