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No Man´s Valley – Chrononaut Cocktailbar / Flight Of The Sloths

(pe) Generell ist die Musik von No Man´s Valley stilistisch schwer einzuordnen – schnell wirft die Journaille mit Genrebegriffen wie Psychedelic Rock oder Post-Rock um sich. Leichter ist es da, sich mit Hilfe von intensivem Namedropping an die musikalische Analyse heranzupirschen, in der Tat ist Letzteres aber tatsächlich das Mittel der Wahl, um textlich zu beschreiben, was des Hörers Ohren erwarten dürfen, so möge man dem Autor verzeihen, wenn er sich hier ebenfalls dieses Kniffes bedient.

No Man´s Valley, das sind die aus den Niederlanden stammenden Herren Dinand Claessens (drums), Rob Perree (bass), Christian Keijsers (guitar), Ruud van den Munckhof (keys) und Jasper Hesselink (vocals).

Ihr neues Album „Chrononaut Cocktailbar“ kommt quasi als Doppel-EP daher, denn die B-Seite mit dem unglaublichen 18-Minüter „Flight Of The Sloths“ schrieb die Band innerhalb der Pandemie während die sechs Tracks umfassende A-Seite unabhängig davon entstand.

Das Wunderbare an Musik ist ja, dass jedem Hörer seine eigene Interpretation erlaubt ist. Und so erscheint mir „Chrononaut Cocktailbar“ wie ein Konzeptalbum, mit dem die Band fast psychoanalytisch in die dunklen Tiefen des menschlichen Kampfes eindringt, den jeder von uns zu irgendeinem Zeitpunkt seines Lebens einmal ausfechtet, wenn die Themen Liebe, Verzweiflung, Sinn unseres Seins oder Tod und Depression sich unaufhaltbar Bahn in unser Dasein brechen.

Wir beginnen den Abstieg in unsere Psyche mit der Einladung in die „Chrononaut Cocktailbar“, und betreten diese begleitet von dem psychedelischsten Sound des Albums mit einer Robert Smith´esquen (Namedropping – ich hatte vorgewarnt!) Einladung mit den Worten;

„Welcome to the chrononaut cocktail bar
Mind your head descending down the stairs
We’ve got grog from all of the centuries
So take your time and throw it down again“

Ein Chrononaut ist ein Zeitreisender – und so sitzen wir in unserer hauseigenen Chrononauten-Bar und reisen durch unser Leben, unsere Gedanken und gespeicherten Momentaufnahmen, nippen an den Erinnerungscocktails unseres Daseins und werden so zu Zeitreisenden innerhalb unserer eigenen Existenz.

„Love“ ist eine rockige Psychedelic-Perle, startet mit einer Gute-Laune-Orgel-Melodie, die uns durch den gesamten Song immer wieder entgegenkommt.

Jasper Hesselink skandiert mit seiner intensiven und hypnotisch tiefen Stimme

„I´ve got love from above and below
Some say love is dead,
I say: check your head!“

Unsere Erinnerung an die Liebe, die uns aus der Familie entgegengebracht wurde, insbesondere aber die Liebe, die wir selbst einem Menschen gegenüber empfanden, ist als Momentaufnahme ein durchweg warmes, positives Empfinden. Genauso wie wir Liebe in unserem Leben irgendwann entdecken, verlieren wir sie jedoch oftmals auch wieder, sei es durch Trennung einer Partnerschaft oder aber schlimmer noch durch den Tod eines geliebten Menschen. Alles Hochjauchzen des „Love“-Chronococktails wird dann schnell aufgefressen durch eine innerlich zerfetzende Traurigkeit, an der wir musikalisch im dritten Track „Creepoid Blues“ teilhaben dürfen.
Und ab hier tauchen wir tief wie der Marianengraben ein in die Düsternis unserer Psyche mit all der Verzweiflung, all der Angst, die ein Verlassenwerden, ein Liebesverlust in uns auszulösen vermag:

„Not afraid of the Apocalypse
Not afraid oft he unknown
Not afraid of the hounds of hell –
I´m afraid to be alone“

Hesselink trägt uns diese Zeilen mit einer Stimmtonalität vor, die augenblicklich den Lizard King Jim Morrison persönlich vor unserem inneren Auge auferstehen lässt. Wie hypnotisiert kleben wir fest am vorgetragenen Blues der Band, der perfekt jedem David Lynch Film eine musikalische Krone aufsetzen würde, und driften unmerklich in noch düsterere Gefilde unserer Psyche hinab, denn wir beginnen „Dinge zu sehen“:

„Seeing Things“ ist ein musikalisch sehr reduziertes Stück voller tonaler Traurigkeit und Verzweiflung, in dem uns die Vocals die Möglichkeit des eigenen Wahnsinnigwerdens vor Augen führen, denn ist der Mensch nicht bereit, sich mit seinem Schmerz auseinander zu setzen, läuft er Gefahr, innerlich zu zerbrechen und wie der Protagonist des Stückes die Realität zu verlieren („Seeing things, I´m seeing things … that aren´t there!“).

„Shapeshifter“ schließlich kommt wieder eher rotzig rockig daher und beschreibt das selbstmitleidige Aufbäumen des Chrononauten, seinen Depri-Zustand nicht akzeptieren und aus seiner Misere flüchten zu wollen: „The minute I could change the place I´ll do it … shapeshifter!“). Arctic Monkeys-artige Vocals und ergreifende Gitarrensoli machen diesen Song zu einem kleinen Highlight des Albums, und erzählerisch kommen wir schließlich mit dem finalen A-Seiten-Track „Orange Juice“ wieder im Hier und Jetzt an, allerdings nicht in der Art, wie wir es uns als „gesundet“ vorstellen würden:

Mit einer fast fröhlichen Melodie wachen wir morgens im Bett auf und es treibt uns zum Kühlschrank:

„I open the fridge from some need of replenishment,
that´s when I got the cruelest of punishment:
my orange juice was gone, my orange juice was gone …“

Wir begeben uns auf eine Alltagsodysee nach draußen, um diesen ernährungstechnischen Missstand zu beheben, geraten aber durch die Wirrungen des Außen schließlich erschöpft wieder in unsere Bude zurück, allerdings: „Got back home with a head like a dome – but still got no orange juice!“
Selbst profane Kleinigkeiten unseres Alltags wie ein im Kühlschrank fehlender Orangensaft überfordern uns in einem destabilen Zustand, und wir haben es in der Hand, ob wir den Weg zurück ins Leben wählen wollen, oder auf immer in Selbstmitleid versunken mit den anderen Chrononauten in der Cocktailbar verbleiben …

Die A-Seite nimmt uns mit auf die dunkle Seite des Mondes, sowohl textlich als auch musikalisch. Im krassen Gegensatz hierzu steht das lichtstrahlenden Über-Werk „The Flight Of The Sloths“ („Der Flug der Faultiere“). Geschrieben und eingespielt kurz nach Ende der Pandemie sprüht der epische Track in totalem Kontrast zur A-Seite vor Positivismus, und man spürt die Freude, die das 5-köpfige Band-Ensemble verspürt haben muss, als sie nach der Zwangstrennung endlich wieder gemeinsam musizieren durften: Leichtflügelig beginnend steigert sich der Song mehrfach zu elegischen Crescendos, die Gitarren rasten aus, die Musik wird sphärisch, schwillt an wie ein Tsunami, der sich schließlich in traumsequenzartigen, komplett von Zwängen befreiten Gitarrensoli in den Äther ergießt und nach der Düsternis der „Chrononaut Cocktailbar“ so viel Licht, Freiheit, Leichtigkeit und Liebe ausschüttet, dass eine Gänsehaut nach der anderen den Körper entlangläuft.

Es ist ein irre interessanter Schachzug, den No Man´s Valley mit diesem Album praktizieren: sie zeigen beide Seite der Lebens-Medaille und gleichzeitig ihre eigene Versatilität, zu der sie musikalisch fähig sind – ihr höchsteigenes Yin, das strukturierte und melodische Songs umfasst und gleichzeitig auf erzählerischer Ebene begeistert – und im totalen Kontrast dazu ihr Yang, ihre freidrehende Kreativität, die sie an den Tag legen, wenn sie sich von jeglichem Korsett befreien und einfach („Hey, now you let it go!!!“) … LOSLASSEN!!!….(peter)

Weblinks:
https://www.nomansvalley.com/

https://nomansvalley.bandcamp.com/

https://www.tonzonen.de/no-mans-valley

Tracklisting:

  1. Chrononaut Cocktailbar 01:42
  2. Love 02:48
  3. Creepoid Blues 03:24
  4. Seeing Things 05:03
  5. Shapeshifter 02:54
  6. Orange Juice 04:26
  7. Flight Of The Sloths 18:22

Filed under: Album Reviews, Alternative, Bluesrock, Postrock, Prog, Psychedelic, , , , ,

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