rockblog.bluesspot

musikalisches schreibkollektiv

Freak Valley Festival 2024 Teil 2 | Freitag, 31. Mai

(Jens M.) Der zweite Tag empfängt uns mit einem gleichmäßigen Landregen. Also erstmal schön frühstücken, um für den Tag gerüstet zu sein. Und siehe da: Der Regen verflüchtigt sich pünktlich bis zum Festivalbeginn. Und damit nicht genug: Die Fläche vor der Bühne hat sich über Nacht in eine überdimensionale Zirkusmanege verwandelt! Wie auch immer die Rockfreaks das organisiert haben, das ist wahrlich ein geschickter Schachzug, denn das bedeutet, dass eine Schlammschlacht ausbleiben wird. Durch die saugfähigen Holzspäne kann der geneigte Musikgenießer nun sogar in weißen Sneakern unbeschadet über das Festivalgelände flanieren. Tatsächlich haben diesen Umstand wohl auch einige Freaks bedauert – zum Glück fand sich noch das eine oder andere Schlammareal an anderer Stelle des AWO-Geländes, so dass die Waschmaschine am Montag auch richtig was zu tun hatte. Aber soweit sind wir noch lange nicht, denn jetzt kommen erstmal…DEAD AIR und DEMONAUTA auf die Bühne, um den Nachmittag zu eröffnen. Doch wir steigen hier ausnahmsweise erst bei der dritten Band ein…

STINKING LIZAVETA (Peter) Auch in diesem Jahr bewahrheitet es sich einmal mehr: es sind die „kleinen“ und unbekannten Bands, die oftmals die größten Überraschungen bieten: und bei Stinking Lizaveta fragt man sich nach dem mehr als beeindruckenden Auftritt tatsächlich, wie eine derart großartige Band, die seit 1994 existiert und nunmehr schon 9 Alben auf die Plattenteller der Welt gebracht hat, bisher komplett an einem vorbeigehen konnte …

Das Instrumental-Power-Trio aus Philadelphia bestehend aus Yanni Papadopoulos an der Gitarre, dessen Bruder Alexi am Bass und Cheshire Agusta am Schlagzeug, sie touren seit Jahrzehnten mit Szenegrößen wie Clutch, Rollins Band oder Fugazi, und spielen beim Freak Valley schier wahnsinnige Improvisationen aus Rock, Jazz und Punk, unerbittlich komplexe Rhythmen und einer Menge feiner Grooves, die sowohl ins Ohr als auch mitten auf die Zwölf gehen! Dabei werden gerne mal Gegenstände aus der Umgebung wie Monitore, Mikroständer oder die Stahlabtrennung zum Publikum dazu genutzt, den Gitarrensaiten bisher ungeahnte Töne und Noise-Effekte zu entlocken – und neben all den Noise-Attacken beweist Yanni immer wieder aufs Eindrucksvollste mit fuzzigen Freak-Outs aber auch glockenklaren Gitarrensoli, was für ein fantastischer Gitarrist er ist. 

„Nicht jeder wird uns verstehen, ich brauche Jahre, um überhaupt meine eigene Musik zu hören, aber ich bin normalerweise angenehm überrascht, wenn ich etwas Abstand davon habe…“ sagt Yanni in einem Interview – diesen Eindruck hat man beim Blick in die Menge vor der Bühne nicht: die Freak Valley Schar scheint Yannis Musik direkt zu verstehen und zu absorbieren und bewegt sich verzückt zu Lauten, Riffs, Noises und Melodien, die Stinking Lizaveta ihnen offeriert.

Und erhaben über allem thront Cheshire Agusta mit grün/blau/türkis-gefärbten fliegenden Haaren hinter ihrem Drumset und dirigiert das Geschehen rhythmisch perfekt, steht nach jedem Song freudig lächelnd auf und bedankt sich herzlich für den Applaus, und herzt nach dem Gig wirklich jeden, der ihr am Merch oder in der Freak-Menge bekräftigt, was für einen imposanten Eindruck Stinking Lizaveta dort oben auf den Brettern der Welt hinterlassen haben.

Sympathie, Energie und Talent gehen bei den Dreien Hand in Hand, und spätestens nach diesem Auftritt wissen auch wir Freaks, was für eine irre gute Live-Band Stinking Lizaveta sind!!!

Fuzzy Grass (Yvonne) Das Wetter hält, die Sonne blinzelt durch die Wolken, höchste Zeit für Gute-Laune-Musik. Thomas Hobeck am Bass, Clément Gaudry-Santiago an der Batterie, Audric Faucheux an den Tasten und nicht zuletzt Laura Luiz an der Gitarre wärmen sich und uns mit einem Instrumental-Intro auf, welches den Sahnestücken der Plattensammlung meines Altvorderen entstammen könnte. Dann diese Stimme, DIESE Stimme, sie bricht aus Frontmann Audric heraus und schießt durch die Ohren ins Hirn, läuft durch’s Rückenmark nach weiter unten und manifestiert sich als fette Gänsehaut. Oha! Heavy Psychedelic Blues-70er-Augenschließ-Mucke der neuen Generation oder welches Label man auch immer draufkleben mag.

Die Gitarre schraubt und zwirbelt in großartiger Manier, hochenergetisch & virtuos und mit dem rechten Fingerspitzengefühl, Rickenbacker-Geboller und -Gezupfe geht durch Mark und Bein, hinter dem Drumkit sieht man nur noch einen im galoppierenden Soundregen verschwimmenden Haarwuschel, das Theremin jodelt zu Tastentönen. Die größte Faszination jedoch liegt für mich in der anspruchsvollen, aber mit einer unfassbaren Leichtigkeit dargebotenen Gesangs-Performance. Was eine Power! Hände greifen in die Luft, als ob sie die Vibes auf dem Gelände fassen und in den Fäusten bündeln wollten, als ob sie jedes Wort und jedes Gefühl in den Songs in physische Form gießen wollten. Der Körper biegt und windet sich, alles garniert mit einem nicht enden wollenden seligen Lächeln. Und ich lächle mit bzw. zurück. Und das angedachte Augen-schließen-und-genießen funktioniert nicht so recht, die vier schieben eine derartig massive Aura auf der Bühne vor sich her, da kann man echt nicht weggucken, nee, man kann bloß noch staunen. Immer schön im Wechsel: Boah, diese Königin an der Gitarre, was ein Sound – Mensch, wie singt man so easy solche Parts – holla, was ein Präzisionsgetrommel, tschakkatschakka – aaaah, der Baaaass, grrr…  Das Tanzbein schwingt, die Hüfte bebt, das Haupthaar fliegt, Glückseligkeit Made in France. Ich bin ab sofort Superfan. Merci & Bisous!

TŌ YŌ (Peter) Eine der für mich größten Überraschungen in diesem Jahr ist die Band Tō Yō aus Japan:
Masami Makino (vocals, guitar), Sebun (guitar), Vincent (bass) und Hibiki Amano (drums, percussion) bilden die noch sehr frische Band aus Tokio und spielen modernen Psychedelic Rock eng verwoben  mit indigener japanischen Folklore und erinnern damit durchaus an Kikagaku Moyo oder auch Minami Deutsch. 2023 haben sie ihr Debutalbum „Stray Birds From the Far East“ veröffentlicht und stehen hier und heute auf der FVF-Bühne, um eine gehörige Portion psychedelischer Musik-Exotik unter die Freaks zu mischen. Direkt der erste Song macht deutlich, wo es lang geht: ein instrumentaler Folkolore-Psych-Stern, der das Publikum in die richtige Stimmung für das Set versetzt, denn hier wird nicht hart gerifft, sondern feinstens ziselierte Psychedelik praktiziert. Meist ruhig beginnend und dann von treibenden Drum- und Bass-Rhythmen getrieben entwickeln Tō Yō in ihrer Spielzeit fünf lang gedehnte Songs, in denen sich entspannte Grooves zu wegfegenden Tsunamis entwickeln, Wah-Wah-schwangere Gitarren und brillante Gitarrensoli von Sänger und Leadgitarrist Masimo Makino das Publikum ekstatisch in Bewegung setzen, die glasklaren, falsettartigen und durchweg auf Japanisch vorgetragenen Gänsehaut-Vocals die Musik zwischendurch mehrfach fast zum Stillstand bringen und die Freaks ritualartig zum Wegträumen verleiten… und im Hintergrund weht immer ein Hauch von Asien durch die Noten.

Meine Augen schließen sich irgendwann in der Mitte des ersten Songs, denn auf der Bühne geschieht showtechnisch nicht wirklich viel: fast schüchtern wirken die vier Herren und selbst Leadgitarrist und Sänger Masami trägt seine Texte ausschließlich mit geschlossenen Augen vor, was aber keineswegs schlimm ist, denn ich gerate schnell in einen wunderbaren Tunnel voller Flow-Erlebnisse – und wenn ich es mal schaffe, die Augen kurz zu öffnen, sehe ich um mich herum viele Freaks, denen es ähnlich ergehen zu scheint und die mit verträumten Gesichtern und geschlossenen Augen leicht hin- und herschwingen wie Bambus in einer frischen Sommerabend-Brise.

Dass Tō Yō auch anders können, zeigen sie schließlich eindrücklich in ihrem letzten Song: ein Heavy Rocker mit Vollgas, voller unglaublicher Gitarrensoli mit einem fetten, dauerhaft auf „Repeat“ stehenden Riff, das immer und immer wieder mitten auf die Zwölf haut – sensationell!!! Tō Yō sind Sound-Magier auf der Bühne, die das Publikum wehrlos in ihren Bann schlagen und dabei trotz der so fremdartig klingenden Sprache problemlos sprachübergreifend mit ihm kommunizieren – und das passenderweise entgegen allen Wetterprognosen an einem leichten, lauen Sommerabend mit ihrem transzendierenden Soundtrack aus dem Land der Sonne.

DŸSE (Yvonne) Juhu… Drei Minuten Spannungsbogen aufbauen, hunderte Beine und Nacken vor der Bühne zittern und zappeln schon in freudiger Erwartung. „Laicos Neidem“, so geht sie los, die wilde Reise. Noise Rock nennt man das wohl, irgendwie Progressive-Punk, anspruchsvolle Stücke, ziemlich wild und geradeaus, mit den Worten des Herrn Diamond Anno 1976 möchte ich es gerne als beautiful noise bezeichnen. Da wird mit viel Spaß, viel Zorn, Augenzwinkern, Schelmerei und unfassbarer Energie hochkomplexes Soundgebastel an Drums und Gitarre mit massenhaft Breaks, Rhythmenwechseln, sanfterem Saitenanschlag, heftigem Geschrubbe, (Sprech-)Gesang und Geschrei am laufenden Band ein Gebräu abgeliefert, das von nahezu perfekter Abstimmung untereinander spricht. Das drischt und scheppert bis in die allerletzten Hirnhautfasern und im zentralen Pit steigt die Frequenz der Hämatombildung pro Minute an den diversen Freakextremitäten stetig an. Auch du bist Zebramaaaaann. Das Bier fliegt hier und da in die Luft, die ausgelegten Hackschnitzel werden tiefer und tiefer in die Grasnarbe eingestampft und das breite Grinsen verfestigt sich bei Andrej und Jarii und dem Mob vornedran. 

Aber die Mucke ist nicht nur genial und eine große Party, nicht nur Haudruff und ab dafür, nee, da wird auch ganz klar Stellung bezogen, klare Kante gezeigt, da werden Ansichten, Einstellungen und wichtige Apelle transportiert. Mit immens viel Spaß, aber auch zeitweilig mit der gebotenen Ernsthaftigkeit. „Passt auf eure Demokratie auf!“. Ich verneige mich tief und grinse über die fragenden Gesichter heute in der Arbeit ob meines „Ich bin eine Wand“-Shirts. Darauf wird vom sinnsuchenden (grins) Songwriting unter Wasser geblubbert, ne Spur Geschwindigkeit rausgenommen und aus vielen Kehlen ertönt inbrünstig „Sag Hans zu mir“.  Haaaaaaans. Man könnte meinen, die Mehrzahl der Meute hätte die Band schonmal gesehen/gehört. *schmunzel*

„Habt ihr auch wirklich Bock?“ Hahaha, boah, ja klar, bitte einfach weitermachen. Und zwar mit Vollgas: Zu Schildkröten Thomas sieht man erst Gaststar Kermit, dann etwas schwerere Freaks über der Menge schweben, Feierstimmung ohne Ende. Könnt ihr noooch? Aber Hallo. Wilder Reigen, auf Händen getragene Damen und Herren, Geplärre gen Bühne aus textfesten Hälsen, ganz schröcklicher Lärm! Wie geil.

Den ehrwürdigen Abschluss bildet der „Nackenöffner“:  kollektives Ausrasten, Gegröle, das ganzen Rudeln von HNO-Ärzten massive Vorfreude auf Kundschaft ins Gesicht nageln dürfte. Hach, vielen Dank, vielen Dank! Ich möchte gern viel öfter dysen. Dysedyse, Zugabe! 

DAILY THOMPSON (Peter) Als wäre das FVF nicht so schon fantastisch genug, beschenkten uns die Organisatoren tatsächlich noch mit mehreren „Überraschungseiern“ auf der kleinen Bühne, von denen niemand auch nur im Entferntesten ahnte …

Eins der schönsten Überraschungseier meines Lebens wurde dann in der Umbaupause zwischen Dÿse und den 1000Mods geöffnet: plötzlich standen unser aller Ruhrpottbuddies Daily Thompson auf der Bühne, von Volker fast korrekt im Dortmunder Slang mit „Daily Thompson aus Doaaaatmund!!!“ angesagt, und versohlten uns zunächst mal mit „Pizza Boy“ vom nagelneuen Album „Chuparosa“ ordentlich den Hintern! 

Schnell verlagerte sich die Wolke der Freaks von der großen Bühne schwarminstinktartig vor die kleine Bühne, und Daily Thompson spielten als zweiten Track den für mich schönsten Song ihres neuen Albums: „Diamond Waves (A Love Song For The Ocean)“ – ein dermaßen flowiger Song, der tatsächlich die Sogwirkung einer berauschenden, sehnsüchtigen Meeresbeobachtung bei Sonnenuntergang entfaltet und direkt mal (wie passend) Crowdsurfer auf die wogenden Hände des Publikums legte, die dann wie auf Ozeanwellen getragen im Auf und Ab des Menschenmeeres gen Horizont davongetragen wurden …

Mephi am Bass, Danny mit Vocals und Gitarre und Bubbles am Schlagzeug kredenzten dann final noch mit einem dicken Dauerlächeln im Gesicht den Albumstitelsong „Chuparosa“ als Radio-Edit, eine traumhafte bluesige Ballade, die gegen Ende nochmal genau die Fahrt aufnimmt, die man für die sich anschließenden 1000mods nur ca. 100 Meter weiter gen Osten tragen musste, um im Flow zu bleiben…

Danke an Daily Thompson und an die FVF-Organisatoren für dieses kleine riesengroße Überraschungskraftpaket!!!

1000MODS (Yvonne) Stets eine stabile Bank auf Festivals und in Clubkonzerten, nun auch hier beim Freak Valley: Wenn Dani, Marios, George und Labros die Bühne betreten, kann man mit einem feierwütigen Hochenergie-Set rechnen, der das Publikum zum Toben bringt. Stoner-Mucke alter Schule, als ob der Rock’n’Roll, das Riff und ordentlich Gedengel von Bass und Drums den Jungs schon mit der Muttermilch verabreicht worden wären.
Hopse- und Schuppenschüttelsongs, mal dynamisch fix von der Leber weg, mal doomig-dunkel-schwer, was den Bewegungsdrang etwas weg von den Beinen und eher in die Nackenregion lenkt. Die Menge macht und rockt willfährig mit, ein Bier oder vier dazu, gute Laune und jede Menge Party unter jeder Menge Freunden.
1000 Mods kann man einfach immer wieder haben, ob vorne bzw. mittendrin im wilden Gewusel oder als fußwippender, kopfnickender Beobachter ihrer Fiedel- und Boller-Kunst vom Rande (tiefere Gespräche werden selbst dort schier unmöglich, die Herren machen es einem reichlich schwer, gegen ihre Soundwände anzubrüllen bzw. nicht hinzuhören, hihi)

Setlist: Electric Carve | So Many Days | Road To Burn | Warped | Low | El Rollito | Into The Spell | Vidage | Super Van Vacation

ALEX HENRY FOSTER & The Long Shadows (Jens S.) Eine kleine Liebeserklärung! Im Anschluss an den 2. Tag des Freak Valley Festival 2024 tat ich ja Kund, dass mich Alex Henry Foster & The Long Shadows absolut abholten. Und ich kann nun sagen, dass dies bis zum Ende des Festivals blieb.

Ich habe mich tatsächlich lang schon nicht mehr derart angefasst gefühlt nach einem Konzert. Und dabei geht es mir nicht einmal um eine subjektive qualitative Güte, eine irre Bühnenshow oder aber meine eigentlichen musikalischen Präferenzen. Sondern vielleicht nur darum, dass an diesem besagten Zeitpunkt, sich einfach alles ineinander fügte. In diesem Moment schien mein Körper und Geist sich auf diese Band ohne Wenn und Aber einlassen zu wollen. Von brachial über intensiv bis hin zu emotional holten mich deren Soundwelten ab. Die Kanadier schaffen mit sechs Musikern auf der Bühne ein meisterhaftes Soundgewebe: Eingehender Bass, kräftige Bläser, atmosphärische Keys, kreischende Gitarren sowie druckvolle Drums und Percussions. Die Spielfreude der Musiker wirkt auf mich authentisch und ergreifend, machte mich förmlich süchtig und hinterließ nichts weniger als Begeisterung bei mir. Die gesamte Show strotzte nur so vor Energie und wer bisher nicht an die Kraft der Liebe, Musik und des Zusammenhaltes geglaubt hat, kann dieses wohl spätestens nach einer Show von ihm tun. Zumindest habe ich dieses Gefühl.

Wie es so meine Art ist, habe ich mich dann mit Alex Henry Foster beschäftigt und viele Infos aufgesogen. Und fühlte mich in meinem Empfinden bestätigt. Er scheint ein hochemotionaler Mensch. Seine tiefgehenden Lyrics sind das Ergebnis eigener Erfahrungen. Bis zu seinem 18. Lebensjahr war er Mitglied einer rechtsextremen Organisation in Kanada. Der Ausstieg gelang ihm nur nur mit Hilfe seines Vaters. Darauf folgte für ihn eine lange Phase der Isolation. 

Foster ist seitdem ein leidenschaftlicher Menschenrechtsverteidiger. In den letzten zehn Jahren war er sehr aktiv und setzte sich mit Rassismus, der Verbreitung von Straßenbanden – unter denen er seine Teenagerzeit verbrachte –, dem Wiederaufleben von Populismus und Identitätsextremismus auseinander. In diesem Zuge schloss er sich für mehrere Kampagnen mit Amnesty International zusammen. 2004 gründete er die gemeinnützige Gruppe Rock N Rights, machte auf das Schicksal von Kindersoldaten aufmerkam, rief nach dem japanischen Tsunami 2011 “The Hope Project” ins Leben. Er kämpft zudem gegen Homophobie und setzt sich für Diversität ein.

Auftreten sollte er auf dem FVF ja schon im Vorjahr, nur ließ sein Gesundheitszustand dies nicht zu. Eine schwere Erkrankung überlebte er damals letztlich nur, weil er sich – erst 34jährig – in der letzten Minute einer komplizierten Operation am offenen Herzen unterzog. Wieso ich all das schreibe? Gute Frage!  Vielleicht weil er schaffte, mich an seinem Schmerz teilhaben zu lassen. Und an seiner Verzweiflung. Er packte mich so arg wie ich es ewig nicht mehr erleben durfte. Mit mir hat Foster sich ab dem Abend ganz wunderbar verbunden. Und zwar ohne, dass ich auch nur ansatzweise von ihm als Menschen wusste. Nicht einmal als Musiker sagte er mir etwas. Also noch einmal vielen Dank für diese lang nicht mehr erlebte, intensive Erfahrung, Mr. Alex Henry Foster! 

OSEES (Peter) Die Osees begehen direkt zu Beginn das wohl größtmögliche Sakrileg eines jeden Freak Valley Festivals: Sänger und Lead Gitarrist John Dwyer beginnt, seine Band anzukündigen und niemand hat ihn informiert, dass das hier rituelle Aufgabe eines anderen Herrn ist – und gottseidank hält er nach entsprechenden Zurufen aus dem Publikum inne, entschuldigt sich mit einer tiefen Verbeugung für den ungewollten Faux Pas („Nobody fuckin´told me anything!“), und unser aller Volker kommt doch noch zu Ehren: „Und nun für Euch … aus den USA: Oseeeeeees!!!“

Was dann folgt, ist mit Worten kaum zu beschreiben – „75 Minuten volles Rohr auf´s Fressbrett bis die Weisheitszähne wackeln“ trifft es vielleicht ganz gut … Dwyer ist der fesselnde Dreh- und Angelpunkt auf der Bühne, spielt seine Gitarre hochgezogen bis fast unter die Achsel, bangt den Kopf zeitweise orthopädisch schwer bedenklich in einem Affenzahn seitwärts, und verrenkt dabei seinen Körper in derart seltsame Formen, dass der ein oder andere Yoga-Coach unter den Freaks vermutlich blass geworden sein dürfte. Sein Mikro nutzt er dabei nicht nur für den Gesang (der meistens brachial geschrien, aber äußerst überraschend auch durchaus mal in den wenigen ruhigeren Momenten sehr fragil aus einem eigentlich nicht zu den feinen Tönen passenden vollgestählten Körper eines Hünen mit Waden wie Kokosnüssen herausdringt), sondern verschluckt es teilweise regelgerecht und entlockt ihm dabei einzigartige gutturale Laute und Effekte, die der Musik häufig ein abstraktes Moment geben und den faszinierenden Irrsinn des Bühnentreibens dort oben noch verstärken …

Aber Dwyer scheint kein Selbstdarsteller zu sein, denn das Zentrum der Bühne überlässt er dem eigentlichen Highlight des Osees-Auftritts: eingerahmt von Dwyer auf der linken Seite aus Sicht des Publikums, dem Bassisten links und dem Keyboarder im Rücken sitzt das Zwei-Schlagzeuger-Setup Dan Rincon und Paul Quattrone vor jeweils einem Drumset, und die beiden sind dermaßen perfekt miteinander eingespielt, dass einem vor Staunen die Luft wegbleibt: sie sind in der Lage, einander hundertprozentig synchron zu spiegeln, gleichzeitig schlagen sie aber innerhalb der Rhythmen auch immer wieder ihren ganz ureigenen individuellen Weg ein, immer unterstützt vom jeweils anderen Schlagzeug. Mal kraftvoll dreschend, seltener mal sensibel streichelnd, und immer absolut tight – und sie sind es, die letztlich jedem einzelnen Song einen wirklich einzigartigen Groove verpassen und durch die Doppel-Dynamik gleichzeitig einen Druck, eine Kraft, eine Energie erzeugen, die das Publikum an den Rande des Verzückungs-Wahnsinns treibt. 

Den Platz in der Front Row zu behaupten grenzt da schon an Schwerstarbeit, und es ist faszinierend, wie sehr Ellbogenstöße in den Rücken, Magenquetschungen durch Anpressdruck hunderter hinter mir pogender Körper an das Stahlgitter und sogar die Schuhe eines von den Ordnern in den Fotograben gezogenen Crowdsurfers (nein, leider nicht Kermit!) im Gesicht solch einen wahnwitzigen Heidenspaß machen können!

Die Osees sind DAS unbestrittene Highlight dieses zweiten Tages und lassen sich am Ende gar noch für eine Zugabe auf die Bühne jubeln. Mit den Kräften am Ende und den Mundwinkeln freudig unter beide Ohren hochgezogen endet dieser denkwürdige zweite Festivaltag im Tal der Freaks. Mehr geht nicht!!! Oder vielleicht doch am Samstag? Wir werden es noch erfahren…

© Pics by radicaleye.de, Mike Vennen & Peter Fernholz

 

Filed under: Konzertphotos, Live Reviews, , , , , , , , , , , , , ,

Archiv

international – choose your language

Juni 2024
M D M D F S S
 12
3456789
10111213141516
17181920212223
24252627282930

Gib deine E-Mail-Adresse ein, um diesem Blog zu folgen und per E-Mail Benachrichtigungen über neue Beiträge zu erhalten. Informationen zum Umgang mit Deinen Daten findest Du in der Datenschutzerklärung.

Diese Artikel werden gerade gelesen:

Ron Spielman - Lifeboat
Michael van Merwyk – Blues Everywhere I Go
Greenleaf - The Head & The Habit
Festivals, Konzerte, Tourneen + Veranstaltungen