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Jürgen Vollmer – Wie ich John Lennon die Haare schnitt, vor Romy Schneider davonlief und Catherine Deneuve zum Lachen brachte

Jürgen Vollmer Erinnerungen eines Fotografen

Als die Beatles die Reeperbahn in Hamburg enterten, war Jürgen Vollmer von Anfang an dabei. Er gehörte zum inneren Zirkel der Beatles und strickte an der Beatlesstory maßgeblich mit. Das Buch hat auf den ersten Blick einen sperrigen Titel. Genauso gut hätte es auch “ Wie ich Jean Genet als meinen Untermieter in Brooklyn kennen lernte, von Madonna verblüfft wurde und wie mir Barbra Streisand klarmachte, sie ausschließlich von links zu fotografieren“ heißen können. Davon erzählt Jürgen Vollmer nämlich auch.

Aber nach wie vor ist scheinbar der Thrill der Beatles das Salz in der Suppe. Wie Vollmer im Buch vermerkt, stellte sich anlässlich einer seiner früheren Buchpräsentationen „From Hamburg To Hollywood“ (mit persönlichen Anmerkungen von Paul McCartney und Klaus Voormann) wieder mal heraus, dass insbesondere die Beatles als bestmögliche Verstärker (eyecatcher anyway) bei der Präsentation bzw. Rezeption eines Rückschau-Buches wahrgenommen werden.

Vollmer unterstreicht dies mit folgender Episode:

Er hatte gerade die weltweite Promotour zu seinem Bildband „From Hamburg To Hollywood“ beendet, als er einen long distance call seines Agenten aus Washington erhielt.

Tenor: USA Today hätte gerade einen großen Artikel über ihn veröffentlicht.

Auch Vollmers Foto-Galerie mit „drei seiner Fotos“ wäre von größtem Interesse.

„Auf meine Frage“, so Vollmer, „um welche Fotos es sich denn dabei handele“ stellte sich heraus: „Alle drei Fotos sind von den Beatles!“

Von daher nimmt der Titel mit John Lennon als Aufhänger für Vollmers neustes Oeuvre nicht wunder.

Und Vollmer plaudert erfrischend aus dem Nähkästchen.

Zum Beispiel, wie eine befreundete Hamburger – Clique (Astrid Kirchherr, Klaus Voormann und Jürgen Vollmer) als sogenannte Existenzialisten  sich der Freundschaft der Beatles auf der Reeperbahn nachhaltig versicherte.

Die „Exis“ waren fasziniert von den unerhörten Beats und Gitarrenläufen dieser frechen und ungestümen Band – und die später weltberühmten Beatles ihrerseits vom Outfit und Selbstbewusstsein dieser schwarzen Rollkragenpullover-Träger, die zusätzlich noch Hintergründe zu Camus, Sartre und anderen zu berichten wussten.

Dazu kreuzten sich regelmäßig ihre Wege, sodass beide Seiten gewissermaßen „part of the family“ wurden.

Der Tisch der „Exis“ am Bühnenrand der Beatles wurde zum Selbstläufer.

Astrid Kirchherr heiratete später den ersten Bassisten der Beatles, Stuart Sutcliffe.

Leider ohne guten Ausgang: Sutcliffe starb kurz darauf an Krebs.

Astrid Kirchherr („Hamburg Days“) veröffentlichte eine Reihe von Beatles-Büchern mit ihren Fotos.

Klaus Voormann spielte bei Manfred Mann des Bass und avancierte danach zu einem verlässlichen Freund und Sessionmusiker der vier Solo-Beatles.

Als Grafiker gestalte er das legendäre „Revolver“-Cover – später dann die Cover zu „Anthology 1 -3“ und weitere.

Vollmer hingegen setzte ähnlich wie Astrid Kirchherr aufs Fotografieren und stieg zu einem weltweit geachteten Fotografen auf.

Ausgangspunkt seines Ruhms war wohl das legendäre Lennon-Foto, welches diesen Bucheinband schmückt und das 1961 im Hauseingang Jägerpassage 1 (heute Wohlwillstraße 22) von John Lennon (scharf) und den übrigen Beatles (als vorbeihuschende Silhouetten davor) entstand …

Das Foto wurde später – ein wenig modifiziert – als Cover für John Lennons „Rock’n’ Roll“-Album verwendet.

Aber auch für das Styling des sogenannten Pilzkopfes (eben nicht Astrid Kirchherr, wie es Jahrzehnte falsch in den Gazetten kolportiert wurde) wird Vollmer in die Annalen des Pop eingehen. Wir schreiben das Jahr 1962 und es war in Paris …

Da lohnt sich das Nachlesen.

Vollmer wird in Paris heimisch, reist viel und lernt den Jet Set des internationalen Films kennen, wo er als „Set“-Fotograf (nomen est omen) sich Respekt zu verschaffen weiß.

In jene Zeit fallen auch die Episoden mit Romy Schneider (Berlin), Catherine Deneuve (Paris) und anderen.

Aber auch die von Balletlegende Rudolf Nurejew in München und Paris, der Vollmers Standhaftigkeit im Nicht-Schwulsein auf die Probe stellte.

Die weltweiten Aufträge häufen sich.

Vollmers Geschichte vom Fotoshooting mit John Cougar Mellencamp in Indiana ist einfach zu köstlich, um hier nicht erwähnt zu werden.

Mellencamp hatte sich in den Kopf gesetzt, die Plattenfirma zu düpieren, indem er ein Foto der Band – pissend auf einer Weide von vorn – als Cover zu „American Fool“ veröffentlicht wissen wollte.

Vollmer schwitzt gewissermaßen Blut und Wasser, weil er weiß, dass nackte Männerschwänze – wenn auch aus größerer Entfernung – auf einem amerikanischen Plattencover nicht gut gelitten sind.

Er versucht die unmöglichsten Perspektiven, um die Scham der jungen Männer zu verdecken, aber wie er es auch dreht und wendet: Irgendwas blieb sozusagen immer „hängen“.

Bis die Plattenfirma ein Machtwort („Gemächte“-Wort?) spricht und das Cover grundweg ablehnt.

Vollmer hatte vorsichtshalber vorgebaut. Und siehe da: eines seiner ursprünglichen unschuldigen Cougar Mellencamp Portraitfotos wurde akzeptiert.

Und dann erzählt uns Vollmer noch über seine ehemalige Absicht, sich in einer Depriphase das Leben durch Erschießen zu nehmen.

Er tritt dazu extra in einen Schützenverein ein, um das Schießen zu lernen. Zumindest hatte dies Vollmer erhofft.

Beim Scharfschießen überkommen ihn heftige Skrupel und er wird auf wundersame Weise kuriert.

Selbsttötung war von da ab kein Thema mehr.

Eher Psychoanalyse und Selbstbespiegelung, wie dieses Buch dokumentiert.

Jürgen Vollmer

„Wie ich John Lennon die Haare schnitt, vor Romy Schneider davonlief und Catherine Deneuve zum Lachen brachte“

Erinnerungen eines Fotografen

Edel Books, Hamburg, 2013

ISBN 978-3-8419-0193-4

218 Seiten

29,95 Euro (E-Book zum Herunterladen inklusive)

Heinz W. Arndt

Filed under: Drucksachen,

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